25. September 2016 · Kommentare deaktiviert für „Frontex sperrt Balkanroute: Europa gibt nach – allen voran Deutschland“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland, Griechenland, Mazedonien, Serbien · Tags:

Quelle: Welt

Mazedonien hat die Balkanroute geschlossen und damit die Migrationskrise entschärft. Die EU wird erst jetzt aktiv.

Von Manuel Bewarder, Sonja Gillert, Christoph B. Schlitz, Daniel F. Sturm

Zwischen Mazedonien und Griechenland soll die Grenzschutzagentur Frontex dafür sorgen, dass die Route dicht bleibt.

Getestet werden soll der neue Einsatz dem Vernehmen nach zuerst möglicherweise in Serbien.

Die Gegend, die das Nadelöhr nach Mitteleuropa bildet, ist unzugänglich. Hohe Berge trennen Griechenland und Mazedonien vielerorts. Über die Kämme führen nur wenige Wege. Und entlang der rund 250 Kilometer breiten Grenze gibt es nur zwei größere Tal-Ebenen. Wo, wenn nicht auf diesem Abschnitt der Balkanroute, könnte Europa abgeriegelt werden?

Im Frühjahr ergriffen die Osteuropäer die Chance und schlossen die Übergänge in dieser Region. Viele Europäer empörten sich. „Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird“, sagte zum Beispiel Angela Merkel. Doch die Fakten waren geschaffen. Die Grenze war dicht – Europa vollends zerstritten.

Ausgerechnet auf jenem Landstreifen werden nun erste Schritte eines europäischen Annäherungsversuches stattfinden. Wie Recherchen der “Welt am Sonntag“ ergeben, soll die EU demnächst selbst die Grenze sichern. Die Grenzschutzagentur Frontex soll dabei robust helfen. Das, was die Kanzlerin so vehement abgelehnt hatte, wird sie bald wohl selbst mit ausführen und damit erneut ihren Kurs korrigieren.

Es handelt sich dabei um einen wichtigen Teil des künftigen Schutzes der Außengrenzen, der so weit reichen wird, dass Migranten irgendwann nicht nur in die Türkei, sondern auch nach Nordafrika zurückgebracht werden könnten. Insgesamt geht es um all die Millionen, die vor den Toren Europas darauf hoffen, durch einen Spalt hineinzuhuschen. Nirgendwo zeigt sich das Ringen um den Kurs in der Flüchtlingskrise anschaulicher als an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien.

Im Juni 2015 war der Damm gebrochen

Dort, wo sich Europa demnächst hochoffiziell abschotten wird, war immer schon einer der Brennpunkte der Route. Die Beamten des Mini-Balkanstaats hatten im vergangenen Jahr lange durchgehalten und täglich Tausende zurückgewiesen. Letztendlich aber wurde der Druck zu groß. Die Regierung in Skopje beschloss im Juni 2015, Migranten umstandslos ins Land zu lassen. Und so kamen sie schnell weiter, nach Serbien, nach Mitteleuropa.

Der Damm war gebrochen. Mazedonien schaute zu, hoffte darauf, dass Deutschland bald das Signal senden würde, dass Schluss ist mit der Aufnahme. Doch dieses Zeichen kam nicht. Nicht im Juli, nicht im August, nicht im September, als täglich manchmal mehr als 10.000 Menschen über die Balkan-Grenze kamen. Im Oktober schließlich bat Mazedonien hinter verschlossenen Türen um Hilfe. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex möge kommen und die Grenze nach Griechenland kontrollieren.

Die Situation war eigentlich absurd: Das EU-Mitglied Griechenland fühlte sich beim Grenzschutz von der Union schon lange alleingelassen und hatte im Laufe der Jahre das Durchwinken der Migranten perfektioniert und damit den Bruch der europäischen Regeln zugelassen. Nun meldete sich mit Mazedonien ausgerechnet ein Nicht-EU-Land mit der Bitte, massiv vorzugehen.

Die erste Entscheidung kam prompt. Die Anfrage wurde zurückgewiesen. Schon rechtlich wäre ein solcher Einsatz außerhalb der Union damals gar nicht möglich gewesen. Gleichzeitig aber fasste man Ende des vergangenen Jahres einen Entschluss: Die Rechtsgrundlage für Frontex-Einsätze müsse verändert werden, eine Mission in Mazedonien möglich sein. Die Drohung, dass die Grenze dichtgemacht werden könnte, müsse über den Griechen wie ein Hammer schweben.

Die Behörden reagierten fahrlässig

Wie erwartet bewegte sich Griechenland zunächst nur minimal. Athen nickte lediglich den Vorschlag ab, ein paar wenige Frontex-Polizisten in die Region im Norden zu schicken. Auch sonst glich die Kooperation im vergangenen Jahr eher einer Sabotage. Athen stellte keine Wohnungen bereit, Internet und Funkgeräte funktionierten nicht. Dieses Weiter-so sollte aber bald nicht mehr klappen.

Der letzte Funken europäischen Verständnisses für Griechenland war kurz nach den Pariser Terroranschlägen vom November erloschen. Mehrere Attentäter waren über die Balkanroute gekommen. Die griechischen Behörden hatten zwar erkannt, dass sie mit gefälschten Pässen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ eingereist waren. Doch anstatt alarmiert zu sein, reagierten die Behörden fahrlässig. Sie gaben den Terroristen 30 Tage Zeit, um Griechenland zu verlassen. Das kam nicht nur in Frankreich äußerst schlecht an.

Am 17. Februar begann die Schließung der Westbalkangrenzen. Mazedonien wurde mit Tausenden Stacheldraht-Rollen aus Ungarn zum Bollwerk. Auf griechischer Seite steckten schon bald mehr als 10.000 Personen in Idomeni fest. 50.000 Flüchtlinge strandeten insgesamt auf den Inseln und dem Festland. „Wir werden kein Transitland mehr sein“, sagte Migrationsminister Ioannis Mouzalas. Was aber dann?

Athen brauchte noch ein paar Monate, um zu erkennen, wie groß der Druck mittlerweile geworden war. Der Plan, Frontex zu einer richtigen Grenz- und Küstenwache mit einer eigenen Truppe von 1500 Polizisten hochzurüsten, wurde ungewöhnlich schnell konkret und schien kein Brüsseler Luftschloss zu bleiben. Griechenland wurde nervös. Seit Jahren streitet Athen mit dem Nachbarn. Man hat Angst, dass sich die ehemalige jugoslawische Teilrepublik irgendwann die gleichnamige griechische Grenzregion einverleibt. Ein EU-Einsatz dort könnte den kleinen Nachbarn stärken.

Am Mandat für den Einsatz gibt es kaum Zweifel

Und so kam es, dass sich Griechenland doch noch bewegte. Der 6. Oktober rückte näher, der Tag, an dem die neuen Frontex-Regeln in Kraft treten. Am 15. September setzte Minister Mouzalas schließlich ein Schreiben auf an Frontex-Direktor Fabrice Leggeri. Darin bittet Athen die Grenzbehörde um einen umfassenden Einsatz im eigenen Land: an der Grenze zu Mazedonien, an der möglichen Ausweichroute nach Albanien und in der Ägäis.

Seitdem geht alles ganz schnell. Dass ein Mandat für den Einsatz kommen wird, daran gibt es kaum Zweifel. Frontex berät sich bereits eng mit den griechischen Behörden. Sie tüfteln an einer Risikoanalyse. Noch gibt es viele Fragen: Wie viele Grenzbeamte sind notwendig? Wie können Ausreisekontrollen aussehen? Welche konkrete Rolle soll Frontex schließlich bei der Grenzüberwachung spielen? In der Hauptsache geht es darum: Wie hält Frontex künftig im Namen der EU die Balkanroute dicht?

Athen lenkt also ein. Aber auch Europa, allen voran Deutschland, gibt nach. Das europaweite Programm zur Übernahme von Flüchtlingen aus den Ländern an der EU-Außengrenze funktioniert weiterhin kaum. Berlin will deshalb künftig jeden Monat 500 Flüchtlinge jeweils aus Griechenland und Italien aufnehmen. Insgesamt also 12.000 pro Jahr. Auch das könnte den Druck auf die Grenze nach Mazedonien etwas verringern.

„Rund 100“ illegale Einreisen täglich

Für Mazedonien gleicht die Grenzschließung bislang einem großen Kraftakt. Die Regierung in Skopje steckt aufgrund einer innenpolitischen Krise und vieler Demonstrationen „in der Bredouille“, wie es im Auswärtigen Amt heißt. „So dicht, wie man annimmt, ist die Grenze zudem nicht.“ Täglich würden rund 100 illegale Einreisen gezählt. Schätzungen gehen von einer ebenso hohen Dunkelziffer aus. In Mazedonien spricht man von 200 illegalen Einreiseversuchen täglich. 70 bis 130 Polizisten aus den Visegrad-Staaten sowie Slowenien und Kroatien helfen zurzeit bei der Grenzsicherung. „Wir passen das System je nach Gefährdung an“, erklärt Mazedoniens Außenminister Nikola Poposki.

Ein Frontex-Einsatz beim Nachbarn Griechenland ist also nicht vom Tisch. Anfang Dezember sollen alle rechtlichen Fragen für einen solchen Einsatz außerhalb der EU beantwortet sein. Dann könnte es losgehen. Eine Anfrage von Mazedonien gibt es noch nicht – und Griechenland müsste dem als angrenzender EU-Staat auch zustimmen. Aber offenbar haben sich die Beziehungen zueinander zuletzt deutlich verbessert. Getestet werden soll der neue Frontex-Einsatz allerdings auf dem Westbalkan, wie die „Welt am Sonntag“ aus Sicherheitskreisen erfuhr, möglicherweise in Serbien. Zunächst jedenfalls.

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