18. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Amnesty wirft Australien Folter von Flüchtlingen vor“ · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags: ,

Quelle: Zeit Online

Angriffe, sexuelle Gewalt, fehlende Medizin: Im Lager auf Nauru begeht die australische Regierung laut Amnesty Menschenrechtsverletzungen, auch um abzuschrecken.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der australischen Regierung die Folter von Flüchtlingen und Asylsuchenden vor. Im Flüchtlingslager im pazifischen Inselstaat Nauru, das Australien betreibt, seien Menschenrechtsverletzungen, Missbrauch und Selbstverletzungen an der Tagesordnung, heißt es in einem Untersuchungsbericht von Amnesty International. Der menschenunwürdige Umgang mit den rund 400 auf Nauru eingesperrten Menschen erfülle auch nach internationalem Recht den Tatbestand der Folter.

Die Menschenrechtsorganisation forderte, die australische Regierung müsse nach internationalem Recht zur Rechenschaft gezogen werden, da sie Flüchtlinge auf Nauru vorsätzlich und systematisch vernachlässige und grausamer Behandlung aussetze.

Die Regierung steht wegen ihrer restriktiven Asylpolitik seit Langem in der Kritik. Der Bericht setzt sie nun zusätzlich unter Druck. Die leitende Amnesty-Forscherin Anna Neistat hatte nach Amnesty-Angaben seit Juli mehr als hundert internierte Flüchtlinge sowie ehemalige und aktuelle Mitarbeiter des Flüchtlingslagers befragt. Neistats Interviews „zeichnen ein Bild von Menschen, die zur absoluten Verzweiflung getrieben wurden“, heißt es in dem Bericht.

Amnesty nennt das Flüchtlingslager „Freiluftgefängnis“

Die Internierten litten unter physischer Gewalt und sexuellen Übergriffen. Häufig verletzten sie sich aus Verzweiflung selbst, berichtet Amnesty. Viele Gefangene seien erst auf Nauru psychisch erkrankt. Zudem sei die medizinische Versorgung unzureichend, und Kinder würden nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt. Seit dem vergangenen Jahr dürfen sich die Lagerbewohner zwar frei auf der Insel bewegen, werden dort aber laut Amnesty wiederholt von Einheimischen attackiert.

Neistat wirft der australischen Regierung vor, sie betreibe auf Nauru ein „Freiluftgefängnis“, mit dem Ziel, so viel Leid anzurichten, dass es die Menschen abschrecke, Schutz in Australien zu suchen.
Australiens Regierung will mit dem Lager außerhalb des eigenen Territoriums die Zuwanderung von Migranten kontrollieren und Flüchtlinge von gefährlichen Überseefahrten abhalten. Auf See aufgegriffene Flüchtlinge werden deshalb nach Nauru gebracht. Sie haben keine Aussicht auf eine Aufenthaltserlaubnis für Australien – auch dann nicht, wenn sie als Flüchtlinge anerkannt werden.

Amnesty rügt in dem Bericht außerdem die Abschottung des Flüchtlingslagers auf Nauru. In den vergangenen Jahren habe nur eine Handvoll Journalisten und Anwälte Zugang zu dem Lager bekommen. Die australische Regierung kommentierte den Bericht zunächst nicht.

Ein zweites australisches Flüchtlingslager auf der Insel Manus, die zu Papua-Neuguinea gehört, muss demnächst geschlossen werden. Mitte August hatte das Oberste Gericht von Papua-Neuguinea die Internierung von mehr als 800 Bootsflüchtlingen dort für unzulässig erklärt.

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siehe auch: DW

Amnesty: Australien foltert Flüchtlinge

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft Australien Folter auf der Pazifikinsel Nauru vor. Die Lage der Flüchtlinge, die von Australien dorthin verbracht werden, sei Folter, so Kate Schuetze.

Was hat Amnesty International über die Zustände in dem Flüchtlings- und Asyllager auf Nauru erfahren?

Kate Schuetze: Die zentralen Ergebnisse unserer Recherche sind, dass Australien diese Flüchtlinge gewaltsam nach Nauru verbringt – ohne die Absicht, jemals die Asylgründe zu prüfen oder die Menschen irgendwann umzusiedeln. Das verursacht totale Verzweiflung bei den Menschen, die auf dieser abgelegenen Insel festsetzen.

Es gab in den letzten Jahren einige Veränderungen. Einige dürfen inzwischen arbeiten und sich frei auf der Insel bewegen. Aber die Insel ist gerade mal einen Quadratkilometer groß, was in etwa der Größe eines internationalen Flughafens entspricht. Besonders unmenschlich an der australischen Politik ist, dass sie den Menschen nicht sagt, was mit ihnen geschehen wird. Es gibt keine Lösung für diese Menschen und keine Möglichkeit für sie, irgendetwas aus ihrem Leben zu machen. Das verursacht bei vielen psychische Probleme. Hinzu kommen immer wieder auftretende Fälle von Missbrauch, die in der Regel straffrei bleiben.

Es ist schwierig, auf die abgelegene Insel im Pazifik zu gelangen. Insbesondere Journalisten und Aktivisten werden von der Regierung möglichst ferngehalten. Wie ist es Amnesty international gelungen, vor Ort zu recherchieren?

Einen Journalisten kostet es 8000 australische Dollar (umgerechnet ca. 5600 Euro, Anm. d. Red.), um ein Visum zu bekommen. Die Insel liegt wirklich am Rand der Welt. Allerdings gibt es schon Flüge nach Nauru, meistens über die Philippinen oder die Marschallinseln. Für uns reiste eine russische Mitarbeiterin von Amnesty nach Nauru, um zu recherchieren. Als Russin braucht sie kein Visum, um nach Nauru zu fahren. Sie hat für uns 58 Interviews mit den Asylsuchenden und vier mit den Mitarbeitern der Dienstleistungsgesellschaft geführt und mit den Menschen vor Ort gesprochen.

Ist die Insel Nauru überhaupt als Unterbringungsort für Flüchtlinge und Asylbewerber geeignet?

Es gibt keine Möglichkeit, Flüchtlinge auf Nauru anzusiedeln oder zu integrieren. Es ist eine winzige abgelegene Insel, die keinerlei wirtschaftliche Perspektive bietet, abgesehen von dem Geld, dass die australische Regierung für das Lager bezahlt. Die Arbeitslosigkeit auf Nauru lag bei 90 Prozent, bevor Australien dort das Flüchtlingslager eingerichtet hatte. Es leben dort rund 10.000 Menschen.

Durch die Flüchtlinge stieg die Bevölkerung um mehr als zehn Prozent. Der Großteil des Landes ist ungeeignet für Landwirtschaft oder die Besiedlung. In den vergangenen Jahrzehnten wurde fast die gesamte Insel durch den Abbau von Phosphat verwüstet. Es gibt nur winzige Regionen, in denen Siedlungen existieren. Die Insel ist durch den Klimawandel sehr gefährdet und hat große Probleme, die Nahrungsmittel- und Wasserversorgung aufrecht zu erhalten. Nauru ist fast vollständig auf eine Versorgung von außerhalb angewiesen.

Wo liegt nach Ansicht von Amnesty die Hauptverantwortung? Bei der Regierung von Nauru oder der von Australien?

Die Hauptverantwortung liegt bei der australischen Regierung. Sie sendet die Flüchtlinge nach Nauru, sie ist verantwortlich für jeden Aspekt in den Lagern, sie finanziert sie und sendet die Mitarbeiter durch Dienstleister und andere Firmen.

Diese Firmen sind natürlich in der Haftung, was die Behandlung der Flüchtlinge betrifft. Aber auch die Regierung von Nauru trägt ein Teil der Verantwortung. So ist zum Beispiel die Polizei eigentlich dafür zuständig, Fälle von Vergewaltigungen, sexuellem Missbrauch und Gewalt aufzuklären. Aber wir wissen, dass das nicht passiert.

Australiens Premierminister Turnbull wies die Anschuldigung zurück, dass sich seine Regierung der Folter schuldig mache. Ist es wirklich so, dass die australische Regierung den Flüchtlingen und Asylbewerbern auf Nauru absichtlich physischen und psychischen Schmerz zufügt?

In diesem Fall müssen wir uns fragen, was Folter bedeutet. Dabei geht es nicht nur um Waterboarding, wie es in anderen Ländern vorkommt. Wovon wir sprechen, sind schwerwiegende seelische Verletzungen, die an den Flüchtlingen begangen werden. Man nimmt ihnen alle Hoffnung für die Zukunft. Man gestattet ihnen nicht, sich ein eigenes Leben aufzubauen.

Die australische Regierung hat wiederholt versucht zu verhindern, dass sie nach Neuseeland oder in andere Länder gehen. Australien verletzt damit die UN-Flüchtlingskonvention. Und es gibt Aspekte an der Unterbringung der Flüchtlinge, die als Folter bezeichnet werden müssen. Wir sprechen zum Beispiel von einer Frau, die nach einer Vergewaltigung auf Nauru schwanger wurde. Sie kam dann nach Australien, wurde aber wieder zurückgeschickt, nachdem ihr eine Abtreibung verweigert worden war. Das ist grausam, unmenschlich und erniedrigend.

Ich kann nicht verstehen, wie die australische Regierung zu dem Schluss kommt, dass man das nicht als Folter bezeichnen kann. Die australische Politik zielt absichtlich darauf ab, psychische Traumata zu verursachen, die Menschen zu brechen, um sie zurück in ihre Heimat zu zwingen, wo sie weitere Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären.

Was sollte dagegen getan werden?

Die offensichtliche Lösung ist, die Flüchtlinge sofort nach Australien zu bringen und dort ihren Status als Flüchtlinge zu prüfen. Australien muss für die Flüchtlinge, die es mit Gewalt nach Nauru verbracht hat, Verantwortung übernehmen.

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