07. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Mehr Macht für Frontex 2.0“ · Kategorien: Balkanroute, Europa, Mittelmeerroute · Tags:

Quelle: ARD Tagesschau

Die neue EU-Behörde für Grenz- und Küstenschutz nimmt heute ihre Arbeit auf. Der Frontex-Nachfolger hat mehr Personal, mehr Macht und mehr Handlungsmöglichkeiten. Der Einsatzschwerpunkt verlagert sich aus dem Mittelmeer nach Bulgarien.

Von Karin Bensch, ARD-Studio Brüssel

Frontex bekommt mehr Macht. Der neue europäische Grenz- und Küstenschutz hat mehr Befugnisse, weil die EU das Mandat ausgeweitet hat. Das bedeutet zum Beispiel mehr Personal: 1500 Grenzschützer, die aus den EU-Ländern kommen und kurzfristig einsatzbereit sein sollen. Deutschland schickt 225 Mitarbeiter der Bundespolizei und Polizisten aus den Bundesländern.

Der neue europäische Grenz- und Küstenschutz wird sich stärker an Abschiebungen beteiligen und darf auch in Drittstaaten Grenzen mitkontrollieren, etwa in Nordafrika. Selbst ein Einsatz in Libyen wäre rechtlich möglich. Darüber hinaus soll es eine enge Zusammenarbeit mit Polizei und Zoll in den betroffenen Mitgliedsländern an der EU-Außengrenze geben, sagt Frontex-Direktor Fabrice Leggeri. „Das heißt, dass die Agentur von nun an nicht nur für Migration zuständig ist, sondern auch für die Sicherheit an den EU-Außengrenzen.“

„Die EU hat mit dem neuen Grenz- und Küstenschutz einen großen Schritt nach vorn gemacht, weil wir damit mehr Europa an der Außengrenze haben“, meint der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber. „An den Problembereichen, die wir in Europa haben, kann Frontex jetzt direkt Einsätze fahren und die unsicheren Bereiche unserer Außengrenze wirklich absichern.“

Grüne fürchten weniger Schutz der Menschenrechte

Absichern? Eher abschotten, kritisieren die Grünen im Europaparlament. Mehr Macht für Frontex bedeute weniger Schutz für Menschenrechte. Das gelte vor allem für Abschiebungen und Kooperationen mit Drittstaaten. Problematisch sei auch, dass Frontex-Einsätze nun verbindlich für die Mitgliedsländer seien, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller. „Wenn sich ein Mitgliedsstaat weigern würde, einen Frontex-Einsatz an der Land-, See- oder Luftgrenze umzusetzen, dann könnte in letzter Konsequenz dieses Land aus dem Schengenraum geschmissen werden.“

Ähnliches gelte für Abschiebungen von Flüchtlingen, die kein Asylrecht in der EU haben, sagt Keller. „Wenn ein Land nicht genug nach Quote abschiebt, dann wird Frontex aktiv und schreibt den Mitgliedsstaaten dann vor, dass sie mehr abschieben müssen, und kann auch selbst Abschiebungen durchführen.“

Verstärkter Einsatz an türkisch-bulgarischer Grenze

Auch der Fokus verschiebt sich: Bislang war Frontex vor allem in Griechenland und Italien im Einsatz. Nun geht es eher darum, die bulgarische Grenze zur Türkei zu sichern. Und zwar deshalb, weil es kein Abkommen zwischen Bulgarien und der Türkei gibt, sagt Frontex-Direktor Leggeri. „Diese EU-Türkei-Erklärung gilt nicht an der bulgarischen Grenze. Und deshalb ist es notwendig, den Einsatz von Frontex in Bulgarien an der türkischen Landgrenze aufzustocken.“

Die Balkanroute ist bereits seit Monaten dicht. Nun sollen mit der bulgarischen Grenze zur Türkei und der griechischen Grenze zu Albanien offenbar die letzten Lücken geschlossen werden. Das neue Frontex sei nur der Anfang, meint der CSU-Europapolitiker Weber. „Jedem ist klar, dass die Zahlen und auch die Finanzausstattung für Frontex noch nicht dazu führen wird, dass Europa wirklich die europäischen Außengrenzen sichert.“

Doch der Trend scheint genau dorthin zu gehen: Die Zukunft des Außengrenzschutzes wird nicht national, sie wird europäisch.

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siehe auch: Der Tagesspiegel

Die Europäische Union stattet ihre Sicherheitsagentur Frontex mit zusätzlichen Befugnissen aus. Künftig soll sie mit eigenem Personal die europäischen Außengrenzen schützen.

VON ANDREA DERNBACH

Vom heutigen Donnerstag an wird die Europäische Grenzschutzagentur Frontex ein weiteres Mal mehr Rechte und Mittel bekommen. Die EU-Behörde, die ihren Sitz in Warschau hat, soll ab sofort auch Mitgliedsstaaten zwingen können, die sie im Verdacht hat, ihre Grenzen nicht ausreichend abzudichten, oder die Nicht-EU-Bürger nicht oft genug abschieben.

Die Behörde, die ursprünglich lediglich Koordinationsaufgaben für gemeinsame Grenzschutzaktionen der EU-Staaten hatte, erhält zudem eine stehende, 1500 Männer und Frauen starke Truppe und wird sich künftig Flugzeuge selbst mieten dürfen, ohne davon abhängig zu sein, ob die Mitglieder sie zur Verfügung stellen – das lief in der Vergangenheit oft schief.

Frontex macht damit, so sagte es kürzlich ihr Chef Fabrice Leggeri dem Handelsblatt, einen großen Schritt hin zu einer „echten EU-Grenzpolizei“. Weitere müssten folgen. Dass man erst auf halbem Weg zwischen einem nationalen System und einem gemeinschaftlichen sei, sei keine sonderlich „komfortable Situation“. Die innenpolitische Sprecherin der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier, lobte denn auch im Juli, als die Reform durchs Straßburger Parlament ging: Zum ersten Mal hätten sich Mitglieder und EU-Parlament geeinigt, gemeinsam Verantwortung für den Schutz der Außengrenzen zu übernehmen.

Ein wesentlicher Punkt der Frontex-Reform sind auch Operationen außerhalb der EU. Im Gespräch sind dabei etwa Mazedonien und Serbien, die in der Flüchtlingskrise des vergangenen Jahres eine Schlüsselrolle hatten. Aber auch der Frontex-Chef spricht davon, dass die EU wegen der Migrationsströme „mit den Staaten im Nahen Osten oder in Afrika zusammenarbeiten“ müsse. Libysche Grenzschützer werden mithilfe von Frontex bereits ausgebildet.

Dass Frontex schon bisher mehr war als eine bloße Koordinierungsstelle, zeichnete sich in den vergangenen Jahren vor allem im Budget des Warschauer Amts ab, das nur eine Richtung kannte: steil nach oben: Lag es im letzten Jahr noch bei 142 Millionen Euro, kletterte die Rechnung für Frontex in diesem Jahr auf 250 Millionen und soll im nächsten Jahr 330 Millionen Euro betragen.

Suche und Rettung

Eigentlich sollte auch die Rettung von Flüchtlingen und Migranten Teil des Frontex-Mandats sein. Die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Straßburger Parlament, Birgit Sippel, hatte noch im Sommer betont, dass es „überfällig“ gewesen sei, dass die Agentur nun auch ausdrücklich für die Suche nach und Rettung von Menschen verantwortlich sein soll.

Doch das, so klagt ihre Grünen-Kollegin, die Migrationspolitikerin Ska Keller, sei nun vom Europäischen Rat, also den nationalen EU-Regierungen, abgeschmettert worden. „Obwohl Frontex jetzt eine Agentur für Grenz- und Küstenschutz ist, gehören Rettungsoperationen nicht zum Mandat“, erklärt Keller. „Die EU schottet sich damit weiter ab und wälzt ihre Verantwortung für Flüchtlinge auf Länder außerhalb Europas ab. Sie nimmt in Kauf, dass Menschenrechte und der Schutz von Flüchtlingen unter die Räder geraten.“

Frontex und Seenotrettung ist allerdings nicht erst jetzt ein heikles Thema. Schon als die italienische Rettungsaktion „Mare nostrum“ im November 2014 auslief und die europäische „Triton“-Mission an ihre Stelle trat, war zwar von einer Fortsetzung der Rettungen die Rede. Tatsächlich aber merkten Frontex-Offizielle immer wieder an, das sei nicht Teil des Mandats ihrer Behörde und es gebe dafür auch nicht die nötigen Mittel. Die Bundesregierung bestätigte diese Lesart in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion.

Dennoch legt die EU immer wieder Wert darauf zu betonen, dass ihre Einsätze im Mittelmeer, an denen auch die Bundesmarine beteiligt ist, Menschenleben rette. 22 000 waren es den Angaben nach bis September. Die italienische Küstenwache teilte am Mittwoch mit, sie habe zu Beginn der Woche mehr als 4600 Migranten aus dem Mittelmeer vor Libyen gerettet. Bei den mehr als 30 Einsätzen am Dienstag seien auch 28 Leichen geborgen worden, teilte die Küstenwache mit. (mit rtr)

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