16. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Visegrad macht eigene Migrationspolitik“ · Kategorien: Balkanroute, Europa, Griechenland, Mazedonien · Tags:

Quelle: DW

Die Visegrad-Länder wollen die Balkanroute abriegeln. Sie könnten damit Griechenland faktisch aus der Schengen-Zone ausschließen. Die vier osteuropäischen Staaten machen die Kanzlerin für die Flüchtlinge verantwortlich.

Die Visegrad-Gruppe besteht aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Vor 25 Jahren wurde die Gruppe gegründet, um die europäische Integration der vier ehemals kommunistischen Staaten zu fördern. Heute sind die vier Länder zwar längst EU-Mitglieder. Doch jetzt scheinen sie eher die europäische Spaltung voranzutreiben.

Die Idee von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Flüchtlinge auf die EU zu verteilen, ist ihnen ein Greuel. Auch den Plan, dass die Türkei Flüchtlinge an der Weiterreise nach Europa hindert und dass die EU der Türkei dafür Flüchtlingskontingente abnimmt, lehnen sie ab. „Kontingente“, so der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, „erhöhen nur die Anreize für Migration.“ Überhaupt sehen die Visegrad-Regierungen vor allem Bundeskanzlerin Merkel für den Flüchtlingszustrom verantwortlich. „Die Vorstellung ist einfach“, so der slowakische Ministerpräsident Robert Fico kürzlich sarkastisch: „Ich lade mir Gäste ein, und wenn ich merke, dass sie mich überfordern, klopfe ich an die Tür des Nachbarn und sage ihm: Kümmere dich um meine Gäste.“ Diese Nachbarn wollen sie nicht sein.

Keine andere Wahl?

Die Visegrad-Staaten wollen jetzt das Problem auf eigene Faust lösen. Dazu wollen sie die Balkanroute absperren. Nach wie vor gelangen jeden Tag hunderte Flüchtlinge von der Türkei aus nach Griechenland und von dort über Mazedonien weiter nach Norden. Für ihre Asylverfahren wäre eigentlich Griechenland als EU-Zutrittsland zuständig. Doch Griechenland fühlt sich überfordert und lässt die meisten Flüchtlinge einfach weiterreisen.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban meint, man habe gar keine andere Wahl: „Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre die Region schon lange abgeriegelt worden“, sagte er kürzlich. Der slowakische Außenminister Lajcak sagte dem „Spiegel“: „Solange eine gemeinsame europäische Strategie fehlt, ist es legitim, dass die Staaten auf der Balkanroute ihre Grenzen schützen. Dabei helfen wir ihnen.“ Orban glaubt, damit nicht nur Partikularinteressen zu verfolgen, sondern eine gesamteuropäische Mission zu erfüllen: „Wir müssen die Sicherheit des Kontinents gewährleisten.“ Gegenüber Mazedonien und anderen Staaten auf der Balkanroute, die sich abschotten sollen, sehen die Visegrad-Regierungschefs ihre Forderung auch nicht als Druck, sondern als Unterstützung. Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka spricht von „Solidarität“ mit den Ländern des westlichen Balkan.

Als sich die mittelosteuropäischen EU-Staaten schon im vergangenen Herbst weigerten, nennenswerte Zahlen von Flüchtlingen aufzunehmen, ernteten sie damit im Westen der EU eine Menge Kritik. Es war sogar im Gespräch, ihnen zur Strafe EU-Hilfsgelder zu kürzen. Doch inzwischen haben sie immer mehr Anhänger. Am Wochenende lehnte sogar der französische Ministerpräsident Manuel Valls feste Quoten ab und fiel damit Merkel in den Rücken. Auch Österreich tendiert immer mehr Richtung Abschottung.

Schengen immer mehr unter Druck

Sollten Mazedonien und Bulgarien tatsächlich ihre Grenze zu Griechenland abriegeln, liefe das praktisch auf einen Ausschluss Griechenlands aus der grenzkontrollfreien Schengen-Zone hinaus. Selbst in Merkels CDU ist Schengen in seiner bisherigen Form nicht mehr sakrosankt. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, sagte der Zeitung „Die Welt“, wenn ein Land seine Pflichten zur Sicherung der EU-Außengrenzen verletze, „dann muss sich Schengen in Richtung Mitteleuropa bewegen“.

Für Griechenland würde eine Abriegelung im Norden bedeuten, dass es auf den Flüchtlingen sitzenbliebe. Die griechische Regierung versucht bereits, das Land darauf einzustimmen. „Wir müssen uns auf eine (große) Zahl von Menschen vorbereiten, die in Griechenland bleiben werden“, sagte der für Migration zuständige Vizeminister Ioannis Mouzalas der Zeitung „Avgi“. Auch Italien warnt schon, das Beispiel werde Schule machen, denn auch dort betreten viele Flüchtlinge erstmals den Boden der EU. Ebenso wie Griechenland hat auch Italien immer wieder Flüchtlinge einfach durchgewunken. Laura Boldrini, die Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, wurde von griechischen Medien auf einer Reise nach Griechenland mit den Worten zitiert: „Die Idee des Ausschlusses, heute Griechenland und morgen Italien, ist eine Abkehr von den Grundsätzen und Werten Europas.“

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht in den Abriegelungsplänen eine große Gefahr. Zusammen mit seinem Parteifreund und Vizekanzler Sigmar Gabriel hat er einen Brief an alle sozialdemokratischen EU-Regierungschefs, Außenminister und Parteichefs geschrieben. Darin heißt es: „Man kann nicht einfach Europas Außengrenzen neu definieren, und das noch über den Kopf betroffener Mitgliedstaaten hinweg.“ Die beiden Politer befürchten, dass im ohnehin wirtschaftlich angeschlagenen Griechenland dann vollends das Chaos ausbricht. Viel Zeit bleibt nicht mehr für eine gemeinsame europäische Lösung. Am Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel einen weiteren Versuch starten. Es dürfte einer der letzten sein.

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siehe auch: Telepolis

Visegrád-Staaten plädieren für eine zweite Außengrenze

EU-Flüchtlingspolitik: Wo liegt der Kompromiss zwischen den „Willigen“ und „Unwilligen“ ?

Thomas Pany

Eine Grenze nach der anderen auf der Balkan-Route soll stärker abgeriegelt werden. Österreich hatte angekündigt, dass ab heute „tägliche Richtwerte“ gelten. Man wolle nur eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen die Landesgrenzen passieren lassen. Ein Testversuch, hieß es dazu vergangene Woche (Flüchtlinge: Österreich und die tägliche Obergrenze).

Der Begriff „täglicher Richtwert“ taucht in der Standard-Meldung nicht auf, auch von einem Testversuch ist nicht die Rede, aber berichtet wird davon, dass ab heute nur „noch tausend Menschen die Grenze nach Österreich passieren“ dürfen. Zudem würde „Wirtschaftsflüchtlingen“ an der Grenze der Übertritt verweigert. […]

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siehe auch: Die Welt

Ein neuer „Ostblock“ arbeitet am Anti-Merkel-Plan

Viktor Orbán reist seit Wochen durch Südosteuropa, um Verbündete in der Flüchtlingskrise zu gewinnen. Jetzt treffen sich gleich vier Staaten auf einmal – und Berlin schaut ganz genau hin.

Hat in Europa eine neue Blockbildung begonnen? Am Montag trafen sich die Führungen der neuerdings felsenfest verbündeten „Visegrad“-Länder (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) zum 25. Jubiläum der Gruppe in Prag. Auch Mazedonien war eingeladen, und für Bulgarien kam dessen Ministerpräsident Boyko Borissow.

Thema Nummer eins: die deutsche Flüchtlingspolitik durch eine Sicherung der bulgarischen und mazedonischen Grenzen selbst zu regulieren. Natürlich wurde es nicht so krass gesagt. Von einer Ergänzung der deutschen und der EU-Positionen war die Rede, und von einem „Plan B“ für den Fall, dass das Schengen-System zusammenbricht.

Ungarn ist die treibende Kraft: Schon lange hilft Budapest Mazedonien und Bulgarien mit Stacheldraht, Maschinen für den Bau von Grenzzäunen und Spezialisten. Der Denkansatz, mittlerweile aus taktischen Gründen gerne als „slowenische“ Idee verschleiert, wurde im vergangenen Jahr zuerst von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán formuliert. Es geht letztlich darum, Griechenland als grenzsichernde Instanz aufzugeben und nördlich davon eine Linie zu ziehen. Deutschland gibt zu bedenken, dass dann Griechenland Probleme bekäme. Ungarn kontert, dass Athen vielleicht solche Probleme braucht, um endlich zu handeln. […]

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