18. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Macher der Flüchtlingspolitik: Im Auftrag Ihrer Kanzlerin“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: FAZ

Vor sechs Monaten hat die Bundesregierung in den Krisenmodus geschaltet, seitdem läuft der Regierungsapparat unter Hochdruck, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen: Aber mit welchen Leuten will die Kanzlerin das schaffen?

von Günter Bannas, Eckart Lohse und Majid Sattar, Berlin

Neulich ist Peter Altmaier ausnahmsweise in der Türkei gewesen – im Auftrag seiner Chefin Angela Merkel natürlich, formal gesehen zum Zwecke der Vorbereitung deutsch-türkischer Regierungskonsultationen. Der Sache nach ging es um Wichtigeres: Seine Gespräche mit der türkischen Regierungsspitze, dem Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu und weiteren türkischen Kabinettsmitgliedern sollten dem Ziel dienen, das mit Merkels Begriff „Bekämpfung der Fluchtursachen“ zu umschreiben ist. Am Dienstag führte Altmaier, wie mitgeteilt wurde, ein „Gespräch mit Bürgermeistern des Landkreises Sächsische Schweiz zur Flüchtlingsproblematik“, einer Gegend, in der Merkels Flüchtlingspolitik auf besonders heftigen Widerstand stößt. Die Spannweite des Themas ist groß. Manches sagen: So groß wie noch nie.

Peter Altmaier ist – im Range eines „Bundesministers für besondere Aufgaben“ – der Chef des Bundeskanzleramtes. Vieles hat sich für ihn verändert, seit er im vergangenen Herbst auch mit der „politischen Gesamtkoordinierung“ der Flüchtlingspolitik beauftragt wurde. Häufiger als früher tritt Altmaier nun auch öffentlich auf – in Talkshows und Interviews. Gemeinhin hat der Chef des Kanzleramtes im Hintergrund zu wirken. Öffentliche Bekundungen könnten – auch der politischen Eitelkeiten von Fachministern wegen – seinen Handlungs- und Kompromissspielraum einengen, und schon gar nicht darf er Einblicke in den Binnenbetrieb der Regierungsarbeit gewähren, welcher gerne als „Arkanum“ bezeichnet wird.

Geheime Morgenrunde im Kanzleramt

Nun aber gehört Altmaier zu denen, die Merkels Politik der Grenzöffnung für Flüchtlinge immer wieder öffentlich zu erklären haben. Er tut es mit solcher Wucht, dass manche in der Koalition – die Gegner der Berliner Linie vor allem – glauben, der in europäischen Zusammenhängen denkende Altmaier sei der eigentliche Gestalter der Haltung Angela Merkels. Zur Not hätten sie ein politisches Opfer zur Verfügung, falls „Merkel“ scheitern sollte, aber Bundeskanzlerin bleiben müsste. Einfluss und Macht bringen Neid und Missgunst hervor.

Natürlich gehört Altmaier auch der allergeheimsten Runde an, die sich täglich zur „Morgenlage“ mit Merkel im Kanzleramt trifft. Beate Baumann gehört dazu, und weil sie seit Jahrzehnten Merkels engste Mitarbeiterin ist, wird ihr ein geradezu sagenhafter Einfluss auf Merkel nachgesagt. Steffen Seibert, der Regierungssprecher, ist ebenfalls Mitglied dieser Runde, sodann auch Merkels „Medienberaterin“ Eva Christiansen und Staatsminister Helge Braun, der für Bund-Länder-Beziehungen zuständig ist. Das offene Gespräch wird hier gepflegt, und gerade deswegen legt die Runde Wert auf höchste Geheimhaltung über den Gesprächsverlauf – getreu dem Motto „Wer quatscht, der fliegt“. Es quatscht aber keiner.

Doch werden hier die Absprachen getroffen, die hernach in konsistente Verlautbarungen an die Öffentlichkeit gelangen. In Sachen Flüchtlingspolitik etwa zu Horst Seehofers Anti-Merkel-Verdikt, es gebe eine „Herrschaft des Unrechts“: „Kein Kommentar.“ Kein Kommentar von Merkel und Seibert, kein Kommentar von Volker Kauder, dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden und auch nicht vom CDU-Generalsekretär Peter Tauber. In diesem Gremium werden, begleitet von informell zustande gekommenen Gesprächen mit Fraktionsführung und mit Bundesministern, Entscheidungen getroffen und Begrifflichkeiten geprägt.

Zentrale Rolle für Europa-Abteilung

Anders als bei früheren „Krisen“ sind sämtliche Abteilungen des Kanzleramtes mit Angelegenheiten der Flüchtlingspolitik befasst, die insgesamt ein Spiegelbild der Bundesministerien darstellen. Mit der Ukraine-Krise war neben Merkel und Altmaier vor allem die außenpolitische Abteilung unter Merkels „Sicherheitsberater“ Christoph Heusgen in der Pflicht. Vor Jahr und Tag in der Weltwirtschafts- und Bankenkrise war es etwa die Wirtschafts- und Finanzabteilung (jetzt unter Lars-Hendrik Röller).

Nun aber ist vieles anders. Die Zentralabteilung ist unter Michael Wettengel auch für die Rechts- und Innenpolitik zuständig, also für die Gesetzgebungsverfahren zum Asyl- und Flüchtlingsrecht. Heusgen hat sich um die Türkei als Nicht-EU-Staat zu kümmern. Die Aufgaben der Abteilung 3 unter Christian Luft (zuständig etwa für Arbeits-, Gesundheits- und Sozialrecht) reichen von der „Gesundheitskarte“ für Flüchtlinge bis zu deren Arbeitsmöglichkeiten.

Ins Zentrum aber ist die Europa-Abteilung unter Uwe Corsepius gerückt. Schließlich ist auch die Abteilung 6, die für die Arbeit der Nachrichtendienste zuständig ist, von Belang – der Hinweise und Vermutungen wegen, islamistische Terroristen könnten sich als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland und ganz EU-Europa aufmachen. Günter Heiß ist der Abteilungsleiter, und einen beamteten Staatssekretär für die Geheimdienstsachen gibt es auch: Klaus-Dieter Fritsche. Mindestens ein Mal in der Woche tagen die Abteilungsleiter unter Altmaiers Vorsitz.

Bundeskanzlerin setzt auf Vertraute

Merkel legt – wie auch ihre Vorgänger – Wert auf personelle Kontinuität im Kanzleramt, in ihrem Falle besonders bei außenpolitischen Angelegenheiten. Heusgen etwa, der Sicherheitsberater, ist seit Beginn der Kanzlerschaft Merkels 2005 dabei. Corsepius eigentlich auch – wäre er nicht von 2011 bis in den Sommer 2015 Generalsekretär des Rates der Europäischen Union in Brüssel gewesen. Merkel holte ihn zurück ins Kanzleramt. Seine Brüsseler Erfahrungen dürften ihm nun zugute kommen. Die Vorbereitung von EU-Gipfeln ist seine Aufgabe – und die der „Europa-Direktoren“ der 27 anderen Regierungszentralen der EU.

Für Merkels Politik, Flüchtlinge in Kontingenten auf die EU zu verteilen, hat er zu werben. Zugleich haben Heusgen und Corsepius auf Binnenverhältnisse in der Bundesregierung zu achten. Mit Ehrgeiz pflegt das Auswärtige Amt seine eigenen Kompetenzen gegen Eigenmächtigkeiten des Kanzleramtes zu verteidigen. Und mit Argwohn wurde einst beäugt, als zu Zeiten von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Kanzleramt eine Europa-Abteilung eingerichtet wurde. Mit Mühen gelang es den Diplomaten damals, ein eigenständiges Europa-Ministerium zu verhindern.

De Maiziéres schien die Situation zu entgleiten

Vergleichbare Unruhe hatte es im Regierungsapparat gegeben, als Altmaier zum Koordinator der Flüchtlingspolitik und ein eigener Arbeitsstab dafür eingerichtet wurde. Damals im vergangenen Herbst sah es so aus, als entgleite dem Bundesinnenministerium nebst seinem Chef Thomas de Maizière die Koordinierung der Flüchtlingspolitik. Im September und Oktober kamen bis zu 10.000 Flüchtlinge täglich in Deutschland an, Horst Seehofer lief Sturm, im selben Tempo wie die Zahl der unerledigten Asylverfahren wuchs die Kritik am Management de Maizières.

Als der für die Verfahren wichtigste Mann de Maizières, der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, um Entlassung bat und durch den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, ersetzt wurde, geschah das auf Drängen der Kanzlerin. De Maizière hatte zwar schon den bald von Merkel aufgenommenen Vorschlag gemacht, die Flüchtlinge mithilfe von Kontingenten auf die EU-Staaten zu verteilen. Er biss sich aber damals schon an den widerborstigen EU-Partnern die Zähne aus. Eine schwere Grippe, die der Minister weniger gründlich auskurieren konnte, als ratsam gewesen wäre, passte geradezu in dieses düstere Bild.

In Flüchtlingskrise setzt Merkel auf Altmaier

Daher musste es wie eine Entmachtung des Innenministeriums wirken, als das Kabinett Anfang Oktober ein „Konzept zur Koordinierung der Flüchtlingslage“ beschloss. De Maizière und seinem Haus gelang es nicht, den Eindruck zu widerlegen, es gehe ausschließlich darum, die „Gesamtkoordinierung ressortübergreifender Aspekte“ der Flüchtlingspolitik dem Innenressort wegzunehmen und stattdessen dem Chef des Bundeskanzleramtes und Merkel-Vertrauten Altmaier zu übertragen. Das ist zwar den ersten acht Zeilen des Beschlusses zu entnehmen.

Auf den restlichen vier Seiten ist dagegen im Detail festgelegt, dass und wie dem Bundesinnenministerium „die operative Koordinierung fachlicher, organisatorischer, rechtlicher und finanzieller Aspekte“ der Flüchtlingspolitik obliege. Beteuerungen aus dem Hause de Maizières, man selbst habe auf einen solchen Beschluss gedrungen, wirkten jedoch wie der Versuch, eine Niederlage schönzureden. Dass es sich zumindest teilweise um eine solche handelte, lässt sich nicht bestreiten, denn hinter de Maizières Wunsch steckte die Hoffnung, mehr Rückendeckung des Kanzleramtes für die eigene Linie in der Flüchtlingspolitik zu bekommen. Eine Hoffnung, die sich nur eingeschränkt erfüllte.

Fall Haber verdient Beachtung

Immerhin herrscht seither Klarheit, wer im BMI für welche Teile der Flüchtlingspolitik zuständig ist und wie im einzelnen sich der Apparat auf den täglichen Umgang mit der Flüchtlingsfrage einstellt. Unterhalb des Ministers ist die wichtigste Akteurin Staatssekretärin Emily Haber. Grundsätzlich ist nichts Überraschendes an einer solchen Rangfolge. Aber der Fall Haber ist doch interessant. Zum Erstaunen und nicht eben zur Begeisterung mancher Karrierebeamten des Innenministeriums wechselte die vor sechs Jahrzehnten in Bonn geborene Historikerin und Diplomatin zu Beginn der Legislaturperiode vom Auswärtigen Amt auf den Top-Posten ins Bundesinnenministerium. Die Begeisterung in dem von männlichen Juristen geprägten Haus hielt sich in Grenzen.

Hinter dem Wechsel stand Bundeskanzlerin Merkel persönlich. Schon Habers Vater, der als Diplomat in der Türkei und in Griechenland auf Posten war, hatte gute Beziehungen in die Weltregion, die derzeit im Mittelpunkt der Bemühungen der Bundeskanzlerin um eine Lösung des Flüchtlingsproblems steht. Über Haber selbst ist im BMI zu hören, sie habe beste Verbindungen in die Türkei. Dort hält sie sich schon deshalb oft auf, weil ihr Mann – ebenfalls ein Diplomat – derzeit die Delegation der Europäischen Union in der Türkei leitet.

Haber wird in dem Kabinettsbeschluss ausdrücklich erwähnt, zwar nicht namentlich, aber in ihrer Funktion. Sie leitet den Lenkungsausschuss „Bewältigung der Flüchtlingslage“, in den alle Ressorts Teilnehmer auf der Staatssekretärsebene entsenden. Das operative Geschäft des Ausschusses ist in zwölf Arbeitsbereiche aufgeteilt. Für fünf von ihnen hat das Innenministerium die alleinige, für zwei weitere eine teilweise Zuständigkeit. Haber unterstellt ist der „Stab Koordinierung der Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahme“. An seiner Spitze steht Ralph Tiesler, der wegen dieser Verwendung derzeit von seinem Posten als Vizepräsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe beurlaubt ist. Aus der bisherigen Funktion bringt er Erfahrung mit bei der Koordinierung von Bund- und Länderzuständigkeiten, die im Umgang mit den Flüchtlingen von Wert ist.

Krisenbewältigung scheint zu funktionieren

Unter der Regie des Lenkungsausschusses finden regelmäßige Besprechungen statt. Montags ist das eine Telefonschaltkonferenz, an der sich neben den Ländern einige Ressorts der Bundesregierung und Behörden wie die Bundespolizei oder das Bundesamt für Migration beteiligen. Dienstag sprechen die mit den Flüchtlingsfragen Beauftragten der Bundesministerien miteinander, Mittwoch sprechen die Länder mit fast allen Bundesministerien, am Donnerstag findet keine regelmäßige Besprechung statt, und am Freitag treffen sich die Mitglieder des Lenkungsausschusses zum Gespräch. Wenn die Häufigkeit von Treffen ein Indiz für den Stand der Krisenbewältigung ist, so scheint sich die Verwaltungsmaschinerie allmählich auf die Herausforderung eingestellt zu haben. Manche Treffen, die zunächst wöchentlich abgehalten wurden, finden seit Mitte Januar nur noch alle 14 Tage statt.

Haber ist auch die Schnittstelle zum Auswärtigen Amt – ganz allgemein und besonders in der Flüchtlingspolitik. Kurz nach ihrem Wechsel ins Innenministerium gleich zu Beginn der Legislaturperiode, ging der neue Staatssekretär Stephan Steinlein, der langjährige Vertraute Frank-Walter Steinmeiers, auf seine Vorgängerin zu, um das Problem der Migration nach Europa zu besprechen: Was sich da in Südeuropa zusammenbraue, sei eine Herausforderung für die Demokratie in der ganzen EU, befand man. Beide installierten – auf Staatssekretärsebene – eine Arbeitsgruppe mit mehreren Unterarbeitsgruppen. Das Kanzleramt war ebenso beteiligt wie das Wirtschafts- und Entwicklungsministerium. Der Zeitplan, den sich die Runde vornahm, war selbst allerdings noch für Normal- und nicht für Krisenzeiten konzipiert gewesen. Man sei von der Entwicklung überrollt worden, heißt es rückblickend. Die Arbeitsgruppe besteht zwar noch. Die neuen Strukturen, die nun auch im Auswärtigen Amt geschaffen wurden, überlagern sie aber.

In der Krise hängt alles mit allem zusammen

Im Herbst ließ Steinmeier einen Sonderstab Migration im Auswärtigen Amt einsetzen, da die Arbeit mehrerer Abteilungen gebündelt werde musste. Geleitet wird der Stab von Beate Grzeski. Während die Staatssekretäre Steinlein und Markus Ederer in die Altmaier-Runde gehen, ist Grzeski die Entsandte des Werderschen Marktes für die operative Koordinierungsrunde im Kanzleramt. Die Juristin, die zuvor in der Wirtschaftsabteilung tätig war, versammelt Diplomaten aus der Europaabteilung, der Abteilung des Politischen Direktors, der das Syrien-Dossier verantwortet, der regionalpolitischen Abteilung mit der Zuständigkeit Nahost, der (Völker)Rechtsabteilung und der Stabilisierungsabteilung, die im Zuge der Steinmeierschen Strukturreform bereits neu geschaffen worden war.

Der abteilungsübergreifende Sonderstab war nötig, weil in der Krise auch ressortintern alles mit allem zusammenhängt: Fluchtursachenbekämpfung in Syrien und Stabilisierungsarbeit in den von der Terrororganisation Islamischer Staat befreiten Gebieten im Irak, wofür kürzlich eigens der Diplomat Joachim Rücker zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Stabilitätspartnerschaft Mittlerer Osten ernannt wurde. Zudem: völkerrechtliche Fragen zum Flüchtlingsstatus – Stichwort Familiennachzug. Nicht zuletzt: die europapolitische Koordinierung der Weisungen an den Ständigen Vertreter Deutschlands in Brüssel innerhalb der Bundesregierung.

Spitzendiplomaten fühlen sich „ausgelutscht“

Der Ständige Vertreter bei der EU, Reinhard Silberberg, der ebenso wie Steinlein Steinmeier seit dessen Tagen im Kanzleramt Gerhard Schröders begleitet, bereitet in Brüssel die EU-Gipfel vor. Damit er im Ausschuss der Ständigen Vertreter sprechfähig ist, muss die Haltung der Bundesregierung vorher abgestimmt sein. Trotz Kompetenzgerangel der Ressorts hier und da und dem politischem Ringen auf Ministerebene innerhalb der großen Koalition ist eines durchaus aussagekräftig: In der Flüchtlingskrise ist noch nicht einmal vorgekommen, dass Silberberg konzedieren musste, der Botschafterrunde wegen eines Dissenses in Berlin keine deutsche Haltung präsentieren zu können.

Sechs Monate nachdem die Bundesregierung in den Krisenmodus schaltete, läuft der Regierungsapparat rund, wenngleich hohe Diplomaten eingestehen, dass man sich aufgrund von Tempo und Dichte des Entscheidungsbedarfs schon recht „ausgelutscht“ fühle. Die Probleme entstehen nicht mehr in der Maschinerie, sondern dann, wenn sich die Leitungsebene parteipolitisch verhakt.

Steinmeier-Brief sorgt für Verstimmung im Kanzleramt

Ebenso wie Corsepius und Heusgen bemüht sich auch Martin Kotthaus, Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt, um die Koordination mit den EU-Partnern – sei es bei den Flüchtlingskontingenten mit Paris oder beim Thema Schengengrenze mit den Visegrad-Staaten. Man muss sich die deutsche Maschinerie als komplexe Matrixorganisation vorstellen – und nicht als hierarchische Amtsstube. Kotthaus, lange Jahre Sprecher der Ständigen Vertretung in Brüssel, dann einige Zeit Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble, spricht genauso mit Heusgen, Corsepius und Haber, wie die Staatssekretäre Ederer und Steinlein. Kompliziert wird es dadurch, dass die Flüchtlingskrise innerhalb der EU und im bilateralen Verhältnis etwa zur Türkei emotional so aufgeladen ist und soviel auf dem Spiel steht, dass alles schnell zur Chefsache wird. Die Folge: Hakt es zwischen den Beamten, handelt es sich um abgeleitete Konflikte der Chefebene.

Am Wochenende wurde ein solcher Konflikt öffentlich: Steinmeier und Gabriel hatten ein Schreiben verfasst, in dem sie vor dem Anliegen der Visegrad-Staaten in Mittel- und Osteuropa warnten, Griechenland aus dem Schengenraum zu drängen. Die beiden Autoren wollten zum einen ihre Teilhabe am Krisenmanagement dokumentieren – und sich auch auf den möglichen Tag X vorbereiten, an dem die Kanzlerin sich gezwungen sehen könnte, die Balkanroute abzuriegeln. Das Problem war nicht der Inhalt des Briefes, sondern Adressaten und Versendeweg: Gabriel und Steinmeier schrieben auch die sozialdemokratischen EU-Staats- und Regierungschefs, mithin Merkels Kollegen, an – über den Botschaftskanal. Ein Fauxpas, der für Verstimmung zwischen den Häusern sorgte.

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