02. Januar 2014 · Kommentare deaktiviert für „Ägypten: Die Armen sind die Revolutionsverlierer“ · Kategorien: Ägypten

Quelle: Zeit Online

von An­drea Back­haus

[…] Ein Be­such in Im­ba­ba ist ein Aus­flug ins Elend. Dicht an dicht ste­hen brü­chi­ge Bau­ten, da­zwi­schen drän­gen sich mor­sche Ba­ra­cken und ver­wil­der­te La­ger­stel­len. In den Gas­sen, in die kaum Ta­ges­licht dringt, gam­meln Es­sens­res­te, Ab­was­ser rinnt aus den Häu­sern auf die san­di­gen Durch­gän­ge. Im­ba­ba ist einer der größ­ten Slums der Welt. Er liegt neben der ele­gan­ten Kai­ro­er Nil-​In­sel Ge­zi­ra mit den Bou­ti­quen und mon­dä­nen Cafés, im Süden trennt ihn nur eine mehr­spu­ri­ge Stra­ße von Mo­han­des­sin, einem Vier­tel für die ge­ho­be­ne Mit­tel­schicht. Schät­zungs­wei­se zwei Mil­lio­nen Men­schen leben in Im­ba­ba. Wie viele es genau sind, weiß nie­mand. Doch es wer­den immer mehr.

Das Zie­gel­haus liegt in einem Hin­ter­hof. Eine Be­ton­trep­pe führt hin­auf in die Woh­nung von Abdel Hadi. Hier lehnt der Fa­mi­li­en­va­ter, An­fang 40, Bart, kräf­ti­ge Sta­tur, auf der Sitz­bank in der kar­gen Ein­gangs­hal­le und rückt sich die Ge­bets­müt­ze zu­recht. „Das Leben wird här­ter“, sagt er. „Aber Gott wird uns hel­fen.“ Es ist Abdel Hadis frei­er Tag. Seine Frau Sarah be­rei­tet in der Küche das Mit­ta­ges­sen zu, die drei Kin­der toben durch die drei klei­nen Räume. Das Mo­bi­li­ar ist über­schau­bar: ein paar Tep­pi­che, zwei Schrän­ke, drei Bet­ten. Vor zehn Jah­ren habe er das Haus ge­baut, sagt Abdel Hadi, für sich und seine drei Brü­der, die hier eben­falls mit ihren Fa­mi­li­en leb­ten, weil es in Im­ba­ba noch güns­tig sei. „Der Staat igno­riert die Armen. Des­halb sor­gen die Fa­mi­li­en für­ein­an­der.“Fast die Hälf­te Kai­ros be­steht mehr oder we­ni­ger aus Elends­vier­teln, Im­ba­ba ist das be­kann­tes­te. In die­sen in­for­mel­len Sied­lun­gen, meist von Land­flücht­lin­gen am Stadt­rand er­rich­tet, woh­nen jene 40 Pro­zent der Ägyp­ter, die von wenig mehr als einem Euro pro Tag leben müs­sen. Jah­re­lang hatte die Re­gie­rung unter Hosni Mu­ba­rak die Aus­deh­nung die­ser Vier­tel igno­riert. Seit der Re­vo­lu­ti­on 2011 ist die Zahl der il­le­ga­len Bau­ten dann na­he­zu ex­plo­diert – was die Pro­ble­me dort noch ver­schärft. Die Ar­beits­lo­sig­keit be­trägt stel­len­wei­se acht­zig Pro­zent, jeder Zwei­te kann nicht lesen und schrei­ben. […]

„Wir leben auf engs­tem Raum. Die Was­ser-​ und Strom­ver­sor­gung ist mi­se­ra­bel. Es gibt keine Stra­ßen, keine Ka­na­li­sa­ti­on, keine Müll­ab­fuhr“, sagt Abdel Hadi, der in der In­nen­stadt Au­to­er­satz­tei­le ver­kauft. Nichts sei bes­ser ge­wor­den seit der Re­vo­lu­ti­on. Die stete Un­ru­he habe nicht nur den Tou­ris­mus zum Er­lie­gen ge­bracht, „die­ses Le­bense­li­xier aller Ägyp­ter“. Auch Kun­den blie­ben aus, weil Trä­nen­gas um den Tahr­ir-​Platz wehe oder die Po­li­zei ganze Stra­ßen­zü­ge ab­rieg­le. In guten Zei­ten habe er 300 Pfund, rund 30 Euro, in der Woche ver­dient. Heute seien es oft nur zehn Euro. An der Wand surrt der Kühl­schrank, ge­gen­über zeigt ein Mi­ni-​Flach­bild­schirm eine Ver­fol­gungs­jagd zwi­schen Tom und Jerry. „Uns geht es bes­ser als vie­len an­de­ren hier. Doch selbst wir kön­nen uns oft nicht genug Essen leis­ten.“

Es sind die Men­schen in Vier­teln wie Im­ba­ba, deren Hoff­nung auf einen Wan­del am meis­ten ent­täuscht wurde. Im­mer­hin war die wirt­schaft­li­che Mi­se­re ein zen­tra­ler An­trieb für den Volk­s­auf­stand 2011, der zum Sturz des Lang­zeit­prä­si­den­ten Mu­ba­rak führ­te. Wer auf dem Tahr­ir-​Platz pro­tes­tier­te, hoff­te auf Ar­beit, Bil­dung und eine Per­spek­ti­ve. Aber die mas­si­ven öko­no­mi­schen Pro­ble­me blie­ben unter dem Is­la­mis­ten Mo­ham­med Mursi be­ste­hen. Und auch das Mi­li­tär, das seit Mur­sis Sturz An­fang Juli die Ge­schi­cke lenkt, hat bis­her weder die Ar­beits­lo­sig­keit, die hohen Prei­se für Mie­ten und Le­bens­mit­tel noch die an­hal­ten­de Strom-​ und Ben­zin­knapp­heit ein­däm­men kön­nen.

„Die Si­tua­ti­on hat sich seit 2011 vor allem für die är­me­ren Ägyp­ter spür­bar ver­schlech­tert“, sagt der Ägyp­ten-​Ex­per­te Ste­phan Roll von der Ber­li­ner Stif­tung Wis­sen­schaft und Po­li­tik. Keine Re­gie­rung nach Mu­ba­rak hat die not­wen­di­gen Re­for­men an­ge­sto­ßen. So gibt Ägyp­ten noch immer einen Groß­teil des Staats­haus­halts für Ben­zin-​, Strom-​ und Brot­sub­ven­tio­nen aus, ein Re­likt aus der Nas­ser-​Zeit, das mehr denn je die wirt­schaft­li­che Zu­kunft des Lan­des ge­fähr­det. Denn das Sub­ven­ti­ons­sys­tem diene dazu, die Är­me­ren ruhig zu stel­len und den Eli­ten Pro­fit zu be­sche­ren, sagt Roll. „Ägyp­ten braucht einen neuen Ge­sell­schafts­ver­trag. Aber eine so tief­grei­fen­de Ver­än­de­rung in einer so schwie­ri­gen Lage durch­zu­set­zen, ist fast un­mög­lich.“

Es ist Es­sens­zeit. Abdel Hadi ver­teilt Schüs­seln auf dem Boden im Wohn­zim­mer, es gibt Spa­ghet­ti, Fleisch­spie­ße und Brot. Das größ­te Pro­blem sei die Kor­rup­ti­on, sagt er, und lässt sich neben Mo­ham­med, dem äl­te­ren Sohn, auf die Knie fal­len. „Hier herrscht weder Recht noch Ge­setz. Die Mafia re­giert.“ Über­all müsse man be­zah­len, wenn man mehr wolle als die Grund­ver­sor­gung, die „küm­mer­lich“ sei, wie Hadi sagt. Wer kann, kaufe ge­sun­des Essen und rich­ti­ge Me­di­ka­men­te auf dem Schwarz­markt. In der Schu­le zahle man hor­ren­de Ge­büh­ren für Nach­hil­fe, weil die Kin­der im Un­ter­richt nichts lern­ten. „In Im­ba­ba sieht man, wie der Staat ver­sagt.“

[…] Des­halb or­ga­ni­sier­ten sich viele Be­woh­ner in der letz­ten Zeit selbst in Netz­wer­ken, die nicht sel­ten den Mus­lim­brü­dern oder Sala­fis­ten na­he­ste­hen. In Im­ba­ba hat der Nach­bar­schafts­aus­schuss des An­wal­tes Kha­led Atef Po­pu­la­ri­tät er­langt, weil er mit­hil­fe der Is­la­mis­ten eine Stra­ße re­pa­rier­te und einen Schwarz­händ­ler ding­fest mach­te, der Brenn­stoff zu Wu­cher­prei­sen anbot. Indes: Seit das Mi­li­tär gegen die Mus­lim­brü­der vor­geht, sind sol­che Vor­ha­ben na­he­zu un­mög­lich ge­wor­den. Im­ba­ba gilt als ein Zen­trum is­la­mi­scher Fun­da­men­ta­lis­ten und steht schon lange im Vi­sier der Si­cher­heits­kräf­te.

Nun aber gibt es, wie Be­woh­ner be­rich­ten, Raz­zi­en und will­kür­li­che Ver­haf­tun­gen, et­li­che Or­ga­ni­sa­to­ren sol­cher Orts­grup­pen seien ver­schwun­den. Seit Kur­zem, sagt Hadis Frau Sarah, kämen die Mi­li­tärs, um Brot und Stif­te zu Spott­prei­sen zu ver­kau­fen. „Sie wol­len sich Stim­men für die Wahl holen.“ Sie flüs­tert fast. „Aber hier hal­ten die Men­schen zu Mursi. Sie sagen, nur die Rei­chen un­ter­stüt­zen das Mi­li­tär.“ Abdel Hadi springt auf. Gleich komme der Scheich, um den Kin­dern, wie jeden Sonn­tag, die hei­li­gen Verse des Ko­rans bei­zu­brin­gen. Das sei teuer, aber un­ver­zicht­bar. „Es geht um die Zu­kunft mei­ner Kin­der.“ […]“

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