01. September 2016 · Kommentare deaktiviert für „Warum Flüchtlinge angeblich die innere Ordnung gefährden“ · Kategorien: Österreich · Tags:

Quelle: Die Welt

Auf 20 Seiten begründet Österreich, wie ein weiterer Flüchtlingsstrom die innere Sicherheit des Landes gefährden würde. Die Analyse ist ein politisches Werkzeug. Das Szenario wirkt bedrohlich.

Österreich versucht durch eine Notverordnung die Möglichkeit zu erhalten, das Asylgesetz vorübergehend auszuhebeln.

Im Frühjahr hat das Land bereits eine Gesetzesnovelle verabschiedet. Diese sieht vor, dass der Notstand ausgerufen werden kann, sobald „die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit“ als gefährdet angesehen werden kann. Das Innenministerium arbeitet nun an einer Argumentation, wie eine Inkraftsetzung begründet werden könnte.

In der kommenden Woche plant die Regierung die Notverordnung im Ministerrat zu verabschieden. Der österreichischen Zeitung „Der Standard“ liegt bereits ein Entwurf vor, den die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) und die Österreichische Volkspartei (ÖVP) verhandeln.

Demnach sollen auf 20 Seiten die laut Regierung bedrohlichen Auswirkungen des Flüchtlingszuzug auf verschiedene Staatsbereiche ausgelistet sein.

Die Zeitung nennt sieben Bereiche

1.Durch die hohe Zahl an Asylanträgen soll das „Funktionieren der öffentlichen Einrichtungen wesentlich beeinträchtigt sein“. Einem erneuten Zuzug wie 2015 hätte „einen totalen Zusammenbruch der Einrichtungen zur Folge“. Dieser Aspekt wird trotz rückläufiger Flüchtlingszahlen und Schließung der Balkanroute genannt. Die österreichische Regierung erwartet einen neuen Migrationsstrom, diesmal aus Libyen.

2. Nicht nur die Behörden würden im Falle einer neuen Flüchtlingswelle „zusammenbrechen“, auch die Versorgung der Menschen könne nicht sichergestellt werden, heißt es weiter in dem Papier. Eine „temporäre Obdachlosigkeit der Schutzsuchenden“ könne nicht verhindert werden. Zudem sei in Großquartieren „mit einem hohen Potenzial an ethnisch-kulturellen bzw. sozialen Konflikten und Anspannungen“ zu rechnen.

3. Um die Gefährdung der inneren Sicherheit zu untermauern, macht die Regierung in Wien auf eine erhöhte Zahl von fremden Tatverdächtigen aufmerksam. Die Zahl sei innerhalb eines Jahres um 3210 Fälle auf 92.804 gestiegen, während die Zahl der einheimischen Tatverdächtigen gesunken sei. Die Ausführungen zur Kriminalität sollen besonders detailliert sein. Auch der Anstieg rechter Gewalt ist ein Thema.

4. Die Justiz sorgen gleich zwei Aspekte bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Einerseits zeichnen sich in Gefängnissen „innerhalb der Gruppe der Fremden besonders hohe Radikalisierungstendenzen ab“. Des Weiteren könne es einen weiteren Anstieg an Asylbeschwerdeverfahren geben.

5. Auch die Beschulung von geflüchteten Kindern aus anderen Ländern berge Probleme. In dem Papier ist die Rede von „kaum zu bewältigenden Herausforderungen“. Zudem werden fehlende Schulpsychologen und Sozialarbeiter angemahnt.

6. Das Thema psychosoziale Betreuung kommt ebenfalls in dem Entwurf der Asylnotverordnung vor. Es wird vor einer „massiven Überlastung“ des Gesundheitssystems und „Versorgungsengpässen“ gewarnt.

7. Über die Formulierungen im Bereich Arbeitsmarkt streiten SPÖ und FPÖ noch. Zur Debatte stehen Formulierungen wie „75 Prozent der gemeldeten Schutzsuchenden haben maximal einen Pflichtschulabschluss“, eine „historisch hohe Arbeitslosenquote“ könne drohen, oder Flüchtlinge könnten in „direkter Konkurrenz“ zu Einheimischen stehen.

Eines der härtesten Asylgesetze in der EU

Die regierenden Parteien ringen noch um die Formulierungen. Die SPÖ will dem Bericht zufolge besonders das Thema Arbeitsmarkt entschärfen, die ÖVP fordert eine harte Gangart gegenüber Flüchtlingen. Zuletzt hatte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) angekündigt, im Herbst ein umfassendes Maßnahmenpaket ins Parlament einbringen zu wollen.

Wird eine endgültige Fassung der Notverordnung verabschiedet, würde das Österreich erlauben, das Asylgesetzt quasi auszuhebeln. Anträge von Schutzsuchenden könnten direkt an der Grenze abgewiesen werden, zudem dürften Flüchtlinge zwei Wochen lang in Polizeianhaltezentren festgehalten werden. Schutzsuchende hätten zudem kaum mehr eine Chance, Asyl zu erhalten. Anträge würden dann nur noch von Menschen angenommen, die in Österreich enge Verwandte haben, die minderjährig und unbegleitet sind oder Frauen mit Kleinkindern. Alle anderen Antragsteller würden in Nachbarländer zurückgeschoben.

Seit der Gesetzesverschärfung hat Österreich eines der härtesten Asylgesetze in der EU. Würde die Regierung im Falle eines neuen Flüchtlingsstroms einen „Notstand“ ausrufen, wäre dieser zunächst auf sechs Monate begrenzt, könnte aber auf bis zu zwei Jahre verlängert werden.

Nur die Deutschen sind noch „besorgter“

Die Flüchtlingskrise ist aktuell eines der Kernthemen im Nachbarland. Nicht nur in der Politik, auch in der Bevölkerung. Eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts GfK, „Challenges of Nations 2016“, hat herausgefunden, dass die Österreicher die Flüchtlingsfrage derzeit als größte Herausforderung empfinden.

Für die Studie, über die die „Kleine Zeitung“ berichtet, wurden 27.775 Menschen aus 24 Ländern bereits im Frühjahr befragt. Dabei kam heraus: Bei den Österreichern wurde die größte Sorge aus dem Vorjahr – nämlich arbeitslos zu werden – von der Flüchtlingskrise abgelöst. Dabei ist die Angst vor der Zuwanderung drastisch gestiegen. Äußerten sich im Jahr 2015 rund 26 Prozent der in Österreich Befragten besorgt, sind es ein Jahr später 66 Prozent.

Damit sind die Österreicher aber nicht die sorgenvollste der 24 befragten Nationen. Die Deutschen sind in der Flüchtlingsfrage noch pessimistischer. 83 Prozent der Befragten nannten den Zuzug von Menschen als größte Herausforderung. Zum Vergleich: In Schweden sind es 50 Prozent, in Großbritannien 33 Prozent.

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