17. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für Demograpischer Zynismus: Warum Syrer nie mehr Deutschland verlassen werden · Kategorien: Hintergrund, Mittelmeer

Quelle: Die Welt 16.10.16

Assads Regime hat die Bevölkerung durch Tötung und Vertreibung seit 2011 um 4,5 Millionen reduziert. Will man so die Überbevölkerung eindämmen? Eine perfide, menschenverachtende Strategie.

von Gunnar Heinsohn

„Die Terroristen müssen zurück in die Türkei gedrängt werden, wo sie herkommen, oder sie müssen getötet werden“, beschreibt Assad in der „Komsomolskaja Prawda“ vom 14. Oktober seine Pläne für Aleppo.

Während Berlin Hunderttausende von Syrern nur ein paar Jahre mit deutschen Steuermilliarden versorgen will, um sie dann zu repatriieren, legt Damaskus offen, wie es genau diese Absicht verhindern wird.

Wer da zurückgeführt werden solle, sei eigentlich gar kein Syrer und wer dennoch die Heimreise versuche, werde als Staatsfeind umgebracht.

Warum kann Assad auf seine Landsleute in Deutschland und den Umverteilungsländern so generös verzichten? Was versteht Berlin nicht, wenn es als kurzfristiges „Überlaufbecken“ fungieren will – so Herfried Münkler in der „Zeit“ vom 20. Februar 2016 –, bis die Flüchtlinge wieder in Homs oder Aleppo sind?

Syrien hat durch 300.000 Tote und 4,2 Millionen ins Ausland Vertriebene seine Bevölkerung gegenüber 2011 bereits um 4,5 Millionen reduziert. Das entspricht der kompletten Einwohnerschaft von 1960. Gleichwohl hat man heute innerhalb der Grenzen 18 Millionen Bürger – das Vierfache von 1960. 2050 sollen sogar 36 Millionen erreicht werden.

Demografie und Ökonomie

Deutschland stände bei einer Vervierfachung seit 1960 nicht bei 82, sondern bei 290, die Schweiz bei 22 statt 8 und Österreich bei 28 statt 9 Millionen. Ungeachtet ihrer relativ dynamischen Wirtschaft ständen alle drei Länder vor unlösbaren Herausforderungen, wenn sie eine demografische Dynamik à la Syrien auffangen müssten. Dort wiederum mangelt es an ökonomischer Dynamik heute noch mehr als 1960.

Will man verstehen, warum Assad mit seinen Verbündeten aus Moskau und Teheran planvoll weiter massakriert und vertreibt, dann rührt das aus seiner Einsicht, dass die Begrabenen sowie die Verjagten noch lange nicht ausreichen, um das Land demografisch zu beruhigen.

Obwohl durch das gegenseitige Eliminieren junger Männer der Kriegsindex von 3,8 auf 3,5 gefallen ist, folgen auf 1000 ältere Männer von 55–59 Jahren noch immer 3500 zornige Jünglinge, die etwas werden wollen. Deutschland spürt mit einem Index von 0,66 gerade mal ein Fünftel dieses Drucks, Österreich und die Schweiz (beide 0,8) ein gutes Viertel.

Zudem geht es Damaskus nicht allein um das Verringern der Menschenzahl, sondern auch um die Steigerung des nicht sunnitischen Bevölkerungsanteils. Assads Alawiten und verwandte Richtungen, die 2011 nur 13 Prozent der Syrer stellten, nähern sich der Marke von 20 Prozent.

Berechtigte Angst vor Rache

Ihre Angst vor der eigenen Auslöschung ist lange schon nur allzu berechtigt. Genozidale Bestrebungen von sunnitischer Seite sind mindestens seit 1982 in Hama belegt, als Muslimbrüder die besser gebildeten alawitischen Eliten ausrotten wollen, im ungemein brutalen Gegenschlag aber ihrerseits mindestens 20000 – meist zivile – Anhänger verlieren.

Nach all den Gräueln seit 2011 ist die Angst vor Rache berechtigter als je zuvor. Im Sender „al-Dschasira fordert schon im Mai 2015 der populäre Publizist Dr. Faisal al-Kasim quer durch den arabischen Raum die Ermordung aller Alawiten einschließlich ihrer Kinder.

Da die Alawiten die aktuelle Verbesserung ihrer demografischen Lage nicht wieder verspielen wollen, publizieren sie beizeiten die Begründungen, mit denen sie die Rücknahme ihrer Landsleute ablehnen werden.

Je mehr sunnitische Syrer tot oder vertrieben sind, desto sicherer erachtet das Regime die eigene Zukunft. Im Zweifelsfall werden immer irgendwo Schüsse fallen, sodass Syrien auf Jahrzehnte nicht als sicheres Herkunftsland eingestuft werden kann.

Europa kann daraus immerhin lernen, dass es viele Länder wie Syrien gibt, die auf Jahrzehnte mit Menschen so überreich beschenkt bleiben, dass Migranten nicht nur fliehen, sondern auswandern.

Die Welt hat momentan 52 Länder mit einem Kriegsindex zwischen 3 und 7 – 3000 bis 7000 Junge müssen dort um 1000 frei werdende Positionen kämpfen. Diese prekäre Lage betrifft mit knapp 1,5 Milliarden Menschen die dreifache Bevölkerung der Europäischen Union.

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