09. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Zäune gegen Flüchtlinge“ · Kategorien: Balkanroute, Serbien

Quelle: Junge Welt

In der Belgrader Innenstadt warten Hunderte Menschen auf eine passende Gelegenheit, um nach Westeuropa zu gelangen.

Von Roland Zschächner

Es sind die letzten warmen Septembertage diesen Jahres in Belgrad. Der Park nahe dem Haupt- und Busbahnhof füllt sich zur Mittagszeit, als sich 200 Menschen vor einer kleinen Holzhütte in eine Schlage einreihen, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Nur wer sich eine Nummer von einem der freiwilligen Helfer abgeholt hat, erhält eine Styroporpackung mit Bohnen und Reis. ­Familien sitzen auf den Bänken und essen, Männer hocken in kleinen Gruppen auf dem Boden.

Serbien ist für viele Flüchtlinge ein Transitland – eine kurze Etappe auf dem Weg nach Westeuropa. Doch seitdem die Europäische Union ihren Pakt mit der Türkei geschlossen und die Grenzen dichtgemacht hat, ist das Land zu einem Auffanglager geworden. Täglich erreichen nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks UNHCR cirka 200 Menschen Serbien.

Etwa 5.000 Menschen befinden sich laut UNHCR mittlerweile in der ehemaligen jugoslawischen Republik, die serbische Regierung spricht indes von 6.000 bis 7.000 Flüchtlingen. Der Großteil von ihnen ist in sogenannten Asylzentren untergebracht. Der Rest – viele von ihnen aus Afghanistan oder Pakistan – wartet in Belgrad auf eine passende Möglichkeit, sich oft zu Fuß in kleinen Trupps auf den Weg Richtung Kroatien oder Ungarn zu machen. Ein fast chancenloses Unterfangen; jeden Tag schiebt Budapest Dutzende Menschen zurück nach ­Serbien ab. Viele von ihnen stranden erneut in Belgrad, wo das Warten auf eine neue Gelegenheit, in die EU zu gelangen, von vorn beginnt. Auch Stacheldraht hält die Menschen nicht davon ab, die Grenze zu überwinden. Dadurch ist nur die Flucht gefährlicher geworden – und die Schlepper verlangen höhere Preise.

Zwei Parks sind die ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge. Einer befindet sich neben dem Busbahnhof, ein anderer vor der Wirtschaftsfakultät, dazwischen ist ein Parkhaus, das nicht nur bei Regen als provisorisches Nachtlager dient. Neben den abgestellten Autos schlafen Menschen in Decken gehüllt auf dem kahlen Betonboden, ihre Wäsche haben sie zum Trocknen an die Verstrebungen des Flachbaus gehängt.

»Italien« antwortet eine Mann aus Pakistan auf die Frage, welches Land sein Ziel sei, während er an einem Brunnen Wasser in eine Plastikflasche füllt. Dort wolle er arbeiten. Eine Chance auf Asyl haben indes die wenigsten Flüchtlinge, die zur Zeit in den Belgrader Parks leben, erklärt einer der Helfer bei der Essensausgabe. »Sie sind laut offiziellem Sprachgebrauch ›Wirtschaftsflüchtlinge‹. Dort wo sie herkommen, ist aber die Lage nicht viel besser als in vielen Kriegsgebieten.«

In Savamala, dem Viertel zwischen Bahnhof und dem linken Save-Ufer, sind überall die blauen Rucksäcke des UNHCR zu sehen. Darin haben die Menschen neben den von der Hilfsorganisation bereitgestellten Hygieneartikeln ein paar Habseligkeiten verstaut. Nicht viel, denn Gewicht behindert nur beim Überwinden der europäischen Grenzanlagen. Nützlich dagegen ist ein Mobiltelefon, zum einen, um mit den Angehörigen in Kontakt zu bleiben, zum anderen, um sich in der Fremde zurechtzufinden. Informationen werden auch in den Parks ausgetauscht. Unterstützer verteilen dort Tee, berichten, wie die aktuelle Situation an den Grenzen ist und haben ein offenes Ohr für Probleme und Sorgen. Außerdem sind Hilfsorganisation wie »Ärzte ohne Grenzen« vor Ort, um die Menschen medizinisch und mit Essen zu versorgen.

Während manche Flüchtlinge an der aufgehübschten Uferpromenade der Save träumen oder ihre Handys aufladen, will die serbische Regierung Savamala zu einem Edelquartier umbauen. »Belgrad am Wasser« heißt das Milliarden Euro teure Bauprojekt einer auf solche Vorhaben spezialisierten Firma aus Abu Dhabi. Damit der Plan nicht an gesetzlichen Bestimmungen scheitert, haben Vermummte Ende April in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine ganze Häuserzeile des Viertels abgerissen. Die Armen sollen den Eliten weichen.

Ein leerstehendes, von Flüchtlingen und Unterstützern besetztes Haus wurde bereits zuvor dem Erdboden gleichgemacht. Eine neue Schikane folgte Ende Juli. Der Park am Hauptbahnhof wurde umgepflügt. Offiziell hieß es, der Rasen solle erneuert werden – bei fast 40 Grad Celsius. Außerdem wurden mannshohe orangefarbene Plastikabsperrungen errichtet. Niemand soll mehr im Park schlafen.

Im vergangenen Jahr zeigte sich die serbische Regierung noch von ihrer humanen Seite. Damit ist jetzt Schluss. Der Staat hat sein Vorgehen gegenüber Flüchtlingen geändert. Ministerpräsident Aleksandar Vucic hatte am 15. Juli in einer Rede »Migranten« als »eines der größten Probleme« des Landes bezeichnet. Gemeinsame Einheiten von Polizei und Armee patrouillieren seitdem an den Grenzen, um »illegale Einwanderung« zurückzudrängen. Gleichzeitig werden in den Medien gezielt Meldungen über mutmaßlich von Flüchtlingen begangene Straftaten lanciert.

Wie die Gruppe »No Border Serbia« in einem Report von Anfang September berichtete, zielt das repressivere Vorgehen der Behörden darauf ab, Verwirrung und Unsicherheit unter den Flüchtenden zu stiften, um sie so besser kontrollieren zu können. Vor allem das für Migration zuständige Kommissariat versucht, die Menschen aus der Innenstadt zu vertreiben und teilweise gewaltsam in die abgelegenen »Asylzentren« zu verfrachten. Dass dies keine Lösung ist, dürfte auch den Verantwortlichen in Belgrad klar sein.

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