28. Januar 2013 · Kommentare deaktiviert für Tunis Flüchtlingsprotest – 100 Flüchtlinge aus dem Lager Choucha nach Tunis aufgebrochen · Kategorien: Libyen, Tunesien · Tags:

Raus aus der Isolation!

Etwa hundert abgelehnte Asylsuchende aus dem Flüchtlingslager Choucha protestieren in der tunesischen Hauptstadt

FTDES Erklärung Choucha

open letter 2013 01 27

Etwa hundert Geflüchtete aus dem Flüchtlingslager Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze sind am Montag, den 28. Januar, in Tunis angekommen, um dort einen mehrtägigen Protest durchzuführen. Nachdem sie seit zwei Jahren in Zelten in der Wüste leben müssen, ihre Asylverfahren vom UNHCR nachlässig bearbeitet und schließlich abgelehnt wurden und ihnen seit Oktober 2012 selbst der Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung gestrichen wurde, haben die Protestierenden die nötigen Schritte unternommen, um gegen ihre Isolation und
Perspektivlosigkeit einzutreten.

Aus Wartenden werden Handelnde

Das während des Libyenkriegs im Februar 2011 vom UNHCR errichtete Lager Choucha bot Fliehenden die Möglichkeit, ein Asylverfahren zu durchlaufen und mit dem Resettlement- Programm in teilnehmende Drittstaaten auszureisen. Das Leben im Flüchtlingslager hatte, vor allem für die vom UNHCR nicht anerkannten Flüchtlinge, in den letzten zwei Jahren nicht viel zu bieten außer erdrückendem Warten, Hitze und Sandstürmen am Rand der Wüste. Dieses Lager muss im Kontext der Externalisierungspolitik der EU gesehen werden, es hielt viele Menschen davon ab, mit einer Bootsüberfahrt nach Italien das EU-Grenzregime herauszufordern. Gleichzeitig ließ sich mit der partiellen Aufnahme von Flüchtlingen medial ein konträres Bild zur militarisierten Migrationsbekämpfung zeichnen. Deutschland (82 Mio. Einwohnende) tat sich hierbei mit der generösen Aufnahme von 205 Flüchtlingen hervor, während Tunesien (ca. 10 Millionen Einwohnende) während des Libyenkriegs eine halbe Million Menschen aufnahm. Am Resettlementverfahren darf jedoch nur teilnehmen, wer das Flüchtlingszertifikat besitzt. Viele derer, die vom UNHCR nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, sind bereits in ihre Herkunftsländer zurück gereist – die meisten nicht wirklich freiwillig, sondern unter Druck und mangels Alternativen – oder sie versuchten die gefährliche Überfahrt per Boot Richtung Europa. 230 von ihnen, überwiegend Menschen aus Subsahara-Afrika wie z.B. Nigeria, dem Tschad und der Elfenbeinküste, sind jedoch noch immer in Choucha. Sie werfen dem UNHCR schwere Fehler und große Nachlässigkeit bei der Bearbeitung ihrer Asylverfahren vor. Diese Fehler reichen von parteiischen und inkompetenten Dolmetschenden, falsch dokumentierten Orts- und Familiennamen bis hin zu der Zusammenarbeit mit Staatsorganen, vor denen die Asylsuchenden flohen. Die darauffolgende Ablehnung und Perpektivlosigkeit dieser Gruppe von etwa 230 Menschen führte zu diversen Protestaktionen im letzten Jahr und nun zu der aktuellen Forderung – mit der einhundert von ihnen nach Tunis reisten – nach einer unabhängigen Überprüfung der abgelehnten Fälle.

Kein Mensch ist illegal – auch in Tunesien nicht

Die Fahrt nach Tunis stellt als solche schon einen widerständigen Protestakt dar. Weil sie vom UNHCR abgelehnt wurden, ist die Gruppe der etwa 230 Flüchtlinge, „illegal“ in Tunesien und die Reisefreiheit im Land wird ihnen verwehrt. Daher können sie jederzeit festgenommen, inhaftiert und – wenn der Tunesische Staat dazu bereit ist – abgeschoben werden. Bisher wurden Illegalisierte stets nur kurz inhaftiert und mit dem Hinweis darauf, dass der UNHCR für sie verantwortlich sei, zurück nach Choucha geschickt. In diesem Ping-Pong der Verantwortlichkeiten sei das jüngste Verhalten des UNHCR hervorgehoben. Seit Oktober 2012 wird den abgelehnten Asylsuchenden jeglicher Zugang zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung vorenthalten und spätestens im Juni 2013 soll das Lager komplett geschlossen werden, ohne dass den Abgelehnten akzeptable Alternativen angeboten werden. Dieses skandalöse Verhalten einer renommierten humanitären Organisation zielt offensichtlich darauf ab, die Betroffenen auf brutalste Weise zur Ausreise zu zwingen. Die Flüchtlinge betonen jedoch aufgrund von Verfolgung und/oder Krieg nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren zu können, was der UNHCR mit einer adäquaten Überprüfung ihrer Fälle selbst feststellen könnte. Zudem lehnen sie den zynischen „Alternativ“-Vorschlag des UNHCR, zurück nach Libyen (1) zu gehen, entschieden ab. Daher sind zwei weitere ganz zentrale Forderungen des aktuellen Protests die Wiederaufnahme der Versorgung im Flüchtlingslager, sowie Resettlement-Plätze für alle noch in Choucha Verweilenden. Letztere Forderung ist neben dem UNHCR auch an die EU und NATO Staaten gerichtet, die mit ihrer Intervention im Libyenkrieg für die jetzige Situation mitverantwortlich sind. Um diese Forderungen gegenüber UNHCR und EU zu unterstreichen und sie der tunesischen und internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, protestieren die Flüchtlinge aus Choucha mehrere Tage lang in Tunis. Dabei sind sie auf vielfältige Unterstützung angewiesen!

  • Verbreitet die Information über den Protest über Mailinglisten, Facebook und mit euren Mündern!
  • Unterschreibt den offenen Brief mit den Forderungen der Protestierenden an Ursula Schulze  Aboubacar, der Chefin des tunesischen UNHCR! (http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=56)
  • Nehmt an der Faxkampagne teil und schickt das FAX (englisch: http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=51, francais: http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=53,   deutsch: http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=52) an UNHCR
    Büros in euren Ländern und an die in Tunesien zuständige UNHCR-Repräsentantin!
  • Spendet für Lebensmittel, Transport und Telekommunikationsmittel der Protestierenden auf
    folgendes Konto:
    FFM Berlin
    Sparkasse der Stadt Berlin
    Account number: 61 00 24 264
    Bank code: 100 500 00
    Keyword: „Choucha“
  • Organisiert Solidaritätsaktionen – Weltweit vor UNHCR Büros!

Weitere Infos findet ihr unter:

http://voiceofchoucha.wordpress.com
http://chouchaprotest.noblogs.org
https://archiv.ffm-online.org/
http://afrique-europe-interact.net/
http://www.borderline-europe.de/

Kontakt Deutschland: 00491734108642 (deutsch, englisch, französisch)

Kontakt zu Protestierenden: 004915210453991 (deutsch, englisch, französisch, arabisch)

(1) Libyen bietet immer noch keine Sicherheit – vor allem Schwarze Menschen sind von ständiger willkürlicher Verhaftung und rassistischer Gewalt bedroht. Viele Menschen die in Choucha leben haben dementsprechende Erfahrungsberichte von nach Libyen Zurückgekehrten bekommen.

 

Break the isolation!

About 100 rejected asylum seekers from the refugee camp in Choucha are currently protesting in  the Tunisian capital.

About 100 refugees from the refugee camp in Choucha, which lies on the border between Tunisia and Libya, reached Tunis on Monday 28th January in order to stage a protest that will continue for several days. They had no choice but to live in the desert for two years while the UNHCR negligently worked on their cases, and eventually rejected them as refugees. Since October 2012 they have been denied access to food and medical care. Now the protesters have taken the necessary steps to challenge their isolation and the consequent lack of prospects. Idle individuals become activists The camp in Choucha was established during the Libyan civil war during winter 2011. It offered refugees the opportunity to access an asylum procedure and to travel on to participating states in the framework of the resettlement programme. Over the past two years, daily life in the refugee camp hasn’t had much to offer apart from unbearable periods of waiting while putting up with the heat and sandstorms. This particularly affected refugees who were not recognised as such by the UNHCR. The camp has to be seen as a part of the externalisation politics of the European Union – it prevented hundreds of people from challenging the EU’s border regime by trying to enter its territory, by embarking on a boat. At the same time, granting access to a limited number of refugees allowed the media to paint a different picture, diverting public attention away from a militarised campaign against migrants. Germany (pop. 82 million) demonstrated its extraordinary generosity by accepting 205 refugees, whereas Tunisia (pop. 10 Mio.) welcomed half a million people during the Libya-crisis. However, only people who hold a refugee certificate are granted access to the resettlement programme. Many of those who the UNHCR did not recognise as refugees have already traveled back to their countries of origin. 230 of them are still in Choucha. They accuse the UNHCR of severe mistakes and negligence in processing their demands for asylum. These errors range from biased and incompetent interpreters, misspelled names of places and families to the cooperation with the government bodies that refugees fled from in the first place. The ensuing exclusion and lack of perspectives of this group of about 230 people led to various protests last year and to the most recent demand for an independent review of the rejected cases. In order to make their voices heard, 100 of them traveled to Tunis.

No one is illegal – not even in Tunisia

The journey to Tunis represents an act of resistance in itself. Because they have been rejected by the UNHCR, the group of 230 refugees are now considered „illegal migrants“ by the governent and are not allowed to move freely. That is why they may be arrested, detained and deported at any time if the Tunisian state decides to. Until now the illegalised protesters have only been detained for short periods of time and sent back to Choucha after having been told that the UNHCR is reponsible for them. In this passing on of responsibilities the UNHCR’s most recent course of action is remarkable. Since October 2012 rejected asylum seekers are being denied access to food and medical care. This scandalous and merciless strategy of a reputable humanitarian organisation evidently aims at forcing people to leave. The refugees keep emphasising that because of persecution and/or war, they cannot return to their home countries – which the UNHCR would have been able to ascertain if it had adequately reviewed their cases. They decisively reject the UNHCR’s cynical suggestion to just go back to Libya (2). This is why two central demands of the current protest are for the UNHCR to resume the supply of food and medicine to the refugee camp, and to allow access to the resettlement programme for everybody who remained in Chocha. The latter demand is also directed at the European Union and all NATO states that caused the current situation by intervening in the civil war in Libya. To reinforce these demands to the UNHCR and the EU, and to make them accesible to the Tunisian and the international public, the Chocha refugees will stage a protest for several days in Tunis. In order to achieve this, they need support! Please:

  • Spread information about the protest via mailing lists, Facebook and by word of mouth!
  • Sign the open letter adressed to Ursula Aboubacar, the head of the Tunisian UNHCR, containing the demands of the protesters! (http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=56)
  • Participate in the fax campaign and send a fax (englisch: http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=51, francais: http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=53, deutsch: http://chouchaprotest.noblogs.org/?attachment_id=52) to UNHCR offices in your country and to the
    Tunisian Representatives.
  • Donate money for food, transport and means of telecommunication for the protesters. Transfers
    can be made to this bank account:
    FFM Berlin
    Sparkasse der Stadt Berlin
    Account number: 61 00 24 264
    Bank code: 100 500 00
    Keyword: „Choucha“
  • Organise solidarity actions – in front of UNHCR offices all over the world!

Further information you will find at:

http://voiceofchoucha.wordpress.com
http://chouchaprotest.noblogs.org
https://archiv.ffm-online.org/
http://afrique-europe-interact.net/
http://www.borderline-europe.de/

Contact Germany: 00491734108642 (deutsch, englisch, francais)
Contact to the Protesters: 004915210453991 (deutsch, english, francais, ‚arab)

2 Libya still does not offer security – black people in particular are constantly threatened by arbitrary arrests and racist violence. Many refugees in Choucha were told about such experiences by people who did return to Libya.

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