24. Februar 2014 · Kommentare deaktiviert für Grenzanlagen Mauern – „Angst vor Armen“ (Thränhardt) · Kategorien: Golfstaaten, Hintergrund, Marokko, Spanien · Tags: ,

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„Angst vor Armen lässt Mauern wachsen“

Harald Neuber

Neue Grenzanlagen sollen politische Lösungen durch technische Konzepte ersetzen. Ein Gespräch mit Migrationsforscher Dietrich Thränhardt

Es gibt eine lange Tradition des Mauerbaus, die nur kurz nach dem Ende des Kalten Kriegs unterbrochen wurde. Für Dietrich Thränhardt, Professor em. für Vergleichende Politikwissenschaft und Migrationsforschung an der Universität Münster, sind Mauern gegen Einwanderer ein Ersatz für politische Lösungen durch technische Konzepte, die dann dazu tendieren, eine Eigendynamik zu entwickeln. Techniken für den Grenzschutz sind überdies ein globales Geschäftsfeld.

Teil 6: USA grenzen sich von Amerika ab[1]: In den neunziger Jahren haben die USA Sperranlagen zu Mexiko errichtet. Nun soll die Konstruktion massiv ausgeweitet werden.

Herr Thränhardt, als 1989 die Berliner Mauer fiel, machte das Wort der Freiheit die Runde. Rund 25 Jahre später ist von der damaligen Euphorie nur noch wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil: Weltweit entstehen neue Mauen und Grenzanlagen. War die Freiheit von 1989 nur ein Trugbild?

Dietrich Thränhardt: Ja, diese große Euphorie ist dann ja schon mit dem Irak-Krieg von George Bush verflogen. Die Globalisierung hat die Welt zwar verbunden, aber die sozialen Unterschiede sehr viel schärfer hervortreten lassen, so dass wir eine völlig neue Lage haben. Und leider ist diese Euphorie eben nicht mehr da.

Sie haben in einem Essay geschrieben, dass weltweit nicht nur elf Grenzanlagen den Fall der Berliner Mauer überstanden haben, sondern dass seither sogar 22 solcher Grenzbefestigungen neu entstanden sind. Wie erklären Sie diesen Trend?

Dietrich Thränhardt: Nun, zunächst hat es am Ende des Kalten Krieges, also dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme, einen großen Abbau der Mauern gegeben. Es gibt nur einen Staat, der sie behalten hat, das ist Nordkorea, dort hat sich gar nichts geändert. Abgesehen davon hat sich damals jedoch sehr vieles gelockert. Aber dann sind von der Kerngruppe derjenigen Staaten, die sich der Globalisierung und der Freiheit der Märkte verschrieben haben, wieder neue Mauern hochgezogen worden. Die bekannteste ist sicherlich die Mauer der Vereinigten Staaten gegen Mexiko, eine sehr lange Anlage. Aber seither haben wir auch eine Reihe anderer, neuer Mauern entstehen sehen. Und wir können beobachten, dass der Hauptgrund des neuen Mauerbaus die Angst vor den Armen ist.

Nun gibt es in der Geschichte der menschlichen Zivilisation zahlreiche Beispiele für Sperranlagen. Aber vom Hadrianswall der Römer gegen die Pikten bis hin zur Berliner Mauer, über die wir anfangs ja schon gesprochen haben, sind sie alle gescheitert. Weshalb setzen Staaten weiterhin auf Abschottung?

Dietrich Thränhardt: Sie haben Recht, beide genannte Anlagen sind gescheitert. Gleiches trifft auf die Chinesische Mauer zu, das wohl größte Bauwerk dieser Art. Die Chinesische Mauer ist letztlich daran gescheitert, dass das politische Regime im damaligen China zerfallen ist.

Ich glaube, die anhaltende Faszination besteht darin, dass man so eine technische Lösung für politische Probleme zu finden meint. Die Mauer hilft auch dabei, sich gegenüber denjenigen auf der gegenüberliegenden Seite als anders zu definieren. Zudem gibt es, wenn man einmal mit dem Bau solcher Grenzanlagen begonnen hat, einen Trend, sie immer weiter zu verstärken und immer perfekter zu machen. Die inhärente Logik des Mauerbaus besteht darin, dass man entstehende Gefahren und bestehende Insuffizienzen dadurch zu beheben versucht, dass man die Abschottung immer perfekter macht.

So gesehen entwickelt der Mauerbau eine Eigendynamik. Ist die Technikgläubigkeit denn ein neuer Aspekt? Gerade an der US-mexikanischen Grenze werden schließlich erhebliche technische Mittel eingesetzt: Wärmebildkameras, Bewegungsmelder, selbst Ballons mit Kameras, die in einem Umkreis von Dutzenden Meilen die Wüste observieren können.

Dietrich Thränhardt: Diese Aufzählung ließe sich vor allem durch die um die moderne Drohnentechnik ergänzen. Da gibt es, so gesehen, noch viel technisches Innovationspotential. Ich denke, dass die Mauer immer gleichzeitig Symbol und Realität war. In unserer modernen Welt spielt der technische Aspekt aber ganz sicher eine sehr viel bedeutendere Rolle. Auch in unserem Alltag verlassen wir uns ja ständig auf moderne Techniksysteme. Insofern hat dieses Denken in unserer Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Es geht also im Grunde um das Ersetzen politischer Lösungen durch technische Konzepte, die dann dazu tendieren, eine Eigendynamik zu entwickeln.

Und was ist mit den wirtschaftlichen Interessen? Welche Rolle spielt der Eisenhowersche Militärisch-Industrielle Komplex?

Dietrich Thränhardt: Statt dieses Militärisch-Industriellen Komplexes gibt es inzwischen einen neuen Sicherheitskomplex, dem zum Teil dieselben Firmen angehören. Wenn man sich etwa EADS anschaut, dann wird einen schnell klar, dass eines der großen Probleme dieses Unternehmens der Rückgang der Verteidigungsausgaben in Europa ist. Insofern suchen EADS und andere Konzerne nun nach neuen Geschäftsfeldern. Dabei sind sie im Grenzschutz auch relativ erfolgreich, zumal es sich um ein globales Geschäftsfeld handelt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich all dies nicht nur in der westlichen Welt abspielt, also in Europa, den USA und Israel, sondern auch in Saudi-Arabien und Indien. Kurzum: Es ist ein weltweites Phänomen.

Die Ungleichheit in der Globalisierung drückt sich auch in der unterschiedlichen Freizügigkeit aus

Aber wie ist das alles denn mit der Globalisierung zu vereinbaren? Gibt es selektive, eine fragmentarische Globalisierung?

Dietrich Thränhardt: Ja, sicherlich. Das sieht man schon an den Visa-Regimen, die ja quasi die bürokratische Vorstufe dieser Sicherheitssysteme sind. Als Bewohner eines reichen Landes sind wir an weltweite Bewegungsfreiheit gewöhnt. Vielleicht mit der Ausnahme von Nordkorea dürfen wir überall hinfliegen, während die Menschen aus den ärmeren Ländern doch sehr eingeschränkt werden. Die bestehende Ungleichheit in der Globalisierung drückt sich damit auch in der unterschiedlichen Freizügigkeit aus. Der Auf- und Ausbau von Grenzsystemen ist ein Ausdruck dieser Situation. Übrigens nicht nur an den Außengrenzen, sondern auch innerhalb von Staaten in Form von „gated communities“, die noch einmal gesicherte Inseln in der Mauernwelt bieten, sozusagen wie eine mittelalterliche Burg, die einen äußeren Ring hatte, einen inneren Ring und dann noch mal einen Bergfried, auf den man sich zurückziehen konnte.

Mauern bieten also auf der einen Seite ein Refugium, können auf der anderen Seite aber auch eine tödliche Gefahr sein. Das sehen wir vor allem an der EU-Außengrenze. Innerhalb des abgeschirmten Bereiches wird dieses Problem zugleich ausgegrenzt. In Deutschland sprechen wir bis heute über 138 Tote an der innerdeutschen Grenze, den gut 2.000 Menschen, die alleine 2011 an den EU-Außengrenzen gestorben sind, kommt dem gegenüber jedoch relativ wenig Beachtung zu. Ist das nicht Ausdruck einer enormen moralischen Dissonanz?

Dietrich Thränhardt: Über diese Toten wird ja schon diskutiert, wenn sie sichtbar werden. Die Katastrophe von Lampedusa war in dieser Hinsicht auf jeden Fall ein Einschnitt, der eine Debatte ausgelöst hat. Sonst sind diese Toten im Mittelmeer aber sozusagen unsichtbar. Der Unterschied zwischen den beiden Fällen ist aber auch, dass das DDR-Regime eine totale Kontrolle über seine Handlungen hatte, während die Situation im Mittelmeer recht diffus ist und die Europäische Union keine hinreichende Kontrolle hat. Selbst die Organisation FRONTEX ist relativ klein und hat ein diffuses Gefüge, so dass die Handlungsfähigkeit recht beschränkt ist. Das ist bei der US-mexikanischen Grenze anders, weil der US-Staat ein zentraler Akteur in diesem Geschehen ist.

Geht es, wenn wir über die Motive sprechen, denn nur um den Sicherheitsaspekt, oder spielt nicht die Abwehr von Migrationsströmen eine immer zentralere Rolle?

Dietrich Thränhardt: Bei der US-mexikanischen Grenze war die Abwehr von Immigranten ohne Zweifel das primäre Motiv, Sicherheitsmotive waren zunächst sekundär. Bei der israelischen Mauer ist das umgekehrt. Bei den EU-Außengrenzen gibt es relativ wenige Mauern. Die bestehen nur in den beiden kleinen Enklaven Ceuta und Melilla von Spanien in Marokko, wo ein System entstanden ist, das man in der technischen Ausführung durchaus mit dem DDR-Grenzsystem vergleichen kann. Nur dass man eben nicht nach innen, sondern nach außen abschirmt. Da geht es zunächst um Migration, die aber von den EU-Mitgliedsstaaten immer weniger kontrolliert werden kann. Es gibt zwar Diskussionen, wie man diesen Zustrom aus Afrika alternativ bewältigen könnte. Ob man die regulären Einwanderungsmöglichkeiten ausbauen kann, um das abzufedern. Aber es gibt im Grunde bislang kein Konzept, das den Mauerbau ersetzen könnte.

Nun geht all dies auch mit einem politischen Diskurs einher. Der US-Politologe Samuel Huntington warnt angesichts des Immigrationsdrucks vor einer Überfremdung der USA und einem Kulturverlust. Diese Position steht in krassem Widerspruch zur These der Transnationalisierung, die der kubanische Anthropologe Fernando Ortíz vom südlichen Blickwinkel aus in den 1940er Jahren als positive Perspektive aufgestellt hat. Sorgen die neuen Mauern also auch wieder für eine Entfremdung der Menschen in der globalisierten Welt?

Dietrich Thränhardt: Das ist zweifellos der Fall, wenn man sich die reale Situation in diesen Grenzgebieten ansieht. Zwischen den USA und Mexiko ist der menschliche Kontakt total gestört. Die dortigen Gesellschaften waren früher transnational und das ist heute sicher nicht mehr so, weil man die Bewegungsfreiheit eingeschränkt hat. Und das ist ja die Ironie: Einerseits werden die Gesellschaften globalisiert und der Verkehr nimmt zu, andererseits aber macht man an den Grenzen diese Schnitte, die das Zusammenleben erschweren oder sogar unmöglich machen.

Insgesamt ist die Diskussion aber sehr konfus. Die These Huntingtons über einen Kulturkonflikt hat sich nicht halten lassen. Gleichzeitig haben wir aber seit den Terroranschlägen vom 11. September und dem Krieg von George W. Bush in Irak eine sehr starke Zuspitzung auf einen intensiv empfundenen Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen. Das ist, so allgemein ausgedrückt, natürlich unsinnig, aber weil dieser Konflikt sehr stark thematisiert wird, ist er sehr stark in den Herzen und in den Köpfen der Menschen verankert. Deswegen stoßen Abgrenzungsmaßnahmen in diesem Bereich rasch auf Widerhall. Andererseits wird dieses Schema bei anderen Konflikten durchbrochen. So gibt es in Westen eine große Sympathie mit dem ursprünglichen Aufstand in Syrien.

Die Mauern in den Köpfen und die Mauern auf der Erde sind also durchlässig?

Dietrich Thränhardt: Wir sehen nicht nur beim Hadrianswall, den Sie vorhin zitiert haben, und anderen alten Maueranlagen, dass sie nicht sehr wirksam gewesen sind. Auch die neuen Maueranlagen sind in ihrer Wirksamkeit nur sehr begrenzt, weil es immer wieder auch neue Entwicklungen gibt, die ihnen entgegenwirken.

Welche Alternative bleibt also?

Dietrich Thränhardt: Natürlich kann man nicht auf einen Schlag alle Grenzen öffnen, aber realistische Öffnungskonzepte müssen diskutiert werden. So besteht die Möglichkeit, dass wir die Visa-Beschränkungen gegenüber Ländern wie Russland und der Türkei, also stabilen Nachbarstaaten der EU, abschaffen und damit legale Bewegungsmöglichkeiten eröffnen. So könnten die restlichen Grenzen effektiver gesichert werden. Ein großes Potential sehe ich in der verstärkten globalen Freizügigkeit. Wir haben heute schon sehr viel mehr freien Verkehr, als wir uns das vor 30 oder 40 Jahren hätten vorstellen können. Von daher sehe ich die Lage nicht total negativ. Eine gezielte Öffnungspolitik kann sehr viel dazu beitragen, um menschliches Elend zu verhindern und unsere Gesellschaften offener zu machen.

Anhang

Links

[1]
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40785/

[1]
http://en.wikipedia.org/wiki/File:Verjamelilla.jpg

[2]
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

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