08. November 2012 · Kommentare deaktiviert für Desertec Krise – Spanien Marokko · Kategorien: Deutschland, Marokko, Spanien
Kampf um den Wüstenstrom
08.11.2012
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58455

BERLIN/RABAT
(Eigener Bericht) – Das deutsche Ökostrom-Milliardenprojekt „Desertec“ steuert auf seine erste große Krise zu. Drei Jahre nach seiner Gründung kann das Konsortium „Dii GmbH“ („Desertec Industrial Initiative“) mit Sitz in München immer noch keine größeren Erfolge vorweisen. Der Siemens-Konzern, einer der führenden industriellen Träger des Vorhabens, verlässt zum Jahresende den Firmenverbund; trotz intensiver Unterstützung durch das Auswärtige Amt, das am gestrigen Mittwoch in seinen Räumlichkeiten eine Desertec-Konferenz eröffnet hat, verweigert die Regierung des krisengeschüttelten Spanien einem wichtigen Dii-Pilotprojekt ihre Zustimmung. Bei diesem handelt es sich um ein Solarkraftwerk in Marokko, das schon in wenigen Jahren Strom für Europa gewinnen soll und Teil der von Berlin geförderten Pläne ist, Nordafrika zum Ökostrom-Lieferanten für die kerneuropäischen Wohlstandszentren umzugestalten. Dem stockenden Desertec-Projekt bietet jetzt ein chinesisches Unternehmen seine Mitarbeit an. Berlin reagiert mit Skepsis: Käme es zum Einstieg der Firma, könnten Gewinne sowie Folgeaufträge nach Asien abfließen, was wiederum die deutschen Profite schmälern würde.
Megaprojekt Desertec
Die Dii GmbH, am 30. Oktober 2009 unter großem Medienrummel gegründet, gilt als gegenwärtig ehrgeizigstes Projekt der deutsch-europäischen Ökostrom-Industrie. Ziel des Konsortiums ist es, die „Desertec“-Pläne, die bereits Jahre zuvor unter deutscher Führung entwickelt wurden [1], profitabel zu realisieren. Das Kernanliegen ist es, die riesigen Wüstengebiete Nordafrikas zur Gewinnung von Strom aus Sonnen- und Windenergie zu nutzen. Dazu sind gewaltige Solar- und Windparks geplant, die über Unterseekabel an das europäische Stromnetz angeschlossen werden sollen. Bis 2050 könne man damit gut 15 Prozent des Strombedarfs in der heutigen EU decken, heißt es in Fachkreisen; der Bezug fossiler Energieträger aus politisch eher heiklen Weltgegenden könne dann zurückgeschraubt werden. Zu den Gesellschaftern der deutsch dominierten Dii GmbH gehören einschlägige Konzerne wie E.ON, RWE, die Deutsche Bank oder Munich RE, assoziierte Partner sind Unternehmen wie Evonik und Bilfinger Berger sowie führende Forschungseinrichtungen Deutschlands – die Fraunhofer- und die Max-Planck-Gesellschaft.
In der Krise
Noch bevor sie größere Erfolge erzielen konnte, ist die Dii GmbH nun in ihre erste Krise geraten. Schon seit geraumer Zeit wird kritisiert, die ehrgeizigen Planungen kämen nicht recht voran; letzte Woche kündigte nun der Siemens-Konzern, eines der maßgeblichen industriellen Flaggschiffe von Dii, an, sich zum Jahresende aus dem Konsortium zurückzuziehen. Hintergrund ist einerseits, dass Siemens sein Solargeschäft vollständig einstellen wird. Auf dem Solarenergie-Weltmarkt, den die deutsche Industrie mit starker staatlicher Unterstützung erobern zu können gehofft hatte (german-foreign-policy.com berichtete [2]), haben inzwischen Unternehmen aus China führende Positionen inne [3]. Bei Siemens heißt es hingegen, die ursprünglichen Erwartungen in puncto Sonnenenergie seien nicht in Erfüllung gegangen. Der Konzern muss nun etwa den israelischen Solarthermie-Spezialisten Solel, den er erst 2009 für 284 Millionen Euro übernommen hatte [4], verkaufen. Sein Rückzug aus der Solarbranche – ein schwerer Schlag für die deutsche Öko-Industrie – ist allerdings nicht der einzige Grund für den Ausstieg bei Dii. Beobachter weisen darauf hin, dass Siemens auch weiterhin auf dem Windenergie-Sektor expandieren will; Windparks sind ein zentrales Element der Dii-Planungen. Die Trennung des Münchner Unternehmens von der in München angesiedelten Dii müsse daher auch in der schleppenden Entwicklung des Wüstenstrom-Konsortiums begründet sein, ist zu hören.
Das Pilotprojekt
Mit einem Pilotprojekt will Dii nun endlich den Durchbruch erzielen. Dabei handelt es sich um ein 150-Megawatt-Solarkraftwerk, das unweit der marokkanischen Kleinstadt Ouarzazate am Fuße des Atlasgebirges gebaut werden soll. Berlin hat das Vorhaben, das bereits seit zwei Jahren diskutiert wird, politisch begleitet und es in eine deutsch-marokkanische „Energiepartnerschaft“ eingebettet, die am 21. September 2012 in Anwesenheit des Bundeswirtschaftsministers in der marokkanischen Hauptstadt Rabat gestartet worden ist. Die „Energiepartnerschaft“ umfasst den Aufbau von Solar-, Wind- und Wasserkraftwerken in Marokko, das seine Abhängigkeit von Energieimporten durch die Nutzung erneuerbarer Energien beträchtlich verringern will. An den lukrativen Geschäften ist unter anderem der RWE-Konzern beteiligt. Eine Absichtserklärung zur Begleitung des Kraftwerk-Baus bei Ouarzazate sollte am gestrigen Mittwoch von Vertretern Deutschlands, Marokkos, Frankreichs, Spaniens und Italiens unterzeichnet werden, um dem Vorhaben finanzielle und politische Hilfen zu verschaffen; sie ist vorläufig geplatzt, weil Spanien die Zustimmung noch verweigert. Hintergrund ist, dass das krisengeschüttelte Land gegenwärtig durch den Stromexport nach Marokko wichtige Einkünfte erzielt und nicht bereit ist, seinen Staatshaushalt durch Zuschüsse für deutsch dominierte Energieprojekte zu belasten. Ohne spanische Beteiligung ist das Desertec-Projekt jedoch zum Scheitern verurteilt – der Strom aus Nordafrika soll durch die Meerenge von Gibraltar nach Europa geleitet werden, also über spanisches Territorium. Berlin hat angekündigt, Madrid jetzt umgehend zur Zustimmung veranlassen zu wollen.
Milliardenmärkte
Geht es Berlin politisch darum, Nordafrika als Energiereservoir auch jenseits von Erdöl und Erdgas zu erschließen und zudem seine Stellung im traditionellen französischen Einflussgebiet dort zu stärken, so reichen die ökonomischen Perspektiven über Nordafrika und seine Profitchancen hinaus. Bestrebungen, Wüstengebiete zur Gewinnung von Strom aus Wind- und Solarenergie zu nutzen, gibt es mittlerweile auch in den reichen Diktaturen der Arabischen Halbinsel, die gegenwärtig zwar noch über immense Öl- und Gasvorräte verfügen, aber begonnen haben, ihre Wirtschaft auf die Zeit nach deren Erschöpfung vorzubereiten. Saudi-Arabien zum Beispiel habe „kürzlich 110 Milliarden Dollar für Solarkraftwerke freigemacht“, berichtet Dii-Chef Paul van Son.[5] Vorteilhaft für die Dii-Mitgliedsfirmen ist dabei, dass der saudi-arabische Konzern ACWA Power der Initiative angehört – ein im Wirtschafts-Establishment der saudischen Hauptstadt Riad solide verankertes Unternehmen. ACWA Power hat unlängst den Auftrag für den Bau des Dii-Pilotprojekts bei Ouarzazate erhalten, das die Bundesregierung mit einer zweistelligen Millionensumme fördern will. Die Investition, die zur sonstigen engen deutschen Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und seinen Islamisten passt [6], könnte sich – mit Blick auf die saudischen Solarenergiepläne – auch wirtschaftlich durchaus lohnen.
Chinesische Einstiegspläne
Entsprechend skeptisch wird in Berlin registriert, dass zwei außereuropäische Konzerne an dem ins Stocken geratenen Dii-Projekt mitarbeiten wollen – die US-amerikanische First Solar und die State Grid Corporation of China (SGCC). First Solar ist mit seinem Werk in Frankfurt an der Oder in der Bundesrepublik verankert, wobei dieses allerdings zum Jahresende geschlossen werden soll. SGCC hingegen gilt in Wirtschaftskreisen als „Schwergewicht“: Der Konzern ist der größte Netzbetreiber weltweit, beschäftigt rund 1,5 Millionen Menschen und gehört mit einem Jahresumsatz von zuletzt 156 Milliarden Euro zu den größten Unternehmen überhaupt.[7] Anfang 2012 ist er mit 25 Prozent beim portugiesischen Netzbetreiber REN eingestiegen und will nun weiter expandieren. Sollte es zum Einstieg von SGCC bei Dii kommen, dann gingen nicht nur direkte Profite, sondern wohl auch lukrative Folgeaufträge nach Asien, heißt es in Berlin; dort galt das Desertec-Projekt ursprünglich auch als Instrument zum weiteren Ausbau der deutschen Ökostrom-Industrie. Daher ist – auch wenn ein Einstieg von SGCC unter Vertretern des Konsortiums als prinzipiell willkommene „Erweiterung der industriellen Basis“ gilt [8] – mit erheblichen politischen Widerständen zu rechnen.
[1] s. dazu Ergänzungsraum und Solarkolonien
[2] s. dazu Die Klimaschutz-Gewinner, Zukunftsbranche und Kampf um IRENA
[3] s. dazu Abstiegskämpfe
[4] s. dazu Zur Sonne, zum Profit
[5] „Wir brauchen finanzielle Unterstützung“; www.zeit.de 06.11.2012
[6] s. dazu Hegemonialkampf am Golf (II), Konfliktprävention mit den Golfdiktaturen und Die Islamisierung der Rebellion
[7], [8] Solarprojekt Desertec lockt Chinesen an; www.ftd.de 05.11.2012

Beitrag teilen

Kommentare geschlossen.