02. Januar 2014 · Kommentare deaktiviert für Syrische Flüchtlinge: Über das Mittelmeer, dann quer durch Europa · Kategorien: Ägypten, Italien · Tags: , ,

„Entweder wir sterben hier oder auf dem Meer“

„Die zwei Ge­schwis­ter Ghof­ran Shkir und Mo­ham­med sind dem Krieg in Sy­ri­en ent­kom­men. Nun hof­fen sie auf Asyl. In der Frank­fur­ter Rund­schau er­zäh­len sie von ihrer ge­fähr­li­chen Flucht über das Mit­tel­meer.

Ein Be­richt von Mira Ga­je­vic in der Frank­fur­ter Rund­schau

Die­ses Jahr star­ben nach An­ga­ben ita­lie­ni­scher Men­schen­recht­ler min­des­tens 695 Boots­flücht­lin­ge beim Ver­such, das Mit­tel­meer zu über­que­ren. Die Dun­kel­zif­fer dürf­te höher sein. Mo­ham­med Shkir und seine Schwes­ter Ghof­ran ge­hö­ren zu denen, die die ge­fähr­li­che Reise über­lebt haben. Sie waren vor zwei Jah­ren vor dem Krieg in Sy­ri­en nach Kairo ge­flo­hen. Der 24-​Jäh­ri­ge hatte in Da­mas­kus als Bas­ket­ball­coach für junge Spie­ler ge­ar­bei­tet, seine vier Jahre äl­te­re Schwes­ter war Bank­an­ge­stell­te.

[…] In Ägyp­ten waren sie zwar in Si­cher­heit, aber mehr auch nicht. Sie fan­den keine Ar­beit, dann zer­stob auch noch ihre Hoff­nung, in der Bot­schaft eines eu­ro­päi­schen Lan­des ein Visum zu be­kom­men. Nie­mand woll­te den Flücht­lin­gen ein Tou­ris­ten­vi­sum aus­stel­len. Ghof­ran über­re­de­te ihren Bru­der schließ­lich, die le­bens­ge­fähr­li­che Fahrt über das Mit­tel­meer nach Eu­ro­pa zu wagen.

Beide haben in­zwi­schen in Ber­lin Asyl be­an­tragt. Mo­ham­med spielt in der Be­zirks­li­ga von Alba und träumt davon, als Bas­ket­ball­spie­ler Geld zu ver­die­nen. Doch ihre Chan­cen auf Asyl ste­hen schlecht. Da sie über Ita­li­en nach Deutsch­land ein­ge­reist sind, droht ihnen die Ab­schie­bung. Hier er­zäh­len beide von ihrer Flucht.

Fast zwei Jahre haben wir in Kairo ge­lebt, und wir haben jeden Tag ge­hasst. Der Dreck, die Feind­schaft der Ägyp­ter gegen uns sy­ri­sche Flücht­lin­ge, die stän­di­ge Angst vor der Ab­schie­bung nach Sy­ri­en. Nie­mals hät­ten wir in Kairo Ar­beit ge­fun­den. Es gab über­haupt keine Per­spek­ti­ve für uns. Ein Visum für Eu­ro­pa woll­te uns auch nie­mand geben. Ir­gend­wann dach­ten wir uns, ent­we­der wir ster­ben hier oder eben auf dem Meer, bei­des mach­te kei­nen Un­ter­schied mehr. Trotz­dem hat­ten wir große Angst vor der Flucht. All un­se­re Freun­de warn­ten uns, es sei viel zu ge­fähr­lich. Über einen Freund hör­ten wir von einem Schleu­ser, der jeden Don­ners­tag Flücht­lin­ge von Alex­an­dria über das Mit­tel­meer nach Ita­li­en bringt.

[…] Mit dem Chef der Agen­tur spra­chen wir nie, der hieß nur der Dok­tor und blieb immer im Hin­ter­grund. Ein Schlep­per ver­lang­te von jedem 3500 US-​Dol­lar und warn­te uns, dass die Über­fahrt an­stren­gend, ekel­haft und ge­fähr­lich werde. Das hat uns aber nicht mehr ab­ge­schreckt. Wir woll­ten nur noch weg. Das Geld haben wir uns bin­nen einer Woche von Ver­wand­ten und Freun­den zu­sam­men­ge­lie­hen. Die fra­gen uns üb­ri­gens immer noch, wann wir es ihnen end­lich zu­rück­zah­len. Einen Tag vor der Ab­rei­se er­zähl­ten uns Be­kann­te, dass das Boot einer an­de­ren Agen­tur, mit dem wir fast ge­fah­ren wären, ge­sun­ken ist. Un­se­rer Mut­ter haben wir das nicht ge­sagt, sie hätte mit Si­cher­heit ihr Geld wie­der zu­rück­ver­langt und uns nicht gehen las­sen.

Ein Mi­ni­bus brach­te uns von Kairo nach Alex­an­dria, dort schlie­fen wir zu­sam­men mit an­de­ren Flücht­lin­gen in einem Ge­bäu­de der Schlep­per-​Agen­tur. Unser Geld steck­ten sie so­fort ein, wir be­ka­men auch keine Quit­tung dafür. Wir hat­ten des­halb große Angst, dass sie uns be­trü­gen und mit dem Geld ab­hau­en. Nachts um zwei sind wir dann zum Treff­punkt an einer ab­ge­le­ge­nen Stel­le des Ha­fens. Jeder von uns durf­te nur einen Kof­fer mit­neh­men, dazu noch Pro­vi­ant, Was­ser und Wech­sel­sa­chen. Das Boot war win­zig, viel­leicht ge­ra­de ein­mal fünf Meter lang. Die erste Stun­de auf dem Meer muss­ten wir uns unter Fi­scher­net­zen vor der ägyp­ti­schen Küs­ten­wa­che ver­ste­cken. Wir waren viel zu viele in dem Boot, stän­dig schwapp­ten Wel­len hin­ein. […]

Nach ein­ein­halb Stun­den tra­fen wir aber auf einen grö­ße­ren Fisch­kut­ter, der un­ge­fähr elf Meter lang war. Mit uns war­te­ten noch Flücht­lin­ge in an­de­ren Boo­ten dar­auf, in den Kut­ter um­zu­stei­gen. Das war eine ziem­lich wa­cke­li­ge An­ge­le­gen­heit. Wir waren 65 Flücht­lin­ge, die meis­ten aus Sy­ri­en, und drei Be­sat­zungs­mit­glie­der aus Ägyp­ten, das waren viel zu viele für das Boot. Viel ge­re­det haben wir nicht mit den an­de­ren. Jeder war mit sich selbst be­schäf­tigt. Wenn, dann haben wir ver­sucht, die Kin­der zu be­ru­hi­gen, die die ganze Zeit ge­weint haben. Es war au­ßer­dem fürch­ter­lich eng, wir saßen wie die Sar­di­nen ne­ben­ein­an­der. Das Boot schau­kel­te die ganze Zeit sehr hef­tig, wir muss­ten uns alle über­ge­ben, immer wie­der. Es ließ sich gar nicht ver­mei­den, dass wir uns ge­gen­sei­tig voll­kotz­ten. Wir hät­ten nie­mals ge­dacht, dass wir ein­mal so viel Ekel emp­fin­den wür­den. Das ging fünf bis sechs Stun­den so, bis wir wie­der auf ein neues, dies­mal etwa 24 Meter lan­ges Schiff tra­fen. Mit dem an­de­ren hät­ten wir es nicht bis nach Ita­li­en ge­schafft, mein­ten die Schlep­per.

Das neue Schiff war sehr viel höher als unser Kut­ter. Die Schleu­ser waren hek­tisch, alles muss­te ganz schnell gehen. Wir muss­ten un­se­re Sa­chen in das Boot wer­fen, das war schwie­rig. Sehr viele Kof­fer mit den Pa­pie­ren der Flücht­lin­ge sind im Was­ser ge­lan­det. Wir haben un­se­re Ta­sche mit Trink­was­ser und Pro­vi­ant ver­lo­ren. In dem Schiff ver­brach­ten wir die nächs­ten fünf bis sechs Tage. Es gab eine klei­ne ver­dreck­te Toi­let­te für 65 Flücht­lin­ge und die zwölf Schlep­per. Wir haben uns so ge­ekelt. Die ers­ten zwei Tage haben wir nichts ge­trun­ken oder ge­ges­sen, wir hat­ten Angst, dass wir es so­fort wie­der er­bre­chen müs­sen. Wir lagen die ganze Zeit auf dem Boden des Boots, wenn wir auf­ge­stan­den wären, hät­ten wir uns so­fort über­ge­ben.

Ir­gend­wann haben wir nichts mehr ge­spürt. Kei­nen Hun­ger und kei­nen Durst. Zu essen und zu trin­ken gab es nur dre­cki­ges Was­ser und ver­schim­mel­tes Brot, un­se­re Sa­chen hat­ten wir ja ver­lo­ren. Aber wir hätte eh nichts run­ter­be­kom­men. Es war eine ein­zi­ge Tor­tur, und wir haben uns oft ge­fragt, was für eine Schnaps­idee das Ganze war. Tags­über schwitz­ten wir bei über 30 Grad in der Sonne, nachts fro­ren wir in un­se­rer durch­näss­ten und ver­kleb­ten Klei­dung. Der Boden war ja nass. Ge­re­det haben wir auch dort nicht viel, ei­gent­lich haben wir die ganze Zeit nur ge­be­tet und ver­sucht, die Kin­der ab­zu­len­ken, die vor Hun­ger wein­ten und schrie­en. Für die Schön­hei­ten des Mee­res hat­ten wir kein Auge.

[…] Nach fünf lan­gen Tagen haben sie uns ge­sagt, dass wir schon in der Nähe von Ita­li­en sind. Der Ka­pi­tän mein­te, wir müss­ten für das letz­te Stück wie­der in das klei­ne­re Boot um­stei­gen, das hat­ten sie an dem grö­ße­ren Kut­ter fest­ge­bun­den und die ganze Zeit hin­ter uns her­ge­zo­gen. Er sagte uns, jetzt dau­ert es nur noch zwölf Stun­den, das war glatt ge­lo­gen. Wir soll­ten 20 Stun­den in dem Boot ver­brin­gen. Aber dies­mal ohne Essen und Trin­ken, denn die Reste un­se­rer Vor­rä­te be­hiel­ten die Schlep­per. Uns haben sie nur ein Handy und ein GPS-​Ge­rät in die Hände ge­drückt. Au­ßer­dem be­ka­men wir noch einen Zet­tel mit Not­ruf­num­mern, die wir an­ru­fen soll­ten, wenn das Boot zu ken­tern droht. Dann haben sie uns noch die Rich­tung ge­zeigt, in die wir fah­ren soll­ten, und sind weg. Wir hat­ten alle Panik, weil in dem Boot ein klei­nes Leck war. Wir hät­ten die ita­lie­ni­sche Po­li­zei am liebs­ten so­fort an­ge­ru­fen, aber die Ägyp­ter nah­men uns das Handy ab. Sie hat­ten wohl Angst, dass sie als Schleu­ser ins Ge­fäng­nis kom­men wür­den, wenn wir die ita­lie­ni­sche Po­li­zei an­ru­fen.

Als wir immer ner­vö­ser wur­den, be­haup­te­te der Ka­pi­tän, dass er ein paar Num­mern auf dem Zet­tel schon ab­te­le­fo­niert hätte und nie­mand ran­ge­gan­gen sei. Wir haben ihm das nicht ge­glaubt und ihn ge­zwun­gen, uns das Handy zu geben. Bei uns nahm auch nie­mand ab. Einer auf dem Boot hatte die Num­mer vom Roten Kreuz in Nor­we­gen, dort haben wir dann an­ge­ru­fen und uns die Durch­wahl in Ita­li­en geben las­sen. Das hat dann end­lich ge­klappt und wir baten um Hilfe. Ir­gend­wann hör­ten wir einen Hub­schrau­ber über uns krei­sen, auch ein Mi­li­tär­schiff der ita­lie­ni­schen Ma­ri­ne kam. Die kamen aber nicht, um uns zu ret­ten, son­dern mach­ten sich gleich auf die Suche nach dem grö­ße­ren Schleu­ser­schiff. Das war aber schon längst ver­schwun­den. Das Ma­ri­ne­schiff kam dann zu­rück, ein Po­li­zist klet­ter­te zu uns aufs Boot und über­nahm das Kom­man­do.

[…] Zur Mit­tags­stun­de sind wir im süd­ita­lie­ni­schen Ört­chen Roc­cel­la Io­ni­ca an der ka­la­bri­schen Küste an­ge­kom­men. Da stan­den schon Fern­seh­teams, die uns film­ten. Ei­ni­ge Flücht­lin­ge waren so ge­schwächt, die muss­ten so­fort ins Kran­ken­haus. Uns war so schwind­lig, wir haben uns auf den Boden ge­legt. Sie hiel­ten uns acht Tage fest, bis klar war, wer die Schleu­ser unter uns waren. Dann woll­ten die Ita­lie­ner von uns nur noch wis­sen, ob wir Asyl in Ita­li­en be­an­tra­gen wol­len. Wir haben ihnen ge­sagt, dass wir nach Deutsch­land wol­len. Es hieß dann, macht was ihr wollt.

Wir kann­ten zwar nie­mand in Deutsch­land, aber vor Ita­li­en wur­den wir ge­warnt, dass es dort keine Per­spek­ti­ve für Flücht­lin­ge gibt. Wir sind also wei­ter nach Mai­land, wo wir eine Grup­pe Syrer ken­nen­lern­ten, die uns für 200 Euro Busti­ckets nach Ams­ter­dam be­sor­gen woll­ten – die haben uns lei­der be­tro­gen. Wir sind statt­des­sen in Cha­mo­nix in den fran­zö­si­schen Alpen ge­lan­det, und selbst die­ses Ti­cket hät­ten wir für die Hälf­te be­kom­men. In Frank­reich sind wir zur Po­li­zei, die uns eine Nacht im Ge­fäng­nis be­hielt. Sie dis­ku­tier­ten, ob sie uns ab­schie­ben oder frei­las­sen sol­len. Zum Glück lie­ßen sie uns gehen. Wir muss­ten eine Nacht im Park schla­fen, weil wir den Zug nach Lyon ver­passt hat­ten, von dort sind wir wei­ter nach Straß­burg. Ein Be­kann­ter der Fa­mi­lie hat uns nach Of­fen­burg in Deutsch­land ge­fah­ren.

In Of­fen­burg hat­ten wir end­lich ein­mal Glück: Ein Syrer, den wir auf der Stra­ße ken­nen­lern­ten, nahm uns in sein Haus mit. Fünf Tage sind wir dort ge­blie­ben, wir haben nur ge­schla­fen und ge­ges­sen. Er mein­te, wir könn­ten auch Asyl in Of­fen­burg be­an­tra­gen, aber wir woll­ten nach Ber­lin. Am 11. Au­gust, ein Sonn­tag, sind wir mit dem Zug in Ber­lin an­ge­kom­men.“

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