13. Februar 2014 · Kommentare deaktiviert für Kuweit: „Kampf gegen die Masseneinwanderung am Golf“ (nzz) · Kategorien: Golfstaaten · Tags: ,

„Kampf gegen die Masseneinwanderung am Golf

[…] In Kuwait mag man da nicht länger mitmachen. Und zwar nicht darum, weil dazu die Mittel fehlten, sondern weil man nicht will. Doch wer ist man? […] Zum Beispiel der Abgeordnete Abdallah at-Tamimi, der unlängst im kuwaitischen Parlament (der ersten frei gewählten Volksvertretung am Golf) einen radikalen Vorstoss einreichte. Dieser sieht vor, die Aufenthaltsdauer für sämtliche Ausländer auf ein Maximum von fünf Jahren zu limitieren. Zudem sollen die nach Nationalität getrennten Einwanderergruppen auf maximal zehn Prozent der einheimischen Bevölkerung beschränkt werden.

Bei derzeit 1,25 Millionen Einheimischen bedeutete dies eine Kontingentierung auf 125 000 Personen pro Nationalität. Empfindlich treffen würde ein solches Gesetz die derzeit rund 700 000 Inder in Kuwait, aber auch die Ägypter mit 500 000 Immigranten, die Bangalen (200 000), die Filipinos (160 000) und die Syrer (140 000) wären unmittelbar betroffen. Bürger des Golfkooperationsrats, der EU und der USA wären vom neuen Gesetz ausgenommen. Jenen Immigranten, die neu ein Fünf-Jahres-Visum erhielten, wäre jeglicher Familiennachzug verboten. Tamimis Ziel ist es, die Einheimischen wieder zur Mehrheitsbevölkerung werden zu lassen. Seine Vorlage hätte zur Folge, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre 1,3 Millionen Ausländer ausgewiesen würden. […]

Obwohl die Vorlage chancenlos ist, löste Tamimis Vorschlag eine sehr lebhafte öffentliche Debatte aus. Im Unterschied zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, deren Geschäftsmodell eine fast schrankenlose Immigration voraussetzt, ist in Kuwait die Präsenz von Ausländern ein belastetes Thema. Am stärksten zu spüren bekamen dies die Palästinenser, die einst am Aufbau des jungen Staats massgeblich beteiligt waren. Nachdem sich Yasir Arafat im August 1990 bei der irakischen Invasion Kuwaits auf die Seite Saddams geschlagen hatte, gerieten sämtliche Palästinenser unter den Pauschalverdacht der Kollaboration mit dem Feind und mussten nach der Befreiung Kuwaits im Februar 1991 das Land verlassen.

Während die Ausweisung der etwa 200 000 Palästinenser aus Kuwait eine Folge innerarabischer Streitigkeiten (und einer folgenreichen Fehlentscheidung Arafats) war, fusst Tamimis Vorstoss auf der Angst vor Überfremdung. Es könne nicht sein, dass die Kuwaiter im eigenen Land eine Minderheit seien und einheimische Jugendliche keine Stellen fänden, liess der Abgeordnete vernehmen. Zudem belaste die hohe Zahl der Ausländer die Infrastruktur im Übermasse. Die Strassen und Autobahnen seien chronisch überlastet, es müsse endlich etwas geschehen. Während für helvetische Besucher ob solcher Argumente ein Déjà-vu eintritt, formiert sich auch in Kuwait ein breit abgestützter Protest gegen das Ansinnen, dem zahlreiche ähnliche, wenn auch mildere Vorstösse vorangegangen waren.

Grösster Widerstand kommt jeweils aus der Privatwirtschaft, wo man Wachstum als Gradmesser für Fortschritt sieht. In Menschenrechtskreisen heisst es, Tamimis Vorstoss sei rassistisch. In der «Kuwait Times» ist von Sündenbockpolitik die Rede, asiatische Expats würden für steigende Mieten und wachsende Kriminalität verantwortlich gemacht. Die Kuwaitisierung des Arbeitsmarkts sei ein richtiges Ziel, doch der Weg dahin verlaufe anders.

Kuwaitisierung? Viele arabische Expats winken da nur müde ab und sprechen von einem leeren Schlagwort. Zum Beispiel Walid, ein seit 34 Jahren im Lande lebender Händler aus Libanon, der sich im Moment wegen schlechten Geschäftsgangs als Privatchauffeur durchs Leben bringt. Oder Rana aus Libanon und ihr syrischer Ehemann Farouk. Die beiden hochqualifizierten und mehrsprachigen Experten arbeiten seit Jahren in einem privaten internationalen Dienstleistungsbetrieb. Ihr gemeinsames Gehalt reicht knapp für die Ausbildung ihrer drei halbwüchsigen Kinder und für eine bescheidene Wohnung, Ersparnisse bleiben keine. […]

Sie arbeiteten hier ein halbes Leben lang, ohne Wurzeln zu schlagen und ohne die geringsten Aussichten, jemals die kuwaitische Staatsbürgerschaft beantragen zu können. Kuwaitische Freunde fanden sie nicht. Das sei absolut unmöglich, sagt Farouk, die Einheimischen blieben unter sich. Walid sagt es unverblümter: Ein Apartheidsystem sei dies, hier in Kuwait und in den andern Golfmonarchien auch. Aber wer sich damit arrangiere, habe seine Ruhe. Aus der Sicht arabischstämmiger Nicht-Kuwaiter möge das so scheinen, sagt ein ausländischer Kenner. Doch das bedeute nicht, dass die Kuwaiter im Paradies lebten. Viel eher handle es sich hier um einen Kommunismus der Reichen, mit all seinen Begleiterscheinungen.

Die beiden Hauptprobleme seien die fehlende Identifikation der Bürger mit ihrer Heimat und die von materiellem Überfluss genährte Langeweile der Jungen. Der Mangel an Heimatverbundenheit ist ein alter Vorwurf an die kuwaitische Elite. Es ist bekannt, dass manche Angehörige der führenden Familien das Land während der irakischen Besetzung verliessen und in komfortablem Exil am Genfersee oder anderswo die Vertreibung von Saddams Truppen abwarteten. Solches Verhalten hatte Beispielcharakter, auch für die folgende Generation. Die irakische Invasion ist kaum noch ein Thema in der Öffentlichkeit, und in den menschenleeren Gängen des eigens dafür gebauten Erinnerungsmuseums bröckelt der Putz. Ein Fall kollektiver Verdrängung? Schwer zu sagen.

Die Jungen jedenfalls lähmen andere Gefühle, nämlich die Trägheit und Langeweile der Wohlgesättigten. Die staatlichen Auffangnetze sind für sie ebenso selbstverständlich wie die regelmässigen Geschenke des Emirs – umgerechnet vier Milliarden Dollar soll der Herrscher nach Ausbruch der arabischen Rebellion an die Bevölkerung verteilt haben. Im Emirat blieb es dann auch vergleichsweise ruhig. Die Grosszügigkeit des Emirs erzielte die beabsichtigte Wirkung, und die herrschende Familie vermochte ihre Position zu halten. […]“

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