Liebe AbonnentInnen des Newsletters, liebe Syrien-Interessierte,
wenngleich sich die Hoffnungen auf Genf II gering hielten, ist das vorläufige Scheitern der Friedensgespräche für die Notleidenden in Syrien ein herber Schlag. Zwar war nicht zu erwarten, dass der politische Transformationsprozess ernsthaft in Gang kommt – dafür lagen die Verhandlungspositionen der syrischen Konfliktparteien schlicht zu weit auseinander -, jedoch bestanden Hoffnungen auf ein Übereinkommen in der humanitären Frage.
Hunderttausende Menschen sind in Syrien, u.a. im Raum Damaskus und Homs, bereits seit Monaten von Hilfslieferungen jeglicher Art abgeschnitten. Entsetzlicherweise konnten im Rahmen von Genf II allerdings keine Vereinbarungen über Hilfslieferungen oder gar ein Ende der Blockadepolitik von Seiten der syrischen Regierung abgeschlossen werden.
AJE (Al-Jazeera English) interviewte Buthaina Shaaban, Beraterin Bashar al-Assads, anlässlich von Genf II und ging auch auf das Thema der humanitären Hilfe ein: http://www.youtube.com/watch?v=gZlfNuOVVw0. Shaaban äußerte (Minute 4:00-5:00), in ganz Syrien werde mit Partnern humanitäre Hilfe verteilt. Vielmehr seien die Bemühungen der Opposition, ein „paar Trucks“ nach Homs zu liefern, nur deren letzter Versuch, Legitimität zu erreichen. Mit solcher Attitüde ist das Scheitern der Verhandlungen nicht erstaunlich.
Genf II bildete auf dem Adopt a Revolution-Blog in den letzten 2 Wochen das beherrschende Thema. Allerdings verfolgten wir nicht die stockenden Verhandlungen in der Schweiz, sondern das Geschehen in Syrien und die Meinungen von AktivistInnen im Land. In einem Liveblog haben wir knapp zwei Wochen solche Statements und Meldungen aus Syrien aufbereitet, nachlesen können Sie unter: https://www.adoptrevolution.org/liveblog-genf-ii/. Deutlich wurden v.a. zwei Dinge: Die Gewalt und Belagerung gegen oppositionelle Gebiete wurde von Seiten der Regierung während Genf II keinesfalls eingestellt. Zudem erhofften sich wenige AktivistInnen Signale und Lösungen von Genf II, sehen Friedensverhandlungen zwischen Regime und Opposition oft jedoch als unerlässlich für ein Ende des Konflikts.
Mehrere Hintergrundberichte und -kommentare beleuchteten zudem Aspekte rund um Genf II, so z.B.:
- Das Fehlen unabhängiger syrischer Frauengruppen schadet dem syrischen Friedensprozess erheblich, argumentiert Sophia. Der Artikel beleuchtet Bemühungen, Syriens Frauen eine Stimme in Genf II zu verleihen: https://www.adoptrevolution.org/syriens-frauen-bleiben-in-genf-ungehoert-zum-schaden-des-friedensprozesses/
- Gebetsmühlenartig wiederholt das syrische Regime, mit der bestehenden Opposition könne man nicht verhandeln: zu zerstritten oder islamistisch. Jedoch zeigt ein Beitrag von Ansar & Sophie, dass das Regime vor Genf II erneut gezielt gegen säkulare Oppositionelle und TrägerInnen der Zivilgesellschaft vorging: https://www.adoptrevolution.org/verhaftungswelle-in-damaskus/
- Dass in Syriens Gefängnissen Folter an der Tagesordnung ist, war lange bekannt. Doch zu Genf II kamen Fotos und Aussagen aus Syrien zum Vorschein, die die massenweise Tötung von BürgerInnen in Syriens Gefängnissen bestätigen können. Ein aktueller Kommentar zum Thema Folteropfer unterstreicht die Lebensgefahr der AktivistInnen. Daher bedeutet Unterstützung nun v.a., zivile AktivistInnen und Strukturen vor dem Tod zu bewahren: https://www.adoptrevolution.org/folteropfer-nicht-neu-aber-taeglich-wieder-schrecklich/
Erst gestern erreichte uns aus Syrien die Nachricht, dass der 27-jährige Aktivist Wisam Fayez Sara in Regimehaft zu Tode gefoltert wurde. Der Aktivist Wisam war Sohn des langjährigen linken Oppositionellen Fayez Sara. Obwohl sich das Regime als Bewahrer der Minderheiten geriert, hält es nichts davon ab, christliche Aktivisten wie Wisam zu inhaftieren und zu töten.
Auf dem Blog finden Sie auch Hintergrundberichte zur aktuellen Lage um Damaskus:
- Videointerviews aus Ost-Ghouta: https://www.adoptrevolution.org/videointerview-erwartungen-zu-beginn-von-genf-ii/. Jene Gebiete rund um Damaskus waren Ziel der Chemiewaffenangriffe von 2013 und leiden seit Monaten unter Belagerung.
- Videointerviews aus Zabadani: https://www.adoptrevolution.org/videointerviews-zabadani-500-tage-belagerung/. Der Ort an der libanesischen Grenze leidet seit mehr als 500 Tagen unter Beschuss und Abriegelung.
- Ein Bericht führt die Regimepolitik der Belagerung und Aushungerung aus, die im Raum Damaskus dazu genutzt wird, die Opposition zu schwächen und auseinanderzudividieren. Leidtragende sind v.a. Zivilisten, u.a. im Camp Yarmouk, Erbin oder Muadamiya: https://www.adoptrevolution.org/damaskus-vor-genf-ii/
Unsere Presseschauen (unter https://www.adoptrevolution.org/category/presseschau/) informieren u.a. über:
- neue Akteure vor Ort: Baath-Bataillone (Regime) & die Islamische Front (Opposition)
- Eindrücke aus dem gespaltenen Tartous: Regimehochburg & Zuflucht für Binnenflüchtlinge
- Konflikt-Analyse Syrien: Assad, Islamisten & die internat. Gemeinschaft
- Al-Qaeda: ISIS nicht Teil unseres Netzwerkes
- der Schriftsteller Khaled Khalifa über das Leben in Damaskus
Noch ein interessanter Videolink: Der Syrienkorrespondent der jungle world, Oliver Piecha, hat anlässlich der Arabischen Kulturwochen in Hamburg einen Vortrag zu Syrien gehalten, Thema: „Die regionalpolitische Lage Syriens im Nahen Osten und die Politik des Westens“. In diesem Vortrag spricht Piecha über die Verwandlung des syrischen Konflikts hin zu einem Bürgerkrieg, ganz entgegen den Wünschen der AktivistInnen. Erfreulich: Piecha stellte auch kurz die Arbeit von AaR vor; http://lecture2go.uni-hamburg.de/veranstaltungen/-/v/15775
Mit besten Grüßen,
das Adopt a Revolution-Team