nzz 16.01.2014:
„Hungertote im Flüchtlingslager
Keine Hilfe für Yarmuk in Syrien
Jürg Bischoff, Beirut
Aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Yarmuk bei Damaskus, das von Aufständischen besetzt und von Regierungstruppen umstellt ist, hat es in den letzten Tagen immer mehr Berichte über eine akute Hungersnot gegeben. Eine palästinensische Menschenrechtsgruppe meldete Anfang Januar, 28 Personen seien an Unterernährung oder wegen fehlender Medikamente gestorben, und laut Aktivisten im Camp hat sich diese Zahl unterdessen auf gegen 50 erhöht. Ein Versuch, den Einwohnern Hilfe zu bringen, ist am Montag gescheitert.
Von der Armee belagert […]
Mehrere Städte in der Agglomeration von Damaskus sind in der gleichen Lage wie das Palästinenserlager, das am südlichen Stadtrand liegt. Die Rebellen waren im Dezember 2012 nach Yarmuk eingedrungen, obwohl die PLO die Neutralität der Palästinenser im innersyrischen Konflikt erklärt hatte. Nach einem Vorstoss der Regierungstruppen im letzten Juli wurde das Lager umstellt, und seit September kann die UNRWA keine Hilfe mehr hineinbringen. Die meisten der 160 000 Bewohner flüchteten, laut der UNRWA befinden sich heute jedoch immer noch 20 000 Palästinenser im Lager.
Kein Erbarmen
Die Belagerung hat zur Folge, dass praktisch keine Lebensmittel und Medikamente mehr nach Yarmuk hineinkommen. Was noch zu finden ist, ist für die meisten Einwohner unerschwinglich. Der Imam einer Moschee im Lager soll im Herbst eine Fatwa, ein religiöses Gutachten, erlassen haben, die den Einwohnern erlaubt, das Fleisch von Katzen, Hunden und Eseln zu essen. Das Lager erhält auch keine Elektrizität mehr und wird nur noch sporadisch mit Wasser versorgt.
Mit seiner Taktik, von Rebellen besetzte Ortschaften auszuhungern, will das Regime deren Einwohner dazu bringen, den Abzug der Kämpfer zu verlangen. In einigen Fällen ist ihm dies auch gelungen. Die PLO versucht seit Monaten, den Abzug der Aufständischen aus Yarmuk auszuhandeln, um das Lager zu neutralisieren, bis jetzt ohne Erfolg. Im Dezember sagte UNRWA-Direktor Filippo Grandi warnend, bald sei es zu spät, um Tausende von Menschenleben zu retten. Sein Appell wurde bisher nicht gehört.“