31. Januar 2013 · Kommentare deaktiviert für Tunis Choucha Flüchtlingsprotest, Schattenblick · Kategorien: Libyen, Tunesien · Tags: , ,

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Flüchtlingsproteste in Tunesien – 30. Januar 2013
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sortiert aus
Vor rund zwei Jah­ren sah sich rund eine halbe Mil­li­on Men­schen aus dem Bür­ger­kriegs­land Li­by­en zur Flucht ins be­nach­bar­te Tune­si­en ge­zwun­gen. Nicht einem von ihnen wurde sei­tens der tu­ne­si­schen Be­hör­den die Auf­nah­me ver­wei­gert, ob­wohl in dem Land zu Be­ginn des Jah­res 2011 höchst tur­bu­len­te Ver­hält­nis­se herrsch­ten, hatte sich doch der zuvor 23 Jahre lang dik­ta­to­risch re­gie­ren­de Prä­si­dent Ben Ali im Ja­nu­ar zum Rück­tritt ver­an­laßt ge­se­hen auf­grund lan­des­wei­ter und an­hal­ten­der Pro­tes­te der Be­völ­ke­rung, die als „Ara­bi­scher Früh­ling“ in die Ge­schichts­bü­cher ein­ge­hen soll­ten.

In Chou­cha, einem Ort in Tu­ne­si­en nahe der li­by­schen Gren­ze, wurde im Fe­bru­ar 2011 vom Flücht­lings­hilfs­werk der Ver­ein­ten Na­tio­nen (UNHCR) ein Flücht­lings­la­ger für 20.000 Men­schen ein­ge­rich­tet, die hier zu­nächst ein­mal Auf­nah­me und Un­ter­kunft ge­fun­den hat­ten, dann aber an die­ser un­wirt­li­chen Stät­te in­mit­ten der Wüste einem un­ge­wis­sen Schick­sal ent­ge­gen­sa­hen. Das UNHCR un­ter­zog die Kriegs­flücht­lin­ge einem lang­wie­ri­gen Be­wer­tungs- und Aus­wahl­ver­fah­ren für die An­er­ken­nung als Flücht­lin­ge und die Durch­füh­rung eines so­ge­nann­ten Re­set­t­le­ments, wie die Auf­nah­me in einem Dritt­staat ge­nannt wird.
Wieso es zwi­schen Men­schen, die al­le­samt vor Krieg und Ver­fol­gung in Li­by­en ge­flo­hen sind, „echte“ und „fal­sche“ Flücht­lin­ge geben soll, ist für die Be­trof­fe­nen nicht nach­voll­zieh­bar. Allem An­schein nach wird die Flücht­lings­ab­wehr­po­li­tik, wie sie sei­tens der Eu­ro­päi­schen Union an ihren Au­ßen­gren­zen durch die Agen­tur FRON­TEX durch­ge­setzt wird, auch auf ad­mi­nis­tra­ti­ven Wegen zur An­wen­dung ge­bracht. Das UNHCR scheint dem eher­nen Prin­zip des Tei­lens und Herr­schens ge­folgt zu sein, um ge­gen­über den Kriegs- und Bür­ger­kriegs­flücht­lin­gen, aber auch allen wei­te­ren Men­schen, die sich zur Flucht in eines der nord­afri­ka­ni­schen Nach­bar­län­der oder, schlim­mer noch, zur Über­fahrt nach Eu­ro­pa ent­schlie­ßen könn­ten, eine ab­schre­cken­de Wir­kung zu er­zie­len.
Mo­na­te-, wenn nicht jah­re­lang muß­ten die Chou­cha-Flücht­lin­ge in einer Um­ge­bung aus­har­ren, in denen das ihnen auf­ge­zwun­ge­ne War­ten für sie zu einer Qual wer­den mußte. Alle hat­ten ein Asyl­ver­fah­ren zu durch­lau­fen mit höchst un­ter­schied­li­chen Er­geb­nis­sen. Wie das UNHCR Deutsch­land am 3. Sep­tem­ber 2012 mit­teil­te [1], waren zu die­sem Zeit­punkt nach 18-mo­na­ti­ger War­te­zeit 195 Flücht­lin­ge aus nord­afri­ka­ni­schen Staa­ten aus dem Lager Chou­cha nach Deutsch­land zur Neu­an­sied­lung aus­ge­flo­gen wor­den. Die Er­klä­rung des deut­schen Bot­schaf­ters in Tunis, Jens Plöt­ner, mag in den Ohren der im Lager ver­blie­be­nen Flücht­lin­ge zy­nisch ge­klun­gen haben [1]:
Die Bun­des­re­gie­rung ist er­freut, den Flücht­lin­gen aus Chou­cha die Mög­lich­keit ein­räu­men zu kön­nen, ein neues Leben auf­zu­bau­en. Diese Frau­en, Män­ner und Kin­der haben eine un­glaub­lich schlim­me Not er­tra­gen müs­sen und bes­se­re Zu­kunfts­aus­sich­ten ver­dient. Es ist aber auch die Ge­le­gen­heit, um der tu­ne­si­schen Re­gie­rung und ihren Mit­ar­bei­tern zu dan­ken, die tau­sen­den Flücht­lin­gen aus Li­by­en einen Zu­fluchts­ort er­mög­licht haben.
Von den 2.211 zu die­sem Zeit­punkt im Lager ver­blie­be­nen Flücht­lin­gen war ins­ge­samt 1.320 ein Auf­nah­me­platz zu­ge­sagt wor­den. Nach UNHCR-An­ga­ben stand für 635 von ihnen eine bal­di­ge Ent­schei­dung bevor, für rund 250 soll­te eine „lo­ka­le Lö­sung“ ge­fun­den wer­den. Das al­ler­dings ist nicht ge­sche­hen, leben doch noch heute rund 200 von ihnen – in der Wüste ver­ges­sen – in dem Camp, das im Juni die­ses Jah­res end­gül­tig ge­schlos­sen wer­den soll. Bei die­sen Men­schen han­delt es sich um all jene, die sei­tens des Flücht­lings­hilfs­werks der Ver­ein­ten Na­tio­nen als Flücht­lin­ge nicht an­er­kannt wur­den. An­ge­sichts der Grün­de, die sie zur Flucht ver­an­laßt haben, be­steht für sie al­ler­dings nicht die Mög­lich­keit, ohne Ge­fahr für Leib und Leben in ihr Her­kunfts­land zu­rück­zu­keh­ren.
Ohne of­fi­zi­el­lem Flücht­lings­sta­tus wer­den sie im Camp Chou­cha je­doch nicht mehr für wert be­fun­den, wei­ter am Leben ge­hal­ten zu wer­den. Das UNHCR ver­wei­gert ihnen seit Herbst ver­gan­ge­nen Jah­res, um, wie es hieß, den Aus­rei­se­druck zu er­hö­hen, die Le­bens­mit­tel­ra­tio­nen. Auch wird ihnen jede wei­te­re ge­sund­heit­li­che Ver­sor­gung ver­sagt. Die in der Wüste Ver­ges­se­nen haben sich in den ver­gan­ge­nen Wo­chen durch Brie­fe und De­le­ga­tio­nen an die Ver­ant­wort­li­chen in Tunis ge­wandt, um auf ihre ver­zwei­fel­te Lage auf­merk­sam zu ma­chen. Doch ohne Er­folg. Of­fen­bar soll an ihnen ein Ex­em­pel sta­tu­iert wer­den, um Angst und Schre­cken zu ver­brei­ten unter Men­schen, die in ver­gleich­ba­rer Lage – man denke nur an den Krieg in Mali – ihr Heil in der Flucht su­chen und in Län­der kom­men könn­ten, in denen sie un­er­wünscht sind.
Rund ein­hun­dert der im Lager Chou­cha in Tu­ne­si­en fest­sit­zen­den Men­schen haben sich am Sonn­tag, dem 27. Ja­nu­ar 2013, in die rund 500 Ki­lo­me­ter ent­fern­te Haupt­stadt Tunis auf­ge­macht. Dort an­ge­langt, wol­len sie mit Kund­ge­bun­gen und Pro­tes­ten – auch an ein Wi­der­stands­camp wurde be­reits ge­dacht – die Wie­der­auf­nah­me ihres Ver­fah­rens und die Fort­set­zung der Grund­ver­sor­gung er­rei­chen. In einem Of­fe­nen Brief an die UNHCR-Ver­tre­tung in Tu­ne­si­en haben Freun­de und Freun­din­nen der Flücht­lin­ge, die sich in Tunis mit ihrem Pro­test di­rekt an das UNHCR, aber auch an die Bot­schaf­ten der EU und der USA ge­wen­det haben, auf die un­halt­ba­ren Zu­stän­de auf­merk­sam ge­macht. Darin heißt es [2]:
Wir haben er­fah­ren, dass das Bud­get des UNHCR für das Chou­cha-Camp 2012 stark ge­sun­ken ist. Da sich mitt­ler­wei­le al­ler­dings viel we­ni­ger Men­schen in Chou­cha be­fin­den und auch we­ni­ger Auf­ga­ben zu er­fül­len sind – ist es uns ab­so­lut un­ver­ständ­lich, wie Sie die­je­ni­gen, die Sie als ab­ge­lehn­te Asyl­su­chen­de mar­kier­ten, mit der Ein­füh­rung der so ge­nann­ten „Re­fu­gee-ID“ von jeg­li­chem Zu­gang zu Le­bens­mit­teln und me­di­zi­ni­scher Ver­sor­gung aus­schlie­ßen konn­ten. Selbst Klein­kin­dern wird Milch ver­wei­gert. Na­tür­lich, laut Ihrer De­fi­ni­ti­on fal­len diese „Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten“ nicht unter Ihren Zu­stän­dig­keits­be­reich – wie Sie aber ver­mut­lich sel­ber schon er­fah­ren durf­ten, ist es die­sen Men­schen nicht mög­lich, zu­rück nach Li­by­en oder ihre Her­kunfts­län­der zu rei­sen. Da der Auf­ent­halt in Tu­ne­si­en au­ßer­halb des Camps be­reits zu Fest­nah­men führ­te, sind die ver­blei­ben­den ab­ge­lehn­ten Asyl­su­chen­den fak­tisch im Camp ge­fan­gen – ihnen das min­des­te an hu­ma­ni­tä­rer Ver­sor­gung zu ver­weh­ren, ist nicht hin­nehm­bar!

Anmerkungen:
[1] http://www.unhcr.de/home/artikel/7c8c7d4179c0f55e45ee71a07302a153/deutschland-ankunft-von-195-fluechtlingen-aus-choucha.html?L=0
[2] http://chouchaprotest.noblogs.org/

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