27. September 2017 · Kommentare deaktiviert für „Brüssel will weitere 50.000 Flüchtlinge in Europa ansiedeln“ · Kategorien: Europa, Schengen Migration · Tags:

DW | 27.09.2017

Um die illegale Einwanderung einzudämmen, will die EU für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge legale Wege eröffnen. Im Gegenzug sollen die Zeitlimits für Grenzkontrollen im Schengenraum neu geregelt werden.

Die EU-Kommission hat Vorschläge für eine verstärkte legale Migration nach Europa vorgelegt. Herzstück des Plans ist ein Neuansiedelungsprogramm, mit dem in den nächsten zwei Jahren mindestens 50.000 besonders schutzbedürftige Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten in die EU kommen können. Das Programm richtet sich an Migranten unter anderem aus Libyen, Ägypten, dem Sudan, dem Tschad und weiteren Krisenregionen. Das teilte die Behörde in Brüssel mit.

Eine halbe Milliarde Euro will die Kommission dafür zur Verfügung stellen. Umgerechnet sind das also 10.000 Euro pro Person. Die erste Fassung dieses Neuansiedlungsprogramms wurde bereits im Juli verabschiedet. Damals war eine Zielmarke von 40.000 Menschen angekündigt worden. Deutschland und andere europäische Länder könnten sich freiwillig an dem System beteiligen. Bislang haben die EU-Regierungen der Kommission zufolge 14.000 Plätze zugesagt.

Aufnahme direkt aus Drittländern

Damit will die EU-Kommission einen neuen Rahmen für die Aufnahme von Migranten direkt aus Drittländern schaffen. Unter einem Vorläufer-Mechanismus haben EU-Staaten seit Juli 2015 rund 23.000 Menschen aufgenommen. Es müssten Alternativen zur gefährlichen irregulären Einreise geschaffen werden, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. „Deshalb sind mehr Möglichkeiten zur legalen Einreise unbedingt notwendig – sowohl zum Schutz von Menschen als auch zu Studien- oder Beschäftigungszwecken.“

Daneben will die Kommission die legale Migration nach Europa durch Patenschaften privater Gruppen und zivilgesellschaftlicher Organisationen fördern. Sie hat zu diesem Zweck das Europäische Asylbüro (EASO) mit einem Pilotprojekt beauftragt. Ferner will die Kommission mit weiteren Pilotprojekten die Wirtschaftsmigration nach Europa stärken.

Bedarf an Arbeitskräften decken

Durch diese Programme soll den Menschen die oft lebensgefährliche Reise mit Schleppern erspart, das Geschäftsmodell der Schlepper zerstört und die Einreise insgesamt in geregelte Bahnen gelenkt werden. Außerdem will die EU mit dem Zuzug von Wirtschaftsmigranten ihren Bedarf an Arbeitskräften decken. Das Paket zur legalen Einreise wird begleitet von Vorschlägen der Kommission für schnellere Abschiebungen.

Trotz gescheiterter Versuche, das europäische Asylsystem grundlegend zu reformieren, stuft die EU-Kommission die Politik der vergangenen beiden Jahre als Erfolg ein. Es gebe mittlerweile weniger Anreize zur illegalen Migration, zudem seien die Grenzen besser geschützt. Damit das so bleibt, will die EU-Kommission die maximale Dauer von Grenzkontrollen im Schengenraum auf drei Jahre verlängern. Die bisherigen Zeitlimits für Kontrollen an den Binnengrenzen wegen „ernsthafter Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ seien womöglich nicht in allen Fällen ausreichend, erklärte die Kommission. Deutschland, Frankreich und weitere Länder hatten wegen der Terrorbedrohung eine Ausweitung von bisher zwei auf vier Jahre gefordert.

Verlängerte Grenzkontrollen

EU-Innenkommissar Avramopoulos bekräftigte gleichzeitig die Forderung seiner Behörde, auch Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum aus bisher 26 Staaten aufzunehmen. Sicherheit in dem Gebiet lasse sich nur in einem „abgestimmten und vereinten Schengen-Rahmen“ und über eine wirksame Kontrolle der Außengrenzen erreichen. Dazu seien die beiden südosteuropäischen Länder notwendig.

Avramopoulos betonte, die Reisefreiheit ohne Kontrollen im Schengenraum sei „eine der großen Errungenschaften der europäischen Integration“. Bei der nun geplanten Änderung der Schengenregeln gehe es deshalb „nicht um eine Verlängerung“ von Grenzkontrollen, die wegen der Flüchtlingskrise eingeführt wurden. Die Kommission trage damit aber „Sicherheitsbedenken“ Rechnung. Gleichzeitig würden schärfere Bedingungen geschaffen, damit Grenzkontrollen „eine Ausnahme bleiben“.

sam/se (AFP, dpa, rtr)

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taz | 27.09.2017

Europäische Migrations- und Asylpolitik: Aufnehmen und abschieben

Die EU möchte 50.000 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Zugleich aber forciert sie Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus den Mitgliedsstaaten.

Eric Bonse

In den kommenden beiden Jahren soll die EU mindestens 50.000 Flüchtlinge aus Afrika, dem Nahen Osten und der Türkei aufnehmen. Parallel sollen die EU-Staaten schnellstmöglich bis zu 270.000 abgelehnte Asylbewerber abschieben. Dies hat die EU-Kommission in Brüssel gefordert. Auch die umstrittene Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien soll weitergehen.

Die Vorschläge sind Teil einer umfassenden Initiative, die als „Migrationspolitik 2.0“ angekündigt worden war. Brüssel will damit die Konsequenzen aus den Erfahrungen mit der Krise 2015 ziehen. Es gehe um die „nächsten Schritte hin zu einer entschlosseneren, wirksameren und gerechteren Migrations- und Asylpolitik“, erklärte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.

Doch so widersprüchlich wie die Ziele sind auch die nun vorgeschlagenen Maßnahmen. Neuansiedlung, Umsiedlung, Abschiebung – all dies folgt keinem gemeinsamen Willen aller 28 EU-Staaten, sondern ganz unterschiedlichen Motiven und Interessen. So haben Ungarn und Polen ihren Widerstand gegen die Umverteilung nicht aufgegeben – trotz eines rechtskräftigen Urteils des höchsten EU-Gerichts in Luxemburg.

Darauf ging Avramo­poulos bei der Vorstellung seiner Pläne nicht ein. Geschickt überspielte er auch den Umstand, dass das auf zwei Jahre befristete, provisorische Umverteilungsprogramm schon am 26. September abgelaufen ist. Die Umsiedlung in andere EU-Länder soll trotzdem weitergehen, sagte er. Alle müssten Solidarität üben. Wer mehr tun möchte als bisher, soll dafür sogar finanzielle und technische Hilfe aus Brüssel bekommen.

Ernüchternde Bilanz

Doch bisher hat nicht einmal Deutschland seine Quote erfüllt. Von den ursprünglich geplanten 120.000 Migranten wurden gerade einmal knapp 30.000 Menschen aus Griechenland und Italien in andere EU-Länder umverteilt. Weitere 8.000 warten auf freie Plätze. Die Reform der Dublin-Verordnung, die eine dauerhafte Umverteilung sichern soll, hängt im EU-Ministerrat fest.

Ernüchternd fällt auch die Bilanz bei der freiwilligen Neuansiedlung von Flüchtlingen etwa aus Afrika aus. Bisher wurden nur 23.000 Menschen aufgenommen. Wie es die EU schaffen will, noch einmal mehr als 50.000 aufzunehmen, bleibt unklar. Die Frage, ob Deutschland freie Plätze gemeldet habe, mochte Avramopoulos nicht beantworten.

Immerhin möchte die EU-Kommission nun auch Pilotprojekte für legale Migration ermöglichen, wie es etwa die Grünen fordern. Allerdings verfolgt sie dabei das Ziel, „den irregulären Zustrom in eine bedarfsorientierte Wirtschaftsmigration umzuwandeln“, wie es im Pressetext heißt. Zudem plant sie „private Patenschaften“, die Neuansiedlungen finanzieren sollen.

Deutet sich hier eine Privatisierung der Flüchtlingspolitik an? Der Vorschlag aus Brüssel lässt viele Fragen offen. Auch die Angaben zur „Rückkehrpolitik“, bekannter als Abschiebung, lassen zu wünschen übrig. Die EU möchte 50.000 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen, zugleich aber Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus den Mitgliedstaaten forcieren. Wie das gehen soll, sagt sie nicht. Bisher seien nur 226.000 von 500.000 ausreisepflichtigen Drittstaatenangehörigen abgeschoben worden, so die EU-Behörde. Um die „Rückkehrquoten“ von derzeit rund 36 Prozent zu erhöhen, soll die Europäische Grenz- und Küstenwache eineschlagkräftige Abschiebe-Abteilung erhalten.

 

 

 

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