07. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für Bulgarien verstärkt Grenzschutz · Kategorien: Balkanroute, Bulgarien

Quelle: ARD Tagesschau

„Zurück nach Hause – oder zu Erdogan“

Von Stephan Ozsvath, ARD-Studio Wien

Fast 15.000 Menschen sind dieses Jahr in Bulgarien angekommen – auf der Flucht oder der Suche nach einem besseren Leben. Und viele bleiben, denn die Grenzen zu den Nachbarländern sind quasi dicht. Im Land wächst der Unmut über die Lage.

„Bulgarien“, rufen sie. Und: „Fremde raus“. Szenen vor dem Flüchtlingsheim der kleinen Stadt Harmanli im Süden Bulgariens am vergangenen Sonntag.

„Man soll die Zahl der Flüchtlinge wenigstens beschränken“, sagt eine Frau. „Die meisten sind junge Männer. Unsere Stadt ist klein. Und sie sind schon mehr als wir“, klagt sie.

10.000 Einwohner hat Harmanli – und 3500 Migranten. Die meisten sind Pakistanis oder Afghanen. Das Städtchen liegt nahe an der Grenze zur Türkei.

„Sie sind nicht willkommen“

Organisiert hat die Proteste der nationalistische Europa-Abgeordnete Angel Dzhambaski, der ein EU-weites Referendum gegen die Fremden will. „Sie sind nicht willkommen“, sagt er, „denn sie unterscheiden sich von uns kulturell, zivilisatorisch, historisch und religiös. Sie wollen sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren. Sie kommen hierher, um uns zu verändern. Wir wollen das nicht und werden es nicht zulassen.“ Deswegen bestehe man darauf, dass die Migranten-Zentren und -Lager aufgelöst und ihre Bewohner „dorthin zurückgeschickt werden, woher sie gekommen sind – oder zu Erdogan“.

Fast 15.000 Migranten sind dieses Jahr laut dem Innenministerium nach Bulgarien gekommen, etwa die Hälfte ist noch im Land. Die Flüchtlingszentren sind völlig überfüllt. Wer kann, zieht weiter, meist nach Serbien. Doch auch an der Grenze zum Nachbarland sind die Kontrollen mittlerweile schärfer.

Regierung: Keine Kompromisse bei der Registrierung

Innenministerin Rumjana Batschwarowa ist zufrieden. „Wir kommen gut zurecht. Wir haben keine neue Route über Bulgarien zugelassen, auf der die Migranten einfach durchziehen, ohne registriert zu werden.“ Geflüchtete würden am Überqueren der bulgarisch-serbischen Grenze gehindert. „Manche Menschen werden bis zu zehn Mal aufgehalten. Sie bleiben hier, auch wenn es für uns sehr schwer ist, denn unsere Zentren sind voll. Wir machen aber keine Kompromisse bei Registrierung und Flüchtlingsstatus.“

Derzeit kontrollieren Grenzpolizisten und Soldaten die Grenze. 150 Frontex-Beamte helfen dabei. 200 zusätzliche Kräfte plus Hunde und Ausrüstung hat die europäische Grenzschutzagentur versprochen. Aus Brüssel kommt auch Geld: 160 Millionen Euro für Ausrüstung und Flüchtlingszentren.

Eine Demonstrantin in Harmanli ist empört: „Mit den EU-Geldern soll man keine Unterkünfte bauen, sondern sie (die Geflüchteten) in Flugzeuge stecken und dorthin zurückschicken, woher sie gekommen sind.“

Wohin mit den Ankommenden?

Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht jeder zweite Bulgare die Ankommenden als Bedrohung an. Fünf Prozent sagen sogar offen: Sie hassen die Fremden. Die neueste Idee der bulgarischen Regierung ist, die Ankommenden in menschenleeren Dörfern anzusiedeln.

Neben den offiziellen Grenzschützern haben sich mittlerweile auch Privatpersonen selbst ermächtigt. Sie patrouillieren an der Grenze, gehen äußerst rüde mit denen um, die sie schnappen. Die Regierung in Sofia lässt sie vorerst gewähren.

Der konservative Regierungschef Bojko Borissow sagt: „Letztlich wollen wir, dass diese Menschen zurück nach Hause gehen. Wir wollen nicht, dass sich einige Millionen Menschen dauerhaft in Europa ansiedeln, nicht wahr?“ Er sei bereit, 1200 Migranten zu helfen, betont Borissow. „So viele haben wir versprochen aufzunehmen. Aber derzeit haben wir mehr als 7000 hier. Ich will auch wissen, wie lange: Sechs Monate, ein Jahr? Danach sollen sie zurück.“

Das hänge aber von den Großmächten mit ihren Interessen im Nahen und Mittleren Osten ab, meint Borissow. Für Freitag sind neue Proteste in der bulgarischen Hauptstadt Sofia angekündigt.

Kommentare geschlossen.