10. Juli 2014 · Kommentare deaktiviert für EU und Operation „Mare nostrum“ – nzz · Kategorien: Europa, Italien, Libyen · Tags: , ,

„«Mare Nostrum»

Europa bastelt an der Flüchtlingspolitik

Niklaus Nuspliger, Mailand

Italien will in seiner im Juli angelaufenen sechsmonatigen EU-Präsidentschaft der Diskussion um mehr Unterstützung für seine Rettungsoperation «Mare Nostrum» neuen Schwung verleihen (Aufnahme: Flüchtlinge in Pozzallo, am 30. Juni 2014).

Etwa 74 000 Bootsmigranten hat Italien mit der Operation «Mare Nostrum» im Mittelmeer seit letztem Herbst gerettet. Jetzt fordert Rom von den EU-Staaten mehr Solidarität in der Flüchtlingspolitik – erhält aber vorerst bloss verbalen Sukkurs.

Als im letzten Oktober vor der Mittelmeerinsel Lampedusa ein Flüchtlingsboot sank und 366 Passagiere in den Tod riss, war die Bestürzung gross und der Ruf nach Massnahmen laut. Zur öffentlichen Beruhigung setzten die EU-Innenminister eine Task-Force ein, die einen unübersichtlichen Strauss von operationellen Massnahmen erarbeitet hat. Doch eine grundsätzliche Debatte über die EU-Migrationspolitik wurde auf den EU-Gipfel von Ende Juni verschoben. Da dieses Treffen von der Ukraine-Krise und der Nomination des Kommissionspräsidenten überschattet wurde, blieb fast unbemerkt, dass die EU-Regierungschefs die migrationspolitisch heiklen Fragen umschifften.

Steigende Flüchtlingszahlen

Doch nun will Italien in seiner im Juli angelaufenen sechsmonatigen EU-Präsidentschaft der Diskussion neuen Schwung verleihen. Am Dienstag hatte Innenminister Angelino Alfano seine EU-Kollegen nach Mailand geladen – und die Flüchtlingspolitik zuoberst auf die Agenda gesetzt. Denn die Zahl der Bootsmigranten nimmt unablässig zu. Hatte der libysche Diktator Ghadhafi sie früher zurückgedrängt, ist Libyen nach dem Zerfall der Staatsstrukturen häufigster Ausgangspunkt für die Überfahrten. 2012 gelangten laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex 16 000 Migranten übers zentrale Mittelmeer nach Europa. 2013 waren es über 40 000, nun nennt Italien die Zahl von rund 70 000 Bootsflüchtlingen – allein seit Jahresbeginn. Alfano wünscht sich daher eine Beteiligung der EU an den Anstrengungen, die sein Land mit der Operation «Mare Nostrum» für die Rettung von Migranten unternimmt.

Das Kontrollzentrum von «Mare Nostrum» befindet sich bei Rom im Hauptquartier der italienischen Marine. Der Kommandant Filippo Foffi führt Journalisten durch die Räume, in denen Marineoffiziere Bildschirme überwachen. Aufgrund der Kursdaten von Handelsschiffen oder mit Hilfe von Marine-Sensoren suchen sie nach Anomalien im Gewimmel der Boote im Mittelmeer. Rückt ein Schiff vom Kurs ab oder lässt ein Wärmebild erahnen, dass ein Boot statt tote Fische lebendige Menschen transportiert, greift die Marine ein.

Doch kann die Marine keine vollständige Überwachung der Meeresfläche von 73 000 Quadratkilometern garantieren, zumal die Schlepper die Migranten oft in Gummiboote stecken, die auf dem Radar schwer zu erkennen sind. Auch das seit Dezember zur Verfügung stehende elektronische Überwachungssystem Eurosur hat sich noch nicht als Wundermittel erwiesen, da den EU-Staaten für eine umfassende Überwachung mit Satelliten oder Drohnen das Geld fehlt. Dennoch haben die italienischen Behörden seit der Lancierung von «Mare Nostrum» im Oktober rund 74 000 Bootsmigranten gerettet, wie Foffi erklärt. […]

In Mailand hat Alfano nun viel verbale Unterstützung für «Mare Nostrum» erhalten, über kurzfristige Hilfestellung will man weiter diskutieren. Doch auf Alfanos Forderung, «Mare Nostrum» der EU-Agentur Frontex zu unterstellen, reagierte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström vorsichtig. Frontex sei auf Infrastruktur der EU-Staaten angewiesen und habe nicht die Mittel, «Mare Nostrum» zu übernehmen. Einige EU-Staaten fordern zudem, dass Italien seinen EU-Verpflichtungen nachkommt. So wies der deutsche Innenminister Thomas De Maizière vor den Medien darauf hin, dass manche Migranten nach der Ankunft in Italien unregistriert nach Nordeuropa weiterreisen – obwohl Italien gemäss dem Dublin-System für die Bearbeitung der Asylgesuche zuständig wäre. […]
Einigkeit herrscht darüber, dass die Kooperation mit Transitstaaten verstärkt werden müsse. Italien und Österreich plädieren dafür, in Kapazitäten zur Unterbringung und Auswahl von Asylsuchenden durch das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge direkt in Nordafrika zu investieren. Im Gegenzug würde sich Europa bereit erklären, Flüchtlingskontingente aufzunehmen. […]“

Kommentare geschlossen.