05. Januar 2015 · Kommentare deaktiviert für Hafenstad Mersin und die Flüchtlingsfrachter (FAZ) · Kategorien: Hintergrund, Italien, Syrien, Türkei · Tags: ,

Warum Mersin ein Zentrum des Menschenschmuggels ist.

„[…] Dass sich Mersin offenbar zu einem Umschlagplatz für den einträglichen Handel mit der Hoffnung auf ein besseres Leben entwickelt hat, ist kein Zufall. Die südanatolische Hafenstadt mit ihren mehr als 800.000 Einwohnern ist in den vergangenen Jahren zu einem Magneten für Flüchtlinge aus Syrien geworden. Die Stadt hat viele wohlhabende, gut vernetzte Händler aus Aleppo angezogen, die inzwischen einen Teil des lokalen Geschäftslebens dominieren.

Schon im Juli vergangenen Jahres beschwerte sich der Präsident der Handels- und Handwerkskammer von Mersin, Talat Dincer, über die Folgen: Etwa 250 alteingesessene türkische Geschäftsleute der Stadt hätten aufgeben müssen, weil sie der neuen Konkurrenz nicht gewachsen seien. Die Syrer scherten sich nicht um Lizenzen oder gesetzliche Vorschriften, sie zahlten auch keine Steuern, weshalb sie ihre Waren und Dienstleistungen ein Drittel billiger als die Einheimischen anbieten könnten, so Dincer. Tatsächlich scheinen die Behörden die ungeregelte Geschäftstätigkeit syrischer Unternehmer zumindest partiell zu dulden, weil auch sie zum Wirtschaftswachstum beiträgt und ein arbeitender Syrer besser als ein bettelnder Syrer ist, von denen die türkischen Städte ohnehin schon voll sind.

 

Obwohl nicht direkt an der Grenze gelegen, ist Mersin ein Handelsknotenpunkt zwischen der Türkei und Syrien geworden. So schlecht die offiziellen Beziehungen zwischen Damaskus und Ankara auch wurden, Mersin blühte immer weiter auf. Fuhrunternehmer aus der Stadt bringen Waren aus dem Hafen an die syrische Grenze, wo sie sowohl an das Assad-Regime als auch an dessen Gegner verkauft werden. Oft betreiben in Mersin ansässige syrische Fuhrunternehmer dieses Geschäft. Nach Angaben der Handelskammer Mersin wird vor allem Mehl, Speiseöl und Getreide geliefert, aber im Juni vergangenen Jahres deckten türkische Journalisten auf, dass ein Unternehmen aus Mersin auch Diesel an einen vom Assad-Regime kontrollierten Hafen lieferte.

 

Viele syrische Unternehmer in Mersin sind offiziell registriert und haben nicht die Absicht, je nach Syrien zurückzugehen. Sie bemühen sich um die türkische Staatsbürgerschaft. Schließlich zahle man Steuern und schaffe Arbeitsplätze. Ganze Straßenzüge in Mersin sind mittlerweile in syrischer Hand. Arabische Schilder werben für syrische Restaurants, Metzger, Bäcker und Schulen, an denen die Kinder syrischer Flüchtlinge von ebenfalls geflüchteten Lehrern unterrichtet werden. Im Jahr 2013 wurden knapp 490 Firmen mit syrischen Inhabern in der Türkei registriert, allein in den ersten zehn Monaten 2014 waren es mehr als 1000 – ein Viertel davon mit Sitz in Mersin. Damit stellten Syrer im vergangenen Jahr die größte Gruppe neu registrierter ausländischer Unternehmer. Mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien sollen sich in der Türkei aufhalten, aber nur gut 220.000 sind in den 22 Flüchtlingslagern registriert.

 

Die anderen leben in Orten wie Mersin. Und dort sind sie im Begriff, das Gesicht ganzer Städte dauerhaft zu verändern. Auch in der Regierungspartei AKP rechnen viele Politiker mittlerweile damit, dass Hunderttausende Syrer in der Türkei bleiben werden, während andere – und nicht unbedingt die wirtschaftlich erfolgreichsten von ihnen – von Städten wie Mersin aus weiter nach Europa wollen. Exakte Zahlen liegen nicht vor, doch allein in Mersin sollen 45.000 Syrer leben. Es gibt auch Mittellose und Bettler unter ihnen sowie Tagelöhner, die zum Ärger der Einheimischen die Löhne auf dem Bau und in anderen Branchen drücken. Aber es gibt eben auch erfolgreiche Unternehmer, die zum Teil aus Aleppo ihre Kontakte nach Algerien, Ägypten und in andere Teile der arabischen Welt mitgebracht haben. Sie sind in der Textilbranche tätig, im Speditionsgewerbe, im Handel. Dass einige dieser Unternehmer in Kooperation mit lokalen türkischen Behörden zudem in den Menschenschmuggel verwickelt sein könnten, ist zwar bisher nicht bewiesen worden, dürfte aber in den kommenden Tagen ein ernsthaftes politisches Thema in der Türkei werden. […]“

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