02. Januar 2013 · Kommentare deaktiviert für Von der Pan-Sahel-Initiative zum neuen Grenzregime in der Sahara · Kategorien: Algerien, Europa, FFM-Texte, Libyen, Mali, Sahara · Tags: ,

von Helmut Dietrich, in: inamo 72 (2012)

In den nordafrikanischen Internet-Foren schreibt man bereits über die neuen Grenzanlagen, die in Südalgerien entstehen: Die Rede ist von einer Abschottung in den Dimensionen der US-Grenze gegenüber Mexiko. In der Tat drängte die US-Staatssekretärin Hillary Clinton bei ihren Besuchen in Algier 2005 und erneut Ende Oktober 2012 zur Schließung der algerischen Südgrenze. Dieses Mal scheint die US-Regierung Erfolg zu haben. Die algerischen Militärs fürchten die Ausbreitung der nordmalischen Touareg-Aufstände. Die Unruhen könnten auf Algerien übergreifen, sollte es zur internationalen Militärintervention unter US- und EU-Kommando in Nordmali kommen.

Nun hat das algerische Militär als Bauherr die elektronische Aufrüstung der Südgrenze zu Mali ausgeschrieben, Kostenplan: 1,5 Milliarden Dollar. Die Anlage soll mit einer intensiven Luftüberwachung ergänzt werden. Algerische „Counter-insurgency“-Spezialtruppen sind an der Grenze aufgezogen. 13 neue Militärbasen für algerische Gendarmerie-Einheiten wurden bereits errichtet. Ein erster 50 km langer Abschnitt bei der algerischen Stadt Bourj Badji Mokhtar wurde in aller Eile mit elektronischer Grenzüberwachung aufgerüstet.

Der algerische Militärkommandant Ben Thamer ließ verlauten, dass Algerien den Grenzschutz auf doppelte Weise angeht: Einerseits werden neue Straßen gebaut, Glasfasernetze verlegt und die Zirkulation des grenzüberschreitenden Warenverkehrs gefördert. Andererseits sollen „Terroristen und Waffenschmuggler“ an ihren grenzüberschreitenden Bewegungen gehindert werden. Tatsächlich wird die aufgerüstete Grenze die Bande der lokal-mobilen Bevölkerung und die Strecken der Transitmigration zu zerschneiden versuchen.

Mit der elektronischen und polizeilich-militärischen Grenzaufrüstung in der Sahara kommt Algerien nicht nur den US-Forderungen im Zuge der Mali-Krise nach. Die Errichtung eines neues Grenzregimes quer durch die Sahara, vom mauretanischen Atlantik bis längs der Südgrenze Libyens, ist vielmehr ein langgehegter Wunsch der europäischen Festungs-Strategen. In den letzten 10 Jahren war er nicht umsetzbar.

Die Riege der nordafrikanischen Diktatoren begann zwar nach den Vorgaben der EU-Sicherheitsdoktrin ab 2003/2004, nach Ausreisewilligen und TransitmigrantInnen zu fahnden, und hatte dann mit dieser vorweggenommenen Aufstandsbekämpfung genug zu tun. Ungenehmigte Ausreise – über das Mittelmeer nach Europa – wurde seit 2004 nach und nach in allen nordafrikanischen Staaten zum Straftatbestand. Als die tunesische Küstenabschottung im Zuge der Aufstände ab Ende 2010 zusammenbrach, gewann schlagartig der Aufbau eines zweiten vorverlagerten Rings der Festung Europa – quer durch die Sahara – an Aktualität.

Sodann ist es die neue militärtechnologische Entwicklung, die die Überwachung der Wüste möglich machen könnte. Während die französischen Militärs im 19. Jahrhundert die Eroberung der Sahara versuchten, indem sie quer durch die Wüste eine Eisenbahn bauen wollten und die Strecken mit einer unaufhörlichen Reihe von Befestigungsanlagen kombinierten, so stehen heute Drohnen, Satellitenaufklärung, Radars und Sensoren zur Verfügung, erprobt im Krieg im Irak und in Afghanistan. Das erste Experimentierfeld, wie diese Technik in der europäischen Flüchtlingsbekämpfung einzusetzen ist, verlief im westlichen Mittelmeer und am Atlantik, von Spanien bis nach Senegal und weiter bis zu den Kapverden.

Jetzt stehen die nächsten Schritte bevor. Die EU baut zivil-militärische Stützpunkte in Benghasi und Tripolis auf, auch Tunis und Algier wurden hartnäckig gefragt. In Bamako errichtet die EU in Kürze eine erste Missionsstelle. Im November 2012 schickte die EU eine Fact-Finding-Mission nach Libyen, um auszuloten, ob Libyen ebenfalls zu einer elektronisch-militärischen Abschottung seiner Südgrenze zu bewegen ist. Libyen hat zwar keine Grenze zu Mali, aber im Zuge der Mali-Intervention könnten „illegale Migranten“ und „Asylsuchende“ über Libyen nach Europa drängen, so die offizielle Diktion. Bei der Reisegruppe und auch auf den zivil-militärischen Stützpunkten ist dabei: Frontex, die berüchtigte EU-Agentur zur Abschottung der Außengrenzen.

Schon mit der Pan-Sahel-Initiative des Pentagons (2003) und den EU-Abschiebelagern in Nordafrika, die Blair, Schily und Berlusconi 2003 vorschlugen, wurde eine furchtbare Vision erkennbar: Der schwarzafrikanische Kontinent soll im weltgeschichtlichen Massstab definitiv abgehängt werden. Doch auch die französischen Kolonialisten sind schon vor 150 Jahren angesichts des Sahara-Widerstands buchstäblich im Sand steckengeblieben.

Heft Nr. 72

Neokolonialismus (Inhalt)

Jahrgang 18, Winter 2012,
64 Seiten
27. Dezember 2012

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