26. Juli 2013 · Kommentare deaktiviert für Saudi-Arabien, Syrien, Iran – beginnt ein langanhaltender Krieg, forciert von USA-EU? · Kategorien: Golfstaaten, Syrien · Tags: ,
Religion und Interesse
26.07.2013
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58649

BERLIN/DAMASKUS
(Eigener Bericht) – Neue Analysen beleuchten die Aktivitäten eines der wichtigsten arabischen Verbündeten Deutschlands im Syrien-Krieg. Demnach hat Saudi-Arabien nicht nur seit mehr als zehn Jahren maßgeblich dazu beigetragen, radikal-islamistische Kräfte im heutigen Kriegsgebiet zu stärken, die mittlerweile den bewaffneten Aufstand dort dominieren. Zudem fördere Riad in Syrien, aber auch darüber hinaus gezielt den Kampf militanter Sunniten gegen Schiiten, um den schiitischen Iran – seinen Hauptrivalen am Persischen Golf – entscheidend zu schwächen. Dieser Kampf drohe den gesamten Mittleren Osten in blutige Glaubenskriege zu stürzen, warnt Guido Steinberg, Mittelost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Tatsächlich ist das gemeinsame Vorgehen gegen Iran eines der zentralen Motive der engen Berliner Kooperation mit Saudi-Arabien; zuletzt hat die EU mit der Einstufung des militärischen Arms der schiitischen Hizbollah als Terrororganisation einen Schlag gegen einen Verbündeten Teherans geführt. In dieselbe Richtung zielen Erwägungen, Syrien aufzuspalten und seine sunnitischen Landesteile mit sunnitischen Gebieten des Irak zusammenzuschließen. Dies wird auch in Berlin diskutiert.
Das Kernland des Salafismus
Aktivitäten Saudi-Arabiens im Syrien-Krieg sind Gegenstand mehrerer Analysen internationaler Think-Tanks, die in jüngster Zeit publiziert wurden. Dabei geht es um die saudische Unterstützung für radikal-islamistische Kräfte, die den bewaffneten Aufstand in Syrien immer stärker dominieren. Saudi-Arabien ist das Kernland der wohl rigidesten Form des Islam, die unter der Bezeichnung „Salafismus“ bekannt ist und einen terroristischen Flügel hat. Zugleich ist es einer der wichtigsten arabischen Verbündeten des Westens, auch der Bundesrepublik, und es wird entsprechend in den westlichen Hauptstädten hofiert – auch in Berlin.[1]
TV-Sender vom Golf
Saudi-Arabien unterstützt traditionell die Ausbreitung des salafistischen Islam in der arabischen Welt und darüber hinaus. Wie aus einer aktuellen Analyse des Swedish Institute of International Affairs hervorgeht, trifft dies auch auf Syrien zu – in Ansätzen bereits in den 1990er Jahren, in zunehmendem Maße jedoch seit dem Amtsantritt von Bashar al Assad im Jahr 2000. Demnach setzte das Regime angesichts wachsender ökonomisch-sozialer Probleme darauf, den drohenden Unmut der Bevölkerung in konservativ-religiöse Sphären zu kanalisieren, um politischen Unruhen jeglichen Nährboden zu entziehen. Die Öffnung kam auch salafistischen Milieus zugute, die unter anderem von Saudi-Arabien unterstützt wurden. „Von den Golfstaaten finanzierte TV-Satellitensender und das Internet wurden die vorrangingen Lieferanten islamistischer Propaganda“, berichtet der Autor der schwedischen Untersuchung, Aron Lund. Gegen Ende des letzten Jahrzehnts sei der Islam in Syrien wieder sehr einflussreich geworden. Das Regime habe zuweilen zu dämpfen versucht, es sei jedoch nicht willens oder auch nicht in der Lage gewesen, „die Flut von Saudi-Arabien finanzierten religiösen Materials, die sich nach Syrien ergoss, zu stoppen“. Dem Land sei auf diese Weise eine recht starke salafistische Strömung erwachsen – die Grundlage für die heute immer dominanteren salafistischen Milizen.[2]
Gegen die Schiiten
In einer aktuellen Stellungnahme weist darüber hinaus Guido Steinberg, Mittelost-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), darauf hin, dass das aktuelle Erstarken des salafistischen Islam – auch, aber keineswegs nur in Syrien – mit einer beträchtlichen Zunahme von Ressentiments gegen Schiiten verbunden ist. Salafisten seien „die wichtigsten Träger antischiitischen Gedankenguts“, erläutert Steinberg; sie glaubten, dass „schiitische Regierungen wie in Syrien und im Irak sowie substaatliche Akteure wie die Hizbullah bekämpft werden“ müssten. Dies trifft gleichermaßen den schiitischen Iran. Dabei entspricht, wie Steinberg konstatiert, die salafistische Ideologie genau den außenpolitischen Interessen Saudi-Arabiens. „Die Führung in Riad“, schreibt der SWP-Fachmann, betrachte „Iran als eine Macht (…), die versucht, im Nahen Osten eine Hegemonialstellung einzunehmen“.[3] „Den arabischen Schiiten“ unterstelle sie gleichzeitig, „eine ‚fünfte Kolonne‘ des schiitischen Nachbarn zu sein“. Daher bemühe sich Riad systematisch, „jeglichen Einflussgewinn“ des Iran sowie „jegliche Emanzipation der Schiiten in der arabischen Welt zu verhindern“. Dies forciere letztlich eine „Zunahme der konfessionellen Feindseligkeiten“ – auch in Syrien, wo „die meisten aufständischen Gruppierungen (…) einen religiös begründeten Antischiismus“ verträten: „Damit ergänzen sie die machtpolitischen Interessen ihrer Unterstützer am Golf“, denen es „vor allem darum geht, den wichtigsten Verbündeten Irans im Nahen Osten zu stürzen“.
Nur der erste Schritt
Steinberg warnt nachdrücklich vor dem Eskalationspotenzial der saudischen Politik. „Schon heute“ sei der Nahe Osten „zwischen den meist nicht-sunnitischen Unterstützern des Assad-Regimes und seinen meist sunnitischen Gegnern tief gespalten“. Der Kampf drohe sich noch stärker als bisher „auf die Nachbarstaaten Libanon und Irak mit ihren ohnehin tiefen religiösen Bruchlinien auszuweiten“. Teheran befürchte „wahrscheinlich nicht zu Unrecht“, ein Machtwechsel in Damaskus werde „für die Saudis und ihre Verbündeten nur der erste Schritt zum Sturz der Regierungen in Bagdad und Teheran“ sein.[4] Aus dieser Befürchtung erkläre sich die massive „iranische Unterstützung für Assad und sein Regime“. Mit Blick auf die schiitischen Bevölkerungsteile in den arabischen Golfdiktaturen warnt Steinberg: „Die brutale Repression der Schiiten in Bahrain und Saudi-Arabien droht junge Aktivisten dort in die Arme Irans zu treiben.“ Dabei sind es, hält der SWP-Experte fest, mit dem Westen verbündete Regierungen wie diejenige Saudi-Arabiens, „die die konfessionellen Spannungen anheizen“ – mit blutigen Folgen nicht nur in Syrien: Im Irak fallen täglich Dutzende Schiiten dem sunnitischen Religionskrieg zum Opfer.
Außenpolitische Motive
Tatsächlich ist das gemeinsame Vorgehen gegen Iran eines der zentralen Motive der Berliner Kooperation mit Saudi-Arabien (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Entsprechend schreitet die Bundesregierung nicht gegen Riad, aber stets gegen Teheran und seine Verbündeten ein. Jüngstes Beispiel ist, dass die EU den militärischen Arm der libanesischen Hizbollah zu einer terroristischen Organisation erklärt hat. Wie Steinberg urteilt, hätte es bereits vor Jahren „etliche Gründe gegeben, um die Organisation als terroristisch einzustufen“.[6] Dass Brüssel ausgerechnet jetzt diesen Schritt ergreife, müsse allerdings – kurz nach dem offenen Eingreifen der Hizbollah in den syrischen Krieg – politisch gewertet werden: „Ziel der Aktion“ sei es, „das Assad-Regime in Syrien und seine Verbündeten zu schwächen“.
Die Spaltung schiitisch kontrollierter Staaten
Bei ihren geostrategischen Operationen nehmen der Westen und seine arabischen Verbündeten auch ein lange anhaltendes Gemetzel in Syrien in Kauf. Es gebe Analytiker, „die sagen, dass dieser Krieg zehn bis 15 Jahre dauern wird“, berichtet der Nahost-Spezialist Michael Lüders – „mit Terroranschlägen, mit Überfällen, mit Instabilität“. Der Syrien-Krieg werde womöglich „erst dann enden (…), wenn er sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblutet hat“. Zudem drohe ein weiteres Übergreifen auf die schon jetzt schwer getroffenen Nachbarstaaten und „die Destabilisierung der ganzen Region“.[7] In den westlichen Hauptstädten wird darüber hinaus eine Spaltung Syriens weiter diskutiert. Dabei sei ein Zusammenschluss der kurdischsprachigen Regionen mit den kurdischsprachigen Teilen des Irak und denjenigen der Türkei im Rahmen eines vergrößerten türkischen Staates denkbar, heißt es etwa (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Auch ein Zusammenschluss der sunnitischen Gebiete Syriens und des Irak ist im Gespräch. Zwar hätten die Lokalwahlen in den irakischen Provinzen am 20. Juni gezeigt, schreibt ein Experte für die Region, „dass der Ruf nach autonomen sunnitischen Provinzen, die mit den benachbarten sunnitischen Provinzen Syriens zusammenwachsen könnten, weniger Unterstützung findet als erwartet worden war“.[9] Doch das könne sich ändern: Der neue Vorsitzende der syrischen Exilopposition sei ein „Vertreter des Stammes der Schammar“, also eines Stammes, der auf beiden Seiten der heutigen syrisch-irakischen Grenze lebe und der „in den Jahren 2004 und 2005 auch den irakischen Staatspräsidenten“ gestellt habe. Das Plädoyer, die sunnitischen Teile Syriens und des Irak zu verschmelzen – damit würde nicht nur das Assad-Regime, sondern auch die schiitische Regierung des Irak dramatisch geschwächt -, sei „nicht verstummt“.
[1] s. dazu Partner, Boomdiktaturen und Militärpartner am Golf (II)
[2] Aron Lund: Syria’s Salafi Insurgents: The Rise of the Syrian Islamic Front, UI Occasional Papers Nr. 17, March 2013
[3], [4] Guido Steinberg: Sunniten gegen Schiiten. Der konfessionelle Gegensatz wird durch Machtpolitik geschürt, www.swp-berlin.org 23.07.2013
[5] s. dazu Die Ordnung am Golf, Hegemonialkampf am Golf (II) und Ein Stabilitätsfaktor
[6] „Vieles hing von den Franzosen ab“; bazonline.ch 23.07.2013
[7] „Der Westen hat in Syrien zu früh auf das falsche Pferd gesetzt“; www.srf.ch 24.07.2013
[8] s. dazu Brücke in die islamische Welt und Das Ende künstlicher Grenzen
[9] Neue Gewaltwelle erschüttert den Irak; Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.07.2013

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