20. November 2013 · Kommentare deaktiviert für SZ: „Wie Geheimdienste Asylbewerber benutzen“ – BND, NSA u.a. · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Die Praktikanten des BND

Die Quelle aus Somalia

 http://www.geheimerkrieg.de/#entry-25-5293-die-quelle-aus-somalia 

Irgendwo in München

In Somalia ist Yusuf A. ein Mann mit Macht, ein Politiker mit Geld, einer großen Familie und mehreren Autos. Den Islamisten von al-Shaabab aber ist er ein Dorn im Auge. Erst bedrohen sie ihn, dann schlägt eine Granate in sein Haus ein. Yusuf A. flüchtet nach Deutschland.

Die deutschen Behörden interessieren sich für den Mann aus Somalia. Sie befragen ihn, stundenlang, fünf Mal innerhalb von sechs Wochen, sagt er. Die Beamten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die über seinen Asylantrag entscheiden, kommen nicht allein zu den Gesprächen. Ihre Begleiter stellen sich als Praktikanten vor, sie tragen schlecht sitzende Anzüge, und sie sind alt, diese Männer und Frauen, eigentlich zu alt für Praktikanten.

Die 4. Etage

Hauptstelle für Befragungswesen, Hohenzollerndamm 150, Berlin

Einige dieser Praktikanten arbeiten in einem Berliner Bürogebäude, Hohenzollerndamm 150, vierte Etage. Ihr Auftrag: Asylbewerber ausfragen, Handynummern abfischen, Insiderwissen aus Kriegsgebieten aufspüren. Ihr Arbeitgeber: die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW).

Die Hauptstelle für Befragungswesen © NDR

Die Behörde ist direkt dem Kanzleramt unterstellt, genau wie der Bundesnachrichtendienst (BND), mit dem sie eng zusammenarbeiten soll. Die Hauptstelle hat keine Internetseite, auf dem Klingelschild der Berliner Dependance firmieren die Agenten unter „K. Mustermann“. Und um in ihr Büro im obersten Stock zu kommen, brauchen sie einen Spezialschlüssel. Denn es führen keine Treppen hinauf und der Lift fährt nur bis in die dritte Etage.

Wenn die Beamten der Hauptstelle für Befragung in die Flüchtlingsheime ausrücken, sollen Asylbewerber wie Yusuf A. berichten: über die Verhältnisse in ihrer Heimat, über Politiker, über Clanführer und deren Familien. Gern nehmen die deutschen Agenten auch Handynummern und Adressen, interessieren sich für Fahrtwege und Aufenthaltsorte von vermeintlichen Terroristen. Die Flüchtige erfahren nicht, was mit all dem geschieht, das sie den Praktikanten erzählen.

Behördenpost

Hauptstelle für Befragungswesen, Hohenzollerndamm 150, Berlin
In Somalia und Afghanistan führen die USA ihren Krieg gegen den Terror mit Drohnen, dabei sterben immer wieder auch Zivilisten. Handynummern und Fahrtrouten können helfen, Menschen zu orten. Und wenn deutsche Beamte wichtige Informationen erhalten, könnten sie auch für die Amerikaner interessant sein.

Fragebogen der Hauptstelle für Befragungswesen  © NDR

Einige der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Somalia bekommen neben den Asyl-Unterlagen noch einen Brief von der Hauptstelle. Darin heißt es: „Die sicherheitspolitische Lage weltweit“ mache es erforderlich, dass die Regierung der Bundesrepublik „über politische und gesellschaftliche Aspekte in Ihrem Heimatland“ Informationen erhalte. Aufgabe der HBW sei es, „sich an der Sammlung zuverlässiger Informationen zu beteiligen“. Dazu ein Fragebogen, verfasst in der jeweiligen Landessprache.

Sie können helfen!

HBW Außenstelle Nürnberg, Wielandstr. 27
Die Adresse auf dem Fragebogen führt nach Nürnberg, Wielandstraße 27, nördlich der Innenstadt. In eine alte Stadtvilla in St. Johannes, erbaut vor einhundert Jahren. Die Fenster sind verschlossen, die Rollläden runtergelassen. Auch hier soll die Hauptstelle für Befragungswesen einen Sitz haben.

Fragebogen der Hauptstelle für Befragungswesen  © NDR

„Sie können der deutschen Regierung helfen“, lautet der erste Satz des Fragebogens, den afghanische Asylbewerber erhalten, verfasst in Dari, ihrer Landessprache. „Sie können helfen, die Lage in Afghanistan besser einzuschätzen.“ Es werde auch nur ein paar Minuten dauern und das Ausfüllen des Fragebogens sei freiwillig. Auf Wunsch würden die Angaben sogar anonym gespeichert.

Trinkwasser und Taliban

HBW Außenstelle Nürnberg, Wielandstr. 27

Die Hauptstelle will wissen, wie die Versorgung mit Ärzten und Trinkwasser im Heimatort ist, wie die Soldaten aus dem Ausland bewertet würden und ob man glaube, dass die Regierung die Lage im Land stabil halten kann. Doch den deutschen Befragern geht es auch darum, politische Gefahren für Deutschland zu ergründen. Die Asylbewerber sollen beantworten:

Die Leute in meinem Heimatort unterstützen die Taliban offen.

  • ja
  • nein

Was werden Ihre Freunde, Bekannten, Arbeitskollegen und Verwandten tun, falls die Taliban wieder an die Macht kommen?

  • Sie werden sich mit der neuen Regierung abfinden und Ihr bisheriges Leben weiterleben.
  • Sie werden in eines der Nachbarländer Afghanistans fliehen, um sich vor Unterdrückung und Gewalt in Sicherheit zu bringen.
  • Sie werden nach Europa gehen und dort einen Asylantrag stellen.

Kein Kommentar

Hauptstelle für Befragungswesen, Hohenzollerndamm 150, Berlin

Die Bundesregierung bleibt einsilbig bei Fragen zur Hauptstelle und teilt auf eine parlamentarische Anfrage im Winter 2012 lediglich mit: Das Verhältnis zwischen der Hauptstelle und dem Bundesnachrichtendienst berühre „das Staatswohl und ist daher in einer zur Veröffentlichung vorgesehenen Fassung nicht zu behandeln, was nicht bedeutet, dass die Behauptung, die Hauptstelle für Befragungswesen sei dem Bundesnachrichtendienst zuzuordnen, zutreffend ist oder nicht“. Der Norddeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung erhalten auf ihre erneute Anfrage im November 2013 die gleiche Absage mit anderen Worten.

Auch der Bundesnachrichtendienst schweigt und lässt die Anfragen von NDR und SZ unbeantwortet. Da sich die Hauptstelle ebenfalls nicht äußern möchte zu ihren Tätigkeiten, besuchen wir sie unangemeldet und überraschen die heimlichen BND-Mitarbeiter vor Ort.

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BND ist nicht zuständig, fragen Sie bitte den BND

Pressestelle des Bundesnachrichtendients, Gardeschützenweg, Berlin

Wenige Tage nach diesem Besuch antwortet der BND auf unsere Anfrage. Ein Sprecher entschuldigt sich für die späte Antwort und schreibt: „Inhaltlich können wir Ihnen bei Ihrer Anfrage nicht weiterhelfen, da die Hauptstelle für Befragungswesen kein Bestandteil des Bundesnachrichtendienstes ist.“ Man sei nicht zuständig. Und weiter: „Trotzdem würden wir uns freuen, wenn Sie bei der nächsten Anfrage mit BND-Bezug den direkten Weg zur Pressestelle suchen.“ Wir sollen uns also mit Fragen zu einer Stelle, für die der BND nach eigener Aussage nicht zuständig ist, an die Pressestelle des BND wenden.

Die Hauptstelle für Befragungswesen © NDR

Gewölbe mit Bundesadler

Grenzdurchgangslager Friedland

Die Mitarbeiter der Hauptstelle für Befragungswesen – etwa 40 sollen es sein – arbeiten auch in Niedersachen. Eine Außenstelle liegt im „Grenzdurchgangslager Friedland“ bei Göttingen. Es ist der einzige HBW-Standort, den die Bundesregierung offiziell bestätigt.

Die Unterkunft in Friedland ist eine Aufnahmestelle für Männer und Frauen, die vor den Kriegen in ihren Heimatländern nach Europa geflohen sind. Viele von ihnen kommen aus Ländern, in denen die USA Terroristen mit Kampfdrohnen jagen.

Auf den Lagerplänen, die überall auf dem Gelände in Glaskästen aushängen, wird jedes Haus beschrieben und ist mit Farben markiert. Die Unterkünfte sind hellblau eingefärbt, der Speisesaal ist orange und die Fahrradwerkstatt gelb. Nur eine Einrichtung in Haus 16 fehlt: die Hauptstelle für Befragungswesen. Dort, im Keller, im Gewölbe, arbeiten sechs HBW-Mitarbeiter. Ein goldenes Schild mit Bundesadler verweist auf das Bundesverwaltungsamt als Mieter. Die Türen nach unten sind allerdings verschlossen.

Fünf Grüne

Außenstelle der HBW, Grenzdurchgangslager Friedland

Die Beamten in Friedland treffen nur die Asylbewerber, deren Fragebögen interessante Informationen enthielten: Wie heißt der lokale Anführer von al-Shabaab, den Sie kennen? Mit wem ist er befreundet? Wie heißen seine Geschwister? In welcher Moschee betet er? Auch die Umgangssprache interessiert die Befrager: Sagt man noch „fünf Grüne“, wenn man fünf Dollar meint? Solches Wissen ist wichtig, um Personen zu verstehen, die man abhört, deren Mails man liest, deren Chats man abfängt. Ein Dolmetscher übersetzt die Fragen der Deutschen.

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Asyl gegen Info

Bundeskanzleramt, Berlin

Viele der Asylbewerber antworten nur, weil sie Angst haben, sonst ausgewiesen zu werden. Besonders kooperative Gesprächspartner hätten weniger Probleme mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung, das ist der Eindruck vieler Flüchtlinge und Übersetzer. Selbst die Bundesregierung bestätigt das, indirekt zumindest: Das Bundesamt für Migration sei gesetzlich verpflichtet, auch Nachfluchtgründe bei der Entscheidung über den Asylantrag zu berücksichtigen. „Soweit solche so genannte Nachfluchtgründe aus der Befragung durch die Hauptstelle für Befragungswesen entstehen, werden sie dementsprechend berücksichtigt“, heißt es in einer offiziellen Antwort der Bundesregierung.

Im Klartext bedeutet dieses Konstrukt: Die Flüchtlinge, die relevant sind für die Bundesregierung, die wegen ihrer Auskünfte aber nicht zurück können in ihre Heimat, weil ihnen dort nun Verfolgung und Strafe drohen, dürfen bleiben. Die Bundesregierung dementiert: „Eine Verweigerung der Kooperation“, teilt sie auf Nachfrage mit, habe keinen Einfluss auf die Entscheidung im Asylverfahren. „Eine Hilfestellung oder Belohnung für Asylbewerber als Gegenleistung für Kooperation mit anderen Behörden erfolgt nicht.“

50-jähriges Jubiläum

Hauptstelle für Befragungswesen, Hohenzollerndamm 150, Berlin

Unter dem Pseudonym Jack Dawson hat ein Insider vor einigen Jahren einen Aufsatz über die Hauptstelle für Befragungswesen veröffentlicht. Sie sei demnach Teil eines gemeinsamen Programms von Diensten aus Deutschland, Großbritannien und den USA. Auch Frankreich soll zeitweise mitgemacht haben. Zum 50-jährigen Jubiläum der HBW im April 2008 hätten die deutschen Geheimdienstler gemeinsam mit ihren amerikanischen und britischen Kollegen gefeiert. Die sollen sogar ein Geschenk mitgebracht haben: eine Kaffeetasse mit der Jahreszahl 1958 und Bildern der deutschen, britischen und amerikanischen Flagge.

Angeblich sollen die britischen und amerikanischen Agenten teilweise auch allein befragen, ohne HBW-Mitarbeiter. Und die drei Länder kooperierten bei der Befragung von Flüchtlingen auch weiterhin, sagt Dawson auf Nachfrage im Oktober 2013.

Freie Stellen beim BND

Zentrale des Bundesnachrichtendiensts, Pullach

Offiziell sind die ausländischen Agenten bei den Botschaften ihrer Länder angestellt. Erfahren sie bei einer Befragung in Deutschland relevante Neuigkeiten, rapportieren sie nach Großbritannien und in die USA. Dort würden Analysten die Ergebnisse auswerten. Auf Anfrage von NDR und Süddeutsche Zeitung verweist die Bundesregierung auf Vorschriften der Geheimhaltung und teilt zu Dawsons Ausführungen mit: „Mit einer substantiierten und detaillierten Beantwortung der Fragen würden Einzelheiten zur Methodik bekannt, die die weitere Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung von HBW und BND gefährden würden.“

Stellenausschreibung des BND  © Screenshot

Der Bundesnachrichtendienst sucht derzeit übrigens „freiberufliche Mitarbeiter/innen“ mit ausgeprägtem Hörverständnis, die Somali sprechen können. Außerdem „eine/n engagierte/n Übersetzer/in“ mit guten Englischkenntnissen, der Arabisch und Farsi beherrscht. Bewerber sollen ihre Anfrage beim BND bitte diskret behandeln.“

Stefan Buchen, Christian Fuchs, John Goetz, Klaus Ott, Niklas Schenck, Alexander Tieg

(Fotos: Niklas Schenck, NDR, picture alliance/dpa)

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