25. September 2016 · Kommentare deaktiviert für „Nun stranden sie in Serbien“ · Kategorien: Balkanroute, Bulgarien, Europa, Serbien, Ungarn

Quelle: Zeit Online

Der Flüchtlingsgipfel hat eine weitere Abschottung der Balkanroute beschlossen. Das hat Folgen: Schon jetzt hängen Migranten in Serbien fest, das wird sich verstärken.

Von Thomas Roser, Belgrad

Nur auf den ersten Blick scheinen die Dauergäste im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad wie vom Erdboden verschluckt. Wo bis vor wenigen Wochen noch Hunderte Flüchtlinge mit dem Ziel Westeuropa kampierten, sperren jetzt Plastikzäune die Grasflächen des Parks ab. Dennoch finden sich jeden Morgen an der Essensausgabe unweit des Busbahnhofs zahlreiche gestrandete Migranten ein, die auf nahen Baustellen, Gehwegen, in Ruinen und Parkhäusern nächtigen.

Mit der angeblichen Renovierung des Parks versuche die Stadtverwaltung, die unerwünschten Flüchtlinge aus dem Stadtzentrum zu verdrängen, sagt Rados Djurovic, der Direktor des Belgrader Zentrums zum Schutz für Asylsuchende. „Zunehmend restriktiver“ werde das Klima auch in Serbien. „Doch die Leute kommen trotzdem. Alle Aufnahmelager sind brechend voll. Und was wird, wenn der Winter kommt, weiß niemand.“

Nun haben wieder die Anrainerstaaten der Balkanroute in Wien getagt, diesmal mit Deutschland und Griechenland. Die Lage ist eine ganz andere als zu Zeiten der umstrittenen Premiere des Flüchtlingsgipfels im Februar. Damals brachen bis zu 14.000 Menschen am Tag auf einem improvisierten Flüchtlingskorridor von der griechischen Ägäis nach Mitteleuropa auf. Die Anrainerstaaten vereinbarten daraufhin die Schließung der Balkanroute. Viele Länder errichteten Stacheldrahtbarrikaden. Es folgte der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei.

Heute ist die Balkanroute so gut wie abgeriegelt. Nur noch wenige hundert Flüchtlinge pro Tag begeben sich auf den Weg. Doch auch das wollen die Staaten entlang der Route nicht mehr zulassen, bei dem Gipfel in Wien beschlossen sie nun, diesen Flüchtlingsweg komplett zu verschließen. Dafür sollen etwa die EU-Grenzschützer von Frontex eingesetzt werden, auch in Serbien.

Viele kommen illegal nach Serbien

Die Zahl der Flüchtlinge, die derzeit in Serbien stranden, lasse sich wie die der täglichen Neuankömmlinge allerdings kaum mehr genau beziffern, sagt Djurovic: „Die meisten reisen nun illegal ein.“ Die von der Regierung in Belgrad verkündeten verschärften Grenzkontrollen zeigten kaum einen Effekt: „Bulgarien, Mazedonien, Montenegro und Kosovo lassen eingereiste Flüchtlinge durchziehen: Niemand will sie im eigenen Land behalten. Aber in Serbien hängen immer mehr Menschen fest.“

Der 23-jährige Basir hat wieder eine unbequeme Nacht zwischen Autos und Regenpfützen auf einem Belgrader Parkdeck verbracht. Er sei seit 20 Tagen in Serbien, erzählt der Englisch-Student aus der afghanischen Hauptstadt Kabul. Sein schweigsamer Onkel sei gar schon drei Monate im Land.

Das Ziel von Basir ist München, doch er kommt nicht voran. Ein Mal habe er die Grenzpassage nach Kroatien, zwei Mal bereits nach Ungarn versucht. Beim letzten Mal sei er nach sechstägigem Fußmarsch tief im Landesinnern aufgegriffen worden: „Die Polizisten hetzten bissige Hunde auf mich – und fuhren mich zur Grenze nach Serbien zurück.“

Einreise verhindern, Ausreise beschleunigen

Von Bulgarien bis Ungarn war die Strategie der Anrainer im Umgang mit den Flüchtlingen seit der offiziellen Abriegelung des Korridors bislang dieselbe: Deren Einreise möglichst verhindern – und notfalls deren Ausreise stillschweigend beschleunigen.

Doch wie in Griechenland geht im Transitland Serbien dieses Konzept nicht mehr auf. Seit Ungarn mit der Verstärkung seines Grenzzauns, erhöhtem Knüppeleinsatz und der kompromisslosen Abschiebung aufgegriffener Immigranten Anfang Juli das Grenzregime merklich verschärft hat, ist die offizielle Zahl der im Land gestrandeten Flüchtlinge laut UNHCR von 2.000 auf 5.000, laut der Regierung gar auf 7.000 geklettert, Tendenz steigend. Das wird sich möglicherweise mit dem Beschluss des Gipfels in Wien noch mehr verstärken.

„Die Menschen verlassen unser Land nicht, sie wissen nicht wohin“, klagt Premier Aleksandar Vučić: „Und wir wissen nicht, was wir mit ihnen tun sollen, denn sie wollen in unserem Land nicht bleiben.“

Kein Vertrauen in den Türkei-Pakt

Doch es sind nicht nur die fehlenden Mittel zur winterfesten Unterbringung von immer länger verbleibenden Flüchtlingen, die die Anrainern umtreiben. Auch haben viele Staats- und Regierungschefs der Balkanstaaten nur geringes Vertrauen in den Bestand des Flüchtlingspakts mit der Türkei. So warnen sie düster vor neuen Flüchtlingshorden und fordern mehr Stacheldraht.

Europa müsse für eine Verschlechterung der Lage bereit sein, begründet Ungarns Premier Viktor Orbán seine Pläne für den Ausbau des Grenzzauns zu Serbien. Ein Wiederaufleben der Flüchtlingskrise könnte auf dem Balkan neue Konflikte auslösen, warnt dessen slowenischer Kollege Miro Cerar – deshalb plädierte er wie die meisten auf dem Gipfel für die weitere Aufrüstung der EU-Außengrenzen.

Serbiens Premier versichert zwar weiterhin, „weder Zäune noch Mauern“ zu wollen, da diese das Land „nicht schützen“ könnten: „Aber wir dürfen auch nicht zum Parkplatz für Afghanen werden.“

Angst vor dem Winter

Mit Bulgarien, Griechenland und Ungarn lehnen die wichtigsten Transitstaaten an den EU-Außengrenzen die Rücknahme von Flüchtlingen aus EU-Partner-Staaten resolut ab. Die von den Anrainern gezeichnete Gefahr einer neuen großen Flüchtlingswelle im Herbst hält Djurovic indes für „wenig realistisch“ und eher für politisch motiviert: Es sei kaum zu erwarten, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit dem Flüchtlingspakt sein Druckmittel gegenüber der EU freiwillig aus der Hand gebe: „Eher wird er ab und zu kleine Kontingente ziehen lassen, um den Druck aufrecht zu erhalten.“

Doch selbst bei Bestand des EU-Türkei-Deals würden Staaten wie Serbien im Winter an die Grenzen ihrer Möglichkeiten geraten: „Nötig wären viel mehr EU-Finanzhilfen, aber auch Integrationskonzepte, die es hier nicht mal im Ansatz gibt.“

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