23. September 2016 · Kommentare deaktiviert für Ungarns Referendum über Ansiedlung „nicht-ungarischer Bürger“ · Kategorien: Ungarn · Tags:

Quelle: Telepolis

Ungarn war nach Regierungschef Orbán äußerst solidarisch, auf eigene Kosten durch den Grenzzaun sich und andere Länder „gesichert“ zu haben

Florian Rötzer

Nach Umfragen steigt weltweit (Ablehnung von Flüchtlingen wächst weltweit) und in Europa (Terrorgefahr: Je weniger Flüchtlinge, desto mehr Angst) die Tendenz, sich vor Flüchtlingen abschotten zu wollen. Auch die Befürworter von Grenzschließungen und Mauern gegen Flüchtlinge nehmen zu und stellen schon in vielen Ländern die Mehrheit der Bevölkerung.

Ungarn spielt bekanntlich Avantgarde und wird am 2. Oktober eine Volksabstimmung durchführen, um das Nein der Regierung gegenüber der verpflichtenden Aufnahme von Flüchtlingen zu bekräftigen. Das ist zunächst symbolisch, denn Ungarn wäre gerade verpflichtet, von 160.000 Flüchtlingen in Griechenland und Italien 1.300 aufzunehmen. Die ungarische Regierung will aber keine aufnahmen und freie Hand behalt.

Die Bürger werden gefragt: „Wollen Sie zulassen, dass die Europäische Union bestimmen darf, dass nichtungarische Bürger in Ungarn ohne Zustimmung des nationalen Parlamentes angesiedelt werden?“ Die Fragestellung richtet sich mithin nicht nur gegen Flüchtlinge und Asylbewerber, sondern auch gegen andere Bewohner der EU. Man kann sich also durchaus fragen, ob Ungarn in der Nachfolge des Brexit aus der Freizügigkeit aussteigen will, obwohl die Ungarn davon eher profitieren könnten.

Es bleibt jedenfalls höchst unklar, welchen Zweck die Regierung mit dieser Formulierung verfolgt, der weit über die Abwehr von Flüchtlingen hinausgeht. Bindend ist das Referendum sowieso nicht, denn es geht in ihm nicht um die Zustimmung oder die Ablehnung eines bestimmten Gesetzes. Wie Pester Lloyd schreibt hat die ungarische Regierung alles getan, um diese Formulierung durchzusetzen:

Um alternative Fragestellungen durch andere Antragssteller zu verhindern, hat die Fidesz-Regierung zuvor das Gesetz zur Einreichung von Referendumsfragen so gestaltet, dass bei Einreichung einer Frage keine weiteren, alternativen Anträge gestellt werden können, bis über die Genehmigung des Erstantrages befunden wurde. Am Tag der Einreichung der Frage zu obigem Referendum, blockierten ein Dutzend martialisch auftretender Gestalten den Eingang zur Wahlbehörde und verunmöglichten so anderen Antragstellern den Zutritt.“ Vermutlich also geht es der Orban-Regierung darum zu demonstrieren, dass die Mehrheit des Volkes hinter ihr in der Flüchtlingsfrage steht. Dabei schreckt die ungarische Regierung vor völlig falschen Behauptungen nicht zurück. So heißt es auf einem der Plakate der Nein-Kampagne: „Wussten Sie, dass Brüssel eine ganze Stadt voller Flüchtlinge in Ungarn errichten will?

Pester Lloyd

Regierungschef Orbán bedauerte, dass sich die Visegrad-Staaten beim EU-Gipfel nicht durchsetzen konnten. Er betonte, es gebe unterschiedliche Arten, Solidarität zu zeigen. Ungarn habe aber die größte Solidarität gezeigt. Wenn Ungarn nicht die Außengrenzen der EU gesichert hätte, würden andere Länder in große Probleme geraten sein. Er nannte es einen „Akt der Solidarität“, dass Ungarn selbst alle Kosten getragen habe, nicht nur sich selbst, sondern auch andere europäische Nationen zu schützen. In Brüssel würde man nicht sehen, dass es bei der Flüchtlingsfrage nicht nur um eine humanitäre Angelegenheit gehe, sondern um die Identität der Länder, zu denen die Flüchtlinge kommen und durch die sie reisen. Ungarn wolle seine Identität erhalten. Zu anderer Gelegenheit sagte Orbán, die Einwanderungspolitik müsse unter der Perspektive der Selbstverteidigung gesehen werden.

Überhaupt nahm er die Kritik auf, dass in Ungarn eine „kulturelle Konterrevolution“ stattfindet. Im konservativen Sinne bedeute dies, dass man zurück zu den Wurzeln gehe: „Wir müssen zu den alten europäischen Werten zurückkehren, die wir verlassen haben. Das Aufgaben dieser traditionellen Werte ist eine der Gründe, warum nicht mehr erfolgreich sind.“

Fragt sich nur, was die europäischen Werte sind. Wohl nicht der aus Europa stammende und von der Sowjetunion umgesetzte Kommunismus, darf man annehmen. Aber im letzten Jahrhundert war Europa nicht nur von zwei Weltkrieg überzogen, die von Europa ausgingen, mitten in Europa bildete sich auch die nationalsozialistische völkische Ideologie aus, die mit Kriegen, aber auch mit systematischer Vernichtung vielen Millionen Menschen das Leben kostete. Zumindest einiges von dieser Ideologie findet man auch in Ungarn bei Jobbik und auch Fidesz und in Parteien und Bewegungen anderer europäischer Länder wieder. Kriege zwischen den Nationalstaaten und den Reichen zeichneten die europäische Geschichte trotz aller christlichen Werte, die auch dazu erhalten mussten, Kreuzzüge zu veranstalten und die Menschen auf anderen Kontinenten als Ungläubige zu unterwerfen und auszulöschen.

Ungarn hat letztes Jahr die 500 km lange Grenze zu Serbien und Kroatien mit einem Stacheldrahtzaun gegen Flüchtlinge abgedichtet. Orbán hat angekündigt, den ersten Zaun durch eine weitere, noch massivere Sperranlage zu ergänzen. Der Nato-Stacheldraht für den ersten Zaun wurde von den Häftlingen im Gefängnis Márianosztra produziert. Nato-Stacheldraht aus dem Gefängnis wurde auch ein Exportgut, das nach Mazedonien und Slowenien verkauft wurde. Das Geschäft läuft offenbar gut, das Gefängnis hat nun die Produktion von zwei Schichten auf drei hochgefahren. Seit 1. September läuft die Rekrutierung für 3000 zusätzliche Grenzschützer, auch „Grenzjäger“ genannt.

Gerade hat Orbán, der sich als der europäische Trump gibt, in einem Interview einen neuen Vorschlag gemacht. Die EU solle doch alle Einwanderer, die sich illegal im Land befinden, abschieben in Länder außerhalb der EU, beispielsweise auf eine Insel, wie das auch schon der österreichische Außenminister vorgeschlagen hatte, oder an der Küste in Nordafrika. Dort könne man mit EU-Feldern große Flüchtlingslager einrichten, die von bewaffneten EU-Kräften gesichert werden. Dort könnten sie dann Asylanträge einreichen. Neu ist das freilich auch nicht. Die EU war bereits mit Libyen unter Gadafi daran, eben solche Lager einzurichten. Aber dann wurde dieser beseitigt, zurück blieb ein failed state im Bürgerkrieg, mit dem sich trotz aller Bemühungen bislang kaum verlässliche Projekte verwirklichen lassen.

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