19. Oktober 2012 · Kommentare deaktiviert für Überwachung Megacities · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags:
Urbane Entwicklung (I)
19.10.2012
BERLIN/ESCHBORN/MÜNCHEN
(Eigener Bericht) – Deutsche Entwicklungsagenturen forcieren den Export von Überwachungs- und Repressionstechnik in die Länder des globalen Südens. Jüngster Ausdruck dieses Vorgehens ist der Abschluss eines Kooperationsabkommens zwischen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Siemens-Konzern.
Damit wolle man „drängende Probleme“ auf dem Gebiet der „Sicherheit“ in den „Megacities“ der sogenannten Dritten Welt „besser in den Griff bekommen“, erklären die Verantwortlichen. Siemens produziert zu diesem Zweck „Gefahrenmanagementsysteme“, die Zutrittskontrollen, Videoüberwachung und die Anleitung von „Einsatzkräften“ in städtischen Gebäudekomplexen umfassen. Ähnliche Projekte verfolgt auch die staatliche Fraunhofer-Gesellschaft, die einen „Innovationscluster Future Urban Security“ unterhält. Ziel ist jeweils, die deutsche Wirtschaft auf den „boomenden internationalen Urbanisierungsmärkten“ Asiens, Afrikas und Südamerikas als „Leitanbieter für nachhaltige Stadttechnologien“ in Stellung zu bringen.
Siemens als Entwicklungshelfer
Wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mitteilt, haben die für die staatliche „Entwicklungshilfe“ zuständige Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Siemens-Konzern Anfang Oktober ein förmliches Kooperationsabkommen geschlossen. Dieses sieht eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Stadtplanung in den Ländern der sogenannten Dritten Welt vor. Zur Begründung wird auf das enorme „urbane Wachstum“ verwiesen, das vor allem in Afrika und Asien innerhalb kürzester Zeit Millionenstädte, sogenannte Megacities, entstehen lässt. Hans-Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär im BMZ und Aufsichtsratsvorsitzender der GIZ, lobte die Vereinbarung ausdrücklich und bezeichnete Siemens als einen „Global Player“, mit dem es beim Thema Stadtentwicklung „eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für viele spannende gemeinsame Vorhaben“ gebe. Der Chef des Siemens-Geschäftsbereichs „Infrastructure and Cities“, Roland Busch, erklärte seinerseits, man wolle dazu beitragen, die „drängende(n) Probleme“ auf dem Gebiet der „Sicherheit“ in den urbanen Zentren des globalen Südens „besser in den Griff zu bekommen“.[1]
Städte als Wachstumsmarkt
Unter der Bezeichnung „Siveillance“ wirbt Siemens für eine breite Produktpalette an Überwachungs- und Repressionstechnik. Diese ist speziell auf urbane Ballungsräume zugeschnitten; da die Hälfte der Weltbevölkerung heutzutage in Städten lebe, wachse insbesondere dort „das Bedürfnis nach zuverlässigen Sicherheitslösungen für Menschen und Werte“, heißt es.[2] Im Fokus der Betrachtung stehen sogenannte kritische Infrastrukturen wie Häfen und Flughäfen sowie Anlagen der Energie-, Chemie- und Schwerindustrie. Ziel sei es, die „Geschäftskontinuität“ der in den genannten Bereichen aktiven Unternehmen zu sichern und die getätigten Investitionen gegen Risiken aller Art zu schützen, erklärt der Konzern.[3] Insgesamt gelten Siemens Städte als „wesentlicher Wachstumsmarkt der Zukunft“; man sehe sich „gut aufgestellt, am adressierbaren Marktvolumen von 300 Milliarden Euro in wesentlichem Umfang teilzuhaben“.[4]
Überwachung aus einer Hand
Konkret offeriert Siemens seinen städtischen Kunden unter anderem „intelligente Gefahrenmanagement-Systeme“, die dem Unternehmen zufolge sogenannte integrierte Sicherheitslösungen „aus einer Hand“ bieten.[5] So sorgen etwa in Büro- und Geschäftskomplexen installierte „Zutrittskontrollsysteme“ mittels einer „Echtzeit-Ortung von Menschen und Objekten“ [6] dafür, dass sich „Mitarbeiter und Besucher mit Leichtigkeit im Gebäude bewegen können, während unautorisierte Personen draußen bleiben“ [7]. Zutrittskontroll- und Einbruchmeldesysteme wiederum können mit einer ausgeklügelten Videoüberwachung kombiniert werden, die dem Benutzer stets einen „vollständige(n) Überblick“ über Innenräume und Außenanlagen liefert. In „Krisen- oder Notsituationen“ ist es darauf aufbauend möglich, „Einsatzkräfte“ wie Wachschutz und Polizei auf kürzestem Weg an den „Ereignisort“ zu entsenden [8] und ihnen der jeweiligen Lage entsprechende „Aufgaben“ zuzuweisen [9].
Investitionsräume sichern
Passend dazu bezeichnet das BMZ die „Sicherheit in Städten“ allgemein als ein „zentrales entwicklungspolitisches Anliegen“. Während es sich bei den urbanen Zentren in aller Welt einerseits um die „maßgeblichen Wirtschaftsräume“ handele, in denen 80 Prozent der Wertschöpfung stattfinde, träten dort andererseits „soziale Ungleichheiten“, „wirtschaftliche Perspektivlosigkeit“ und die „Ausgrenzung benachteiligter Bevölkerungsgruppen“ deutlich zutage, heißt es. Die hieraus resultierenden Konsequenzen wie soziale Konflikte und Kriminalität aber seien geeignet, die kommerzielle Expansion nicht zuletzt deutscher Unternehmen zu behindern: „Private und öffentliche Investitionen meiden Risikogebiete, in denen die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.“ Vorgesehen ist daher, insbesondere in den Großstädten des globalen Südens direkt Einfluss auf die „Planung und Neugestaltung von Siedlungs-, Gemeinschafts- und Gewerbeflächen“ zu nehmen: „Gewalt- und Kriminalitätsrisiken können konkret durch Maßnahmen wie Beleuchtung oder Übersichtlichkeit des öffentlichen Raumes beeinflusst werden.“[10] Von Hilfe zum Vorgehen gegen die sozialen Ursachen von Gewalt und Kriminalität ist nicht die Rede.
Modellprojekte
Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf das Projekt „Gewaltprävention in städtischen Armenvierteln“ („Violence Prevention through Urban Upgrading“), das das BMZ und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im südafrikanischen Township Khayelitsha bei Kapstadt initiiert haben. Durch eine Mischung aus repressiven und infrastrukturellen Maßnahmen gelang es hier laut Entwicklungsministerium, die Kriminalität „spürbar zu verringern“.[11] So wurden einerseits Straßenlaternen installiert, Bibliotheken eingerichtet und Sportstätten gebaut und andererseits „Nachbarschaftspatrouillen“ in Zusammenarbeit mit der Polizei durchgeführt. Ähnliches spielte sich auch in der Gemeinde Tshwane/Pretoria ab. Die Mitglieder einer hier auf Geheiß des BMZ zwecks „Nachbarschaftspatrouillen“ ins Leben gerufenen Einheit sogenannter Community Peace Workers wurden im Anschluss an ihre Tätigkeit größtenteils von der südafrikanischen Polizei übernommen. Beide Projekte entstanden im Kontext der Fußballweltmeisterschaft 2010; gefördert wurden sie teils von Mercedes Benz South Africa, teils von der FIFA.[12]
Deutsche Leitanbieter
Neben dem BMZ und dem Siemens-Konzern befasst sich auch die staatliche Fraunhofer-Gesellschaft mit Fragen der „urbanen Sicherheit“.[13] Während ihr „Innovationscluster Future Urban Security“ Repressions- und Überwachungstechnik aller Art entwickelt, kümmert sich die Fraunhofer-Initiative „Morgenstadt“ um die Planung „nachhaltige(r) und lebenswerte(r) Städte der Zukunft“. Wesentlicher Bestandteil der in diesem Zusammenhang angestrengten Überlegungen ist ein „integriertes Risikomanagement“, das dazu dienen soll, Krisen- und Katastrophenszenarien mit „Echtzeitinformationen“ so zu verbinden, dass „jederzeit die Gefahrenlage im gesamten Stadtgebiet“ dargestellt werden kann. Im Blick hat man dabei eigenen Angaben zufolge nicht zuletzt die „boomenden internationalen Urbanisierungsmärkte wie Asien, Afrika und Südamerika“, auf denen die „deutsche Wirtschaft als Leitanbieter für nachhaltige Stadttechnologien“ positioniert werden soll. Erste kommerzielle Erfolge sind bereits zu verzeichnen: Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten hat die Fraunhofer-Gesellschaft einen Rahmenvertrag über die Errichtung eines „Kompetenzzentrums für Baumaterialien und Fassaden“ in Abu Dhabi geschlossen; im saudi-arabischen Riad ist sie am Aufbau eines „nachhaltigen Forschungscampus“ beteiligt.
[1] GIZ und Siemens vereinbaren Zusammenarbeit bei Stadtentwicklung und Infrastruktur; www.bmz.de 02.10.2012
[2] Siveillance: die Antwort auf die schwierigsten Fragen an integrierte Sicherheit; www.buildingtechnologies.siemens.com
[3] Building Technologies; www.siemens.com
[4] Sektor Infrastructure and Cities; www.siemens.com
[5] Gefahrenmanagement-Systeme; www.buildingtechnologies.siemens.com
[6] Zutrittskontrollsysteme; www.buildingtechnologies.siemens.com
[7] Zuverlässige, flexible Systeme für Zutrittskontrolle und Zeitmanagement – SIPORT; www.buildingtechnologies.siemens.com
[8] Eine Leitstellenlösung für kritische Infrastrukturen: Siveillance Vantage; www.buildingtechnologies.siemens.com
[9] Innovative Leitstellenplattform für Ersthelfer – Siveillance Command; www.buildingtechnologies.siemens.com
[10], [11] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): Perspektiven der Urbanisierung – Städte nachhaltig gestalten. Berlin/Bonn, August 2012
[12] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/BMZ (Hg.): Urban (In)Security. Joint Networking Event of German Development Cooperation. UN-HABITAT World Urban Forum 5, 22-26 March 2010, Rio de Janeiro, Brazil. Berlin/Bonn 2010
[13] s. hierzu und im Folgenden: Peer Heinelt: Prima Technik. In: Konkret 08/2012. Zum „Innovationscluster Future Urban Security“ der Fraunhofer-Gesellschaft s. auch Effektive Abwehr

Beitrag teilen

Kommentare geschlossen.