„Jagd auf Fremdarbeiter. Saudiarabien weist Hunderttausende von Ausländern aus
Mit der Ausweisung von Ausländern will Riad seine Wirtschaft «saudisieren». Die Kampagne stellt für das Wirtschaftsleben aber auch eine Belastung dar.
Jürg Bischoff, Beirut
Die Jagd auf ausländische Arbeiter ohne Aufenthaltsbewilligung hat in Saudiarabien in den letzten zehn Tagen das Wirtschaftsleben schwer gestört und in mehreren Städten Unrast ausgelöst. Mit der Ausweisung der Ausländer will die Regierung die Arbeitslosigkeit unter den eigenen Bürgern bekämpfen, die heute bei 13 Prozent liegt, und die «Saudisierung» der Wirtschaft vorantreiben. Rund eine Million Ausländer sollen das Land bereits verlassen haben.
[…] Zum Beginn des Jahres hat das Königreich strengere Regeln im Arbeitsgesetz für Ausländer eingeführt, die rund ein Drittel der saudischen Bevölkerung von 28 Millionen ausmachen. Den Fremdarbeitern wurde bis Anfang November Zeit gegeben, um ihren Aufenthalt zu legalisieren, was vier Millionen von ihnen gelang. Seither machen Inspektoren des Arbeitsministeriums Jagd auf ausländische Arbeiter ohne gültige Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen.
Eine erste Folge der Aktion war, dass ein grosser Teil der Ausländer nicht mehr zur Arbeit ging, um die Razzien der Sicherheitskräfte zu vermeiden. Geschäfte und Märkte blieben geschlossen, Schulen und Spitälern fehlte es an Personal, Baustellen und Müllentsorgung standen still. Ein Teil der Schwarzarbeiter tauchte wohl ab, um ein Ende der Razzien und des staatlichen Eifers zur Durchsetzung des Gesetzes abzuwarten. Für die Mehrheit war es aber schlichtweg unmöglich, ihren Aufenthalt zu legalisieren.
Dafür gibt es viele Gründe, darunter die Überforderung der staatlichen Bürokratie bei der Behandlung der Gesuche. Doch viele kamen gar nicht dazu, ein Gesuch einzureichen, weil sie nicht über ihren Pass und andere nötige Dokumente verfügten. Diese sind im Gewahrsam ihres Arbeitgebers oder des saudischen Bürgen, ohne den Ausländer keine Arbeitsbewilligung erhalten. Das sogenannte Kafala-System macht Fremdarbeiter von einem Bürgen abhängig, ohne dessen Zustimmung sie ihre Arbeit weder aufgeben noch wechseln können. Wenn der Arbeiter den Bürgen braucht, kostet dies Geld.
In den letzten Tagen hat sich die Wut über die Willkür dieses Systems und der Ausweisungen in Zusammenrottungen und Protesten von Fremdarbeitern in verschiedenen Städten entladen. In Riad kam es am Samstag zu schweren Krawallen und Zusammenstössen zwischen der Polizei und äthiopischen Fremdarbeitern, die zwei Tote und Dutzende von Verletzten forderten. Die Aufrührer hätten Steine geworfen und Barrikaden errichtet, meldete die saudische Nachrichtenagentur, die Polizei habe 561 Personen festgenommen.
[…] Saudische Medien berichten, das Fehlen der abgeschobenen oder abgetauchten Arbeiter habe die Löhne, je nach Sektor, bereits um 20 bis 40 Prozent ansteigen lassen. […]
Viele private Unternehmer überlebten nur dank den niedrigen Löhnen, die sie rechtlosen ausländischen Schwarzarbeitern zahlten, und dürften nun ihre Geschäfte aufgeben. Die «Saudisierung» könnte für die Wirtschaft des Königreichs auch zu einer schweren Belastungsprobe werden. […]“