03. Oktober 2016 · Kommentare deaktiviert für „Ägypten, Flüchtlinge und der IMF: Geldspritze mit Bedingungen“ · Kategorien: Ägypten, Europa · Tags:

Quelle: NZZ

Europa hat ein Interesse daran, Ägypten zu unterstützen, um Sisis Kooperation in der Flüchtlingsproblematik einzufordern. Ein grosszügiger Kredit des IMF wird dem Land indes nur kurzfristig helfen.

von Monika Bolliger, Beirut

Über 160 Tote sind vorletzte Woche bei Rosetta vor der ägyptischen Küste aus dem Meer geborgen worden. Sie waren beim Versuch, Europa mit dem Boot zu erreichen, ertrunken. Seit der Schliessung der Balkanroute suchen Migranten und Flüchtlinge nach neuen Wegen, und in der EU ist man besorgt. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, forderte nun ein Flüchtlingsabkommen mit Ägypten nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens. Die Kooperation Kairos solle im Rahmen einer in Aussicht gestellten Finanzspritze des Internationalen Währungsfonds (IMF) eingefordert werden, meinte Schulz. Dieser hat Ägypten ein Darlehen von 12 Mrd. $ über drei Jahre in Aussicht gestellt.

Angst vor einer Brotrevolte

Der IMF, dessen Führungsausschuss den Kredit noch gutheissen muss, kann selber keine solchen Bedingungen stellen. Aber die europäischen Mitgliedsländer können ihre Zustimmung zum Kredit an die Forderung eines Flüchtlingsabkommens knüpfen. Ägypten hat die Geldspritze dringend nötig. Die Mehrheit der Geretteten des Bootsunglücks waren Ägypter – ein Indiz für die verzweifelte Wirtschaftslage des Nillandes.

So liegt die Jugendarbeitslosenquote bei über 40%, und das Budgetdefizit hat 12% des BIP erreicht. Nach der Revolution von 2011 wurden Devisen abgezogen, der Tourismus erlitt schwere Einbussen wegen Terroranschlägen. Die Fremdwährungsreserven nahmen auch ab, weil mit dem sinkenden Ölpreis die Überweisungen ägyptischer Expats am Golf zurückgingen. Die sinkenden Öleinnahmen führten zudem dazu, dass Saudiarabien und die Emirate den Geldhahn für Präsident Sisi zudrehten. Diesen hatten sie nach seinem Putsch gegen die Muslimbrüder zunächst mit grosszügigen Zahlungen unterstützt.

Die Fremdwährungsreserven, welche 2010 ein Rekordhoch von 36 Mrd. $ erreicht hatten, lagen Ende Juli noch bei 15,5 Mrd. $. Kairo versuchte auf alle möglichen Weisen, den Abfluss von Devisen zu stoppen. Obergrenzen für Transaktionen erzürnten die Importeure. Restriktionen für Bargeldbezüge im Ausland verärgerten Bürger auf Reisen. Derweil hielt man den sinkenden Wert des ägyptischen Pfundes künstlich hoch, bis sich dieser vom Schwarzmarktwert um 25% abhob. Im März hatte sich die Zentralbank für eine von Ökonomen begrüsste Abwertung des Pfundes entschieden. Doch im August lag die Differenz zum Schwarzmarkt wieder bei rund 30%. Eine neuerliche Währungsabwertung sollte das Vertrauen von Investoren sowie die Exportbranche stärken, droht jedoch die Preise für importierte Lebensmittel und Treibstoff zu erhöhen.

Die Regierung Sisi fürchtet wenig mehr als eine Brotrevolte. Sisi ist daher dringend auf die Finanzspritze des IMF angewiesen. Eine Pfund-Abwertung könnte damit kontrollierter vorgenommen werden. Eine solche gehört zu den Bedingungen des IMF, zudem eine weitere Reduktion der Energiesubventionen und die bereits angegangene Einführung einer Mehrwertsteuer. «Der Kredit ist ein Rettungsanker für Ägypten. Alle anderen Finanzierungsquellen sind ausgetrocknet», sagt Christian Müller von der Jacobs University Bremen, der frühere Chef des Wirtschaftsdepartements der Deutschen Universität in Kairo. Er bewertet die Bedingungen des IMF als positiv und realistisch. Dennoch ist er wenig optimistisch. Drei bis vier Milliarden pro Jahr reichten nicht, um Ägypten wieder auf Vordermann zu bringen, sagt er. Der Kredit könne nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein, aber zu Letzterem sehe man wenig Bereitschaft.

Fehlgeleitete Politik Sisis

Sisi hat zwar aufgrund der Revolution und jahrzehntelanger Misswirtschaft Altlasten geerbt. Er hat aber auch verheerende Fehlentscheide getroffen, so die Investition in unnötige, wenig rentable Megaprojekte wie den Suezkanal oder der Kauf von Kampfflugzeugen, die bei der Terrorbekämpfung wenig nützen. Stattdessen wäre der Ausbau von Basisinfrastruktur dringend nötig. Das Bildungssystem ist in desolatem Zustand. Weiter müsste Ägypten die Korruption eindämmen. Sisi hat dieses Jahr den obersten Rechnungsprüfer Hisham Geneina, einen unbestechlichen Kämpfer gegen die Korruption, mit einem Vorwand entlassen und vor Gericht gestellt.

Sisis Problem ist, dass er an seinem eigenen Stuhl sägt, wenn er die Korruption bekämpft. Dasselbe gilt für die Auflösung der Wirtschaftsmonopole der Armee, die ihm ihre Loyalität zusichern. Die Armee kontrolliert je nach Schätzungen 40% der Wirtschaft und produziert alles Mögliche – von Mineralwasser über Olivenöl bis zu Waschmaschinen. Müller meint, Sisi hätte die grosse Zustimmung in der Bevölkerung unmittelbar nach seiner Wahl nutzen müssen, um auch gegen den Widerstand seiner Gefolgsleute Reformen durchzudrücken, statt diese erst einmal zu belohnen. Jetzt habe er seine beste Chance verpasst.

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