10. September 2016 · Kommentare deaktiviert für „Migranten retten reicht nicht“ · Kategorien: Europa, Italien, Libyen, Mittelmeerroute · Tags:

Quelle: NZZ

Im zentralen Mittelmeer ertrinken so viele Migranten wie im letzten Jahr. Die Flüchtlingsroute aus Libyen muss unterbrochen werden – notfalls mit Gewalt.

Erfolg und Misserfolg in der europäischen Flüchtlingspolitik sind oft zwei Seiten derselben Medaille. Noch 2014 und Anfang 2015 hatten die Berichte über gesunkene Flüchtlingsschiffe und ertrunkene Migranten vor Süditalien die Schlagzeilen der europäischen Medien beherrscht – bis im Frühsommer die neu eröffnete Flüchtlingsroute über die Ägäis und den Balkan die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Heute ist die Balkanroute geschlossen, und von den in Italien aus Nordafrika ankommenden Migranten ist nur noch selten die Rede. Die Rettungsaktion Triton der europäischen Grenzbehörde Frontex mit Schiffen, Flugzeugen, Helikoptern und mehr als 400 Helfern operiert erfolgreich im zentralen Mittelmeer. Allein an einzelnen Spitzentagen im August wurden bis zu 6500 Menschen aus seeuntüchtigen Booten gerettet. Ein grosser Erfolg? Nicht unbedingt.

Ein schier unvorstellbar hohes Risiko

Trotz dem grossen und professionellen Einsatz der Rettungskräfte sind in diesem Jahr bis im Juli laut UNHCR 2734 Menschen im zentralen Mittelmeer ertrunken, nach 2913 im ganzen letzten Jahr. Die Zahl der über diese Route in Europa Ankommenden war mit rund 115 000 praktisch gleich hoch wie im gleichen Vorjahreszeitraum. Das bedeutet, dass von 1000 sich in Nordafrika in ein Boot nach Europa setzenden Menschen 23 nie ankommen – ein schier unvorstellbar hohes Risiko, das Europäer niemals für eine Reise auf sich nehmen würden. Die Lage hat sich somit weder für die Migranten noch für das primäre Erstaufnahmeland Italien entspannt; von einem Erfolg der Flüchtlingspolitik kann man aus dieser Warte gewiss nicht sprechen.

Nichts deutet darauf hin, dass sich das in absehbarer Zeit grundlegend ändern wird. Zwar dürften Stürme im Herbst die Zahl der Überfahrten verringern. Aber diese werden nicht aufhören, denn der Anreiz für afrikanische Migranten, sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Hand ruchloser Schlepper zu begeben, bleibt. Der Einsatz der just ausserhalb der 20-Meilen-Zone vor der libyschen Küste kursierenden Triton-Schiffe führt gar zum absurden Ergebnis, dass er den Schleppern das Handwerk erleichtert. Diese setzen, wie die Frontex berichtet, die Migranten heute in noch weniger seetaugliche Fischer- und Gummiboote, da sie ja bloss die 20 Meilen bis zu ihren Rettern schaffen müssen. Das Geschäft der Schlepper wird dadurch gleichsam subventioniert – ein denkbar unwillkommener Nebeneffekt.

Die Frontex war ursprünglich zur Unterstützung der Schengen-Mitgliedsländer bei der Sicherung der Aussengrenzen der EU gegründet worden. Mit dem aus menschlicher Sicht notwendigen Einsatz im Mittelmeer wird sie aber zum unfreiwilligen Teilchen im Räderwerk der illegalen Einwanderung. Der jüngste Ausbau der Frontex-Einsatzkräfte kann deshalb nicht verwechselt werden mit einer überfälligen Neuorientierung in der europäischen Migrationspolitik. Diese steht bloss vor zwei möglichen Entwicklungen.

Entweder drückt sich Europa weiterhin vor schwierigen Entscheidungen und verschliesst die Augen vor dem Flüchtlingselend. Dann ertrinken jedes Jahr Tausende Menschen im Meer, Hunderttausende stranden in Europa; der Kontinent zerstreitet sich mehr und mehr ob der ungelösten Frage, wo diese Migranten unterkommen sollen.

Europa ist stark genug

Oder Europa rafft sich zu einer aktiven Migrationspolitik und zum effektiven Schutz der Aussengrenzen auf. Illegal Eingewanderte werden in Aufnahmezentren mit ausreichender Kapazität versorgt und nach abschlägigem Asylentscheid rasch ausgeschafft. Anerkannte Flüchtlinge werden aufgenommen, wobei Italien und Griechenland unterstützt werden. Die Flüchtlingsrouten aus Nordafrika werden unterbrochen – durch Verhandlungen mit den dortigen Regierungen und, im Falle der zerrissenen Nation Libyen, notfalls mit dosierter Gewalt. Schwierige Nachbarschaftsbeziehungen im südlichen Mittelmeer sowie ethische und rechtliche Konflikte werden in Kauf genommen; Europa ist stark genug. Für die Einwanderung einer politisch gewünschten Zahl von Migranten werden von den einzelnen EU-Ländern freiwillig legale Wege geschaffen.

Zum zweiten Weg gibt es Ansätze, aber keine konsequente Umsetzung, weil es an Einsicht, Einigkeit und dem politischen Willen fehlt. Langfristig wäre er aber der bessere und humanere Weg.

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