06. Mai 2015 · Kommentare deaktiviert für „Lampedusa ist weit, weit weg“ – ZEIT Online · Kategorien: Deutschland · Tags: , ,

ZEIT Online

Flüchtlinge in Hamburg

Im Wahlkampf hatten die Grünen versprochen, sich für die Lampedusa-Flüchtlinge einzusetzen. Im Koalitionsvertrag mit der SPD werden sie nun mit keinem Wort erwähnt.

von Benjamin Laufer

Amelie Deuflhard ist irritiert. „Das ist echt erstaunlich, oder?“ sagt die Kampnagel-Intendantin dazu, dass die Staatsanwaltschaft jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen sie eröffnet hat. Im Wahlkampf zur Bürgerschaft hatte der Hamburger AfD-Landesvorstand Deuflhard angezeigt, weil sie fünf Flüchtlingen im Rahmen eines Kunstprojektes Obdach gewährt hatte. „Befremdlich“ findet Deuflhard, dass nun tatsächlich gegen sie ermittelt wird.

Deuflhard wollte helfen und natürlich ein politisches Zeichen setzen. In Zusammenarbeit mit dem Künstlerkollektiv Baltic Raw realisierte sie im vergangenen Herbst in der „Kunstfabrik“, wie sie in Hamburg-Winterhude das Kampnagel-Theater gerne nennen, einen Nachbau der Roten Flora. Über den Winter sollten dort Afrikaner schlafen, die sonst obdachlos gewesen wären. Sie gehören zur Gruppe von bis zu 300 Flüchtlingen, die sich seit inzwischen zwei Jahren mit dem Hamburger Senat um ein Bleiberecht streiten. Unter dem Namen „Lampedusa in Hamburg“ sind sie bekannt geworden.

Deuflhard sagt: „Für mein Empfinden wäre es strafbar gewesen, die Flüchtlinge nicht unterzubringen.“ Das sieht der AfD-Landesvorstand anders. Er ist der Meinung, dass ein auch durch Steuergeld finanziertes Haus sich nicht um Menschen kümmern dürfe, deren Aufenthaltsstatus ungeklärt ist.

Die Lampedusa-Flüchtlinge waren ein Symbol für die verfehlte EU-Flüchtlingspolitik. Wie geht die Hansestadt mit denen um, die es bis hierher geschafft haben? Während auf dem Mittelmeer Hunderte ertranken, bewegte diese Frage die Stadt im Herbst 2013. Viele Hamburger gingen auf Solidaritätsdemonstrationen, wuschen die Wäsche der Flüchtlinge oder nahmen sie sogar bei sich zu Hause auf. Sie forderten den SPD-Senat auf, den Flüchtlingen ein Bleiberecht zu gewähren. Als humanitären Akt, aber auch als politisches Statement.

Vergeblich, der SPD-Senat wollte die Gruppe am liebsten zurück nach Italien schicken. In das Land, in dem die Behörden ihnen Bargeld und Papiere gaben, um weiter nach Norden zu reisen. Viele kamen nach Deutschland, weil sie in Italien keine Perspektive sahen, arbeits- und obdachlos waren.

Die meisten der Lampedusa-Flüchtlinge sind noch immer in Hamburg. Immer noch mit ungeklärtem Status. Bis heute sind die Fronten zwischen dem Senat und der Gruppe verhärtet: „Eigentlich hat sich nichts geändert“, sagt Abimbola Odugbesan, ein Sprecher der Flüchtlinge.

Auch der Petitionsausschuss kann eingeschaltet werden

Dabei hat sich eigentlich etwas Grundlegendes getan: Inzwischen ist der Hamburger Senat ein anderer, die Grünen regieren mit. Sie hatten den Lampedusa-Flüchtlingen im Wahlkampf „eine politische Lösung, die ihnen Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis in Hamburg gibt“ versprochen. Heute sagt Odugbesan enttäuscht: „Wir wurden für den Wahlkampf benutzt.“

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen sind die Lampedusa-Flüchtlinge mit keinem Wort erwähnt. Die Sozialdemokraten zeigen weiter Härte, die Grünen konnten sich kaum durchsetzen. Katharina Fegebank, Spitzenkandidatin der Grünen und heute zweite Bürgermeisterin, sagte bei der Vorstellung des Vertrags in den Deichtorhallen erst auf Nachfrage: „Unsere politische Lösung lautet Einzelfallprüfung.“

Doch dieses Zugeständnis ist gar nicht neu, die Nordkirche hatte es der SPD bereits einmal abgerungen. Das Versprechen: Wenn einer der Lampedusa-Flüchtlinge einen offiziellen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung stellt, darf er so lange in Hamburg bleiben, bis darüber und über Widersprüche gegen eventuelle Ablehnungen entschieden ist. Auch die Härtefallkommission oder den Petitionsausschuss der Bürgerschaft können sie in dieser Zeit um Hilfe bitten. So lange erhalten die Flüchtlinge eine Duldung.

Dieses Angebot, das im Sommer 2014 abgelaufen ist, gilt auf Drängen der Grünen nun wieder. „Ich sehe darin eine Perspektive für viele aus der Gruppe“, sagt die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller, auch in der neuen Fraktion zuständig für Flüchtlingsfragen.

„Duldung ist nur eine Verzögerung der Abschiebung“, wiegelt Flüchtlingssprecher Odugbesan ab. Nur die Kranken in der Gruppe würden überlegen, das Angebot anzunehmen. Auch wegen der bisherigen Erfahrung: Im ersten Anlauf stellten 69 der Afrikaner einen Antrag auf eine Einzelfallprüfung. Bislang hat die Ausländerbehörde in elf Fällen entschieden und alle diese Anträge abgelehnt. Die Flüchtlinge haben sich an Gerichte oder den Petitionsausschuss der Bürgerschaft gewandt. Ausgang: offen. „Niemand war bislang wirklich erfolgreich“, sagt Odugbesan. „Deshalb glaube ich auch nicht, dass ich mit einem Antrag Erfolg hätte.“

Eine grundlegende Wende wird es in der Flüchtlingspolitik nicht geben

Angesichts der zahlreichen Konflikte, die es inzwischen in Hamburg im Umgang mit Flüchtlingen gibt, ist die Situation von „Lampedusa in Hamburg“ zu einem Nischenthema geworden. Der Umgang mit der Gruppe hat dennoch hohe Symbolkraft, vor allem im linken Spektrum. Die Grünen wollten bei den zahlreichen Unterstützern der Lampedusa-Gruppe vor der Wahl punkten. Ein Blick in das entsprechende Kapitel „Flüchtlingspolitik“ im Koalitionsvertrag lässt jedoch keine Umbruchstimmung im Rathaus erkennen: Ein bisschen besser als vorher vielleicht, aber mit Luft nach oben.

„Sie haben sich um die Streitpunkte in der Flüchtlingspolitik herum gedrückt“, meint auch die Leiterin der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt, Anne Harms. Auf die drängendsten Fragen gebe die Vereinbarung der Koalitionäre keine Antwort. „Dabei könnte man relativ viel ändern, wenn man wollte.“ Zum Beispiel würde die Hamburger Ausländerbehörde häufig schwer Kranke abschieben oder Familien unangekündigt nachts zur Rückführung abholen. „Die Abschiebungspolitik könnte in Hamburg wesentlich menschlicher sein“, sagt Harms.

Das gilt auch für die Lage in den überfüllten Flüchtlingsunterkünften. „In den großen Sammelunterkünften gibt es Zustände, bei denen das Jugendamt normalerweise einschreiten würde“, sagt Harms. Aus Ratlosigkeit täte es das aber oft nicht. Trotzdem kommen die Einrichtungen in der Regierungsverabredung sehr kurz. „Wir streben mittelfristig die Schaffung von kleineren Einrichtungen an“, steht da nur. Das kann eigentlich nur funktionieren, wenn viele Flüchtlinge aus den Containern in Wohnungen vermittelt werden. Wie soll das gehen? „Ich habe noch niemanden gefunden, der ein Patentrezept dafür hat“, sagt die grüne Abgeordnete Möller. „Das dauert einfach.“

Traumatisierte sollen schnell behandelt werden

Dann ist da der Winterabschiebestopp. Die Grünen hatten wiederholt gefordert, in den Wintermonaten nicht in kalte Balkanländer abzuschieben, im Koalitionsvertrag steht davon nichts mehr. Nur, dass „humanitäre Anordnungen“ gewollt sind. „Wir werden das innerhalb der Koalition neu diskutieren müssen“, sagt Möller. Und das vor dem Hintergrund, dass die SPD im zurückliegenden Winter ihre ablehnende Haltung in dieser Frage noch verschärft hat.

Immerhin aber haben sich Grüne und SPD darauf geeinigt, die Krankenversorgung von ankommenden Flüchtlingen von Beginn an sicherzustellen. Auch traumatisierten Flüchtlingen sollen künftig schnell Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten angeboten werden. Aber eine grundlegende Wende wird es in der Flüchtlingspolitik nicht geben. „Das kann man ja auch nicht erwarten“, findet Antje Möller. Sie sehe jedoch die Chance, „dass sich in der Flüchtlingspolitik Bewegungsspielräume ergeben“. Ein paar Stellschrauben im flüchtlingspolitischen Getriebe des Senats will sie gefunden haben.

Der Chef der Innenbehörde, die zum Beispiel für Abschiebungen zuständig ist, ist mit dem Sozialdemokraten Michael Neumann auch unter Rot-Grün noch derselbe. In seinem Haus stellt man sich daher nicht auf einen grundlegenden Politikwechsel ein. „Wir haben ja noch dieselbe Behördenleitung“, sagt sein Sprecher Frank Reschreiter. „Da gelten gewisse Grundsätze.“

Diese Grundsätze sind es, die Abimbola Odugbesan davon abhalten, sich bei der Behörde zu melden. Er steht neben einer Schautafeln mit Bildern von überfüllten Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer, die sie vor ihrem Protestzelt am Steindamm aufgestellt haben. Boote wie die, die gerade vor der italienischen Küste gesunken sind und Hunderte Flüchtlinge in den Tod gerissen haben. „Ich war geschockt und sehr traurig, als ich davon gehört habe“, sagt Odugbesan. Auch sein Boot mit 270 Passagieren sei damals bei der Überfahrt fast gekentert.

Wie Hamburg mit denen umgeht, die es bis hierher geschafft haben, bleibt für die nahe Zukunft eine hochaktuelle Frage. Deswegen will man auch auf Kampnagel weiter politische Zeichen setzen. Jene Lampedusa-Flüchtlinge, die dort untergekommen waren, mussten zum 1. Mai vorerst umziehen. Doch Theaterintendantin Amelie Deuflhard plant für den Herbst bereits ein Nachfolgeprojekt.

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