03. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Kein Weg nach Europa“ · Kategorien: Balkanroute, Video

Quelle: Presseportal

Die Balkanroute ein Jahr danach

Film von Lars Seefeldt und Utta Seidenspinner

Programmankündigung: Sonntag, 9. Oktober 2016, 18:00 Uhr

Herbst 2015: Menschenmassen laufen über ungarische Autobahnen, springen auf Züge. Am Bahnhof in Budapest campieren Hunderte Flüchtlinge – in der Hoffnung, nach Deutschland weiterzukommen.

Menschen bahnten sich damals über die sogenannte Balkanroute ihren Weg in den Norden Europas. Ein Jahr später scheint dieser Weg endgültig versperrt. Aber wie ist die Situation entlang der Route? Die „ZDF.reportage“ hat sich auf den Weg gemacht. Am 5. September 2015 verkündet der damalige österreichische Bundeskanzler Werner Faymann, aufgrund „der heutigen Notlage an der ungarischen Grenze“ dürften die Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland weiterreisen. Deutschland erlebt daraufhin eine der größten Zuwanderungswellen der Nachkriegszeit. Allein im Oktober 2015 registrieren die deutschen Behörden mehr als 160 000 Asylsuchende.

In der Zwischenzeit ist viel passiert. Die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen ist vielerorts gekippt, Europa hat mit dem Türkei-Deal die Ägäis abgeriegelt, Mazedonien, Ungarn, Bulgarien und Slowenien haben auf Hunderten von Kilometern Grenzzäune errichtet. Es gehen abschreckende Bilder um die Welt: Flüchtlinge, die verzweifelt versuchen, am griechischen Grenzübergang Idomeni Zäune und Stacheldraht zu überwinden und daraufhin mit Gummigeschossen und Tränengas zurückgedrängt werden.

In Passau an der Grenze zu Österreich dagegen kommen kaum noch Flüchtlinge an. Die Bundespolizei unterhält zwar immer noch eine „Bearbeitungsstraße“, aber die Beamten haben wenig zu tun. Genauso wenig wie die freiwilligen Helfer in einer Gemeinschaftsunterkunft, die immer noch gut gelaunt Kleiderbasare organisieren, um die knapp 300 Flüchtlinge im Ort zu versorgen. Auch in Österreich ist es ruhig.

Zum Beispiel am Grenzübergang Spielfeld. Dort ist laut der Polizei seit dem 6. März niemand mehr angekommen, an einer Grenzstation, die 6000 Menschen registrieren und versorgen kann. Vor einem Jahr dagegen wurden die Polizisten noch regelrecht überrannt. Heute patrouilliert das österreichische Heer an der grünen Grenze zu Slowenien, doch auch hier ist alles ruhig. Doch je mehr man Richtung Serbien und Griechenland reist, desto stärker ändert sich das Bild. Hier treffen die Reporter weniger Flüchtlinge als vor einem Jahr an, aber es sind immer noch Tausende, die hier gestrandet sind. Die Atmosphäre: viel verzweifelter, hoffnungsloser, angespannter als ein Jahr zuvor. Aus dem Strom ist ein Stau geworden. Die meisten sagen, dass sie nach Deutschland wollen. Tausende hängen in der legalen Ungewissheit fest, andere – meist alleinreisende junge Männer – versuchen, illegal über die Grenzen zu kommen. Serbien und Griechenland sind überfordert. „Als sie vor einem Jahr nach ein paar Tagen weiterreisten, konnten wir ihnen mit Zelten Kleidung und Informationen helfen“, sagt die ehrenamtliche Helferin Irena Vari in Belgrad. „Aber seitdem die Grenze zu ist, wissen wir nicht mehr, was wir ihnen raten sollen.“

Im Industriegebiet von Thessaloniki in Griechenland leben knapp 1500 Flüchtlinge in einem Lager auf dem Gelände der ehemaligen Toilettenpapierfabrik „Softex“. Die Zustände sind erschütternd. Sie leben in überfüllten Zelten, bei 40 Grad. Manche betrinken sich, nehmen Drogen, immer wieder kommt es zu Schlägereien, berichten Augenzeugen. Und was passiert, wenn aus der Türkei wieder massenhaft Flüchtlinge kommen sollten? „Das wissen nur der liebe Gott und Frau Merkel“, sagt der griechische Leiter des Lagers, Vasilis Karabidis. Im Subtext wird klar: Alle wünschen sich im Grunde, dass die Flüchtlinge ihr Ziel erreichen: Germany.

Im überfüllten Auffanglager Moria auf der griechischen Insel Lesbos brach Mitte September ein Feuer aus – die mehr als 3000 Bewohner des Lagers flohen vor den Flammen, verletzt wurde dabei niemand. Mehr als 60 Prozent der Einrichtung sollen durch das Feuer zerstört worden sein, unter anderem verbrannten etliche Zelte.

Inzwischen hat die Polizei 18 Flüchtlinge und Migranten festgenommen. Die Männer aus Afghanistan, Kamerun, Senegal und Syrien stünden im Verdacht, für die Brandstiftung und die Krawalle inner- und außerhalb des sogenannten Hotspots verantwortlich zu sein, berichtete die Athener Tageszeitung „Kathimerini“. Mindestens neun von ihnen sollen dem Haftrichter vorgeführt werden.

Die Lage auf der griechischen Insel ist schon lange prekär. Überfüllung und lange Verzögerungen bei der Bearbeitung von Asylanträgen haben in Moria wiederholt zu Spannungen geführt, häufig unter Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen.

Moira auf Lesbos, „Softex“ bei Thessaloniki – zwei Orte, an denen die Flüchtlingskrise weitergeht. Zwar herrscht Ruhe an Deutschlands Grenzen, aber je weiter man nach Süden kommt, desto lauter scheint eine Zeitbombe zu ticken.

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