10. Juli 2014 · Kommentare deaktiviert für Göttingen: „Somalier berichtet von Flucht“ – GT · Kategorien: Deutschland, Italien, Libyen, Tunesien · Tags: ,

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Somalier berichtet von Flucht

Integrationsrat kritisiert Abschottung Europas

VonJörn Barke

Flüchtlingsaktivisten haben auf einer Pressekonferenz im Göttinger Rathaus die Flüchtlingspolitik der EU scharf kritisiert. Birgit Sacher, Geschäftsführerin des Integrationsrates Göttingen, sagte, die europäische Asylpolitik habe schon lange einen Punkt erreicht, an dem eine Umkehr nötig sei.

Diese Asylpolitik töte massenhaft und stelle die Pfeiler unserer Zivilgesellschaft in Frage. Sacher forderte ein Umdenken: Es sei mehr nötig und ohne große Probleme auch mehr möglich.

Deshalb werde diese Asylpolitik derzeit in der Veranstaltungsreihe „Lampedusa ist überall“ thematisiert, das von einem breiten Bündnis von Flüchtlingsorganisationen wie AK Asyl und Migrationszentrum getragen wird. Lampedusa ist eine italienische Mittelmeerinsel, auf der sich Auffanglager für illegale Einwanderer nach Europa befinden – und vor der allein im Oktober 2013 bei zwei Bootsunglücken rund 400 Flüchtlinge ertranken.

Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration in Berlin sagte, seit 30 Jahren sei eine zunehmende Abschottung der „Festung Europa“ festzustellen. Es gebe immer mehr Tote an den Grenzen Europas. Doch die zunehmende Abschottung funktioniere nicht. Die Menschen südlich des Mittelmeeres flüchteten, obwohl die beste Technologie und militärische Mittel gegen sie aufgeboten würden.

Ebenso wenig funktioniere das Dublin-Abkommen, nachdem Flüchtlinge im ersten Land, in das sie in Europa einreisen, einen Asylantrag stellen müssen. Flüchtlinge könnten und wollten nicht in einer elenden Situation in Italien oder Griechenland bleiben. In ganz Europa breiteten sich Proteste gegen diese Flüchtlingspolitik aus. Die Situation steuere auf eine Krise zu, meint Dietrich.

„Tiefste Verunsicherung“

Einer der Menschen, um die es bei dieser Politik geht, ist der 22-jährige Jama Barre Biindhe, der nach dreijähriger Odyssee in Göttingen gestrandet ist. Er floh nach eigenen Angaben 2011 aus dem seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg zerrissenen Somalia.

Er sei durch mehrere afrikanische Staaten – dabei auch durch die Sahara – zunächst bis nach Libyen  gekommen, erzählt der 22-Jährige. Er versucht zunächst vergeblich, mit dem Boot nach Italien weiter zu fliehen, wird jedoch aufgegriffen und sitzt dann in Libyen im Gefängnis. [Zwischenstation: Stoppen auf See durch tunesische Marine, Transport in das tunesische Lager Choucha, obwohl er nie zuvor in Tunesien gewesen war.] Schließlich gelingt es ihm doch, nach Lampedusa und von dort aufs italienische Festland zu gelangen. Dort muss er nach eigenen Angaben unter unwürdigen Bedingungen in einem Lager leben. Schließlich flüchtet er nach Deutschland weiter, wo er nun in Göttingen lebt. Er möchte sich hier ein besseres Leben aufbauen, arbeiten, vielleicht studieren.

Da jedoch Italien die erste Station des 22-Jährigen in Europa war, ist derzeit nicht klar, ob er sein Asylverfahren wirklich in Deutschland betreiben kann oder wieder nach Italien abgeschoben wird. Dietrich kritisierte die „tiefste Verunsicherung“, die durch das Hin- und Herschieben von Menschen entstehe. Für Sacher ist die optimale Lösung klar: dass Barre Biindhe in Göttingen bleiben darf. Flüchtlinge aus Somalia, Eritrea oder dem Sudan könnten praktisch nicht in ihre Heimat abgeschoben werden, so Dietrich.

„Autonomie der Migration“

Die Göttinger Veranstaltungsreihe über die lebensgefährlichen Fahrten von Flüchtlingen über das Mittelmeer nach Europa wird fortgesetzt. Über die „Autonomie der Migration“ referiert Vassilis Tsianos, der zur Gruppe „Kanak Attak“ gehört, am Dienstag, 15. Juli, ab 19.30 Uhr in der Groner-Tor-Straße 32.Eine szenische Lesung mit Musik wird am Sonntag, 20. Juli, um 16 Uhr von der Arbeitsgruppe „Unser Herz schlägt auf Lampedusa“ aus Hannover im Lumière, Geismarlandstraße 19, veranstaltet. Hauptthema ist die Bootskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa im Oktober 2013.Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe berichtet die Initiative „Lampedusa in Hanau“ über Erfahrungen mit der eruopäischen Grenzpolitik. Beginn ist am Donnerstag, 24. Juli, um 19.30 Uhr im Apex, Burgstraße 46.

mab

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