13. November 2013 · Kommentare deaktiviert für Eurosur und das EU-Forschungsprogramm „Horizont 2010“ · Kategorien: Mittelmeerroute · Tags: ,

Überwachung EU steckt Milliardensummen in Hightech-Grenzschutz

von Markus Keßler

Europa investiert Milliarden in Technologien, die eine lückenlose Überwachung der Außengrenzen ermöglichen sollen. Die Rüstungsindustrie macht enorme Umsätze.

Über 300 Menschen sind vor Kurzem beim Versuch, Europa zu erreichen, vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ertrunken. Eine ernsthaften Versuch, auf EU-Ebene eine politische Lösung für das Problem des Umgangs mit den Flüchtlingen zu finden, gibt es deshalb aber nicht, wie viele Experten kritisieren. Europa setzt stattdessen auf Abschottung.

Schon heute werden bestimmte Grenzabschnitte mit Radar, Flugzeugen und Booten praktisch lückenlos überwacht. Mit der weiteren technologischen Aufrüstung verdient sich vor allem die europäische Rüstungsindustrie eine goldene Nase. In Zukunft sollen Drohnen und hochauflösende Satellitenbilder verdächtige Bewegungen an Europas Rändern und darüberhinaus registrieren. Politisch lassen sich die überwachten Grenzen in den Mitgliedsstaaten gerade in Zeiten der Krise ebenfalls hervorragend verkaufen.

Koordinierte Überwachung
Das europäische Parlament hat dem neuen Grenzüberwachungssystem EUROSUR (European Border Surveillance System) vor Kurzem seine Zustimmung gegeben. Die EU-Mitgliedsstaaten sollen alle ihnen zur Verfügung stehenden technischen Mittel einsetzen, um relevanten Informationen in das System einzuspeisen. Auch der Einsatz neuer Technologien ist somit abgesegnet.

“EUROSUR ist ein System zum Austausch von Informationen. Eine Aufstockung der technischen Kapazitäten ist im Programm nicht vorgesehen. Wir nutzen die Technologien, die in den Mitgliedsstaaten bereits vorhanden sind. Mit dem neuen System können wir etwas weiter sehen, auch über die Grenzen hinaus”, sagt Gil Arias, Vizedirektor von FRONTEX, der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, im Gespräch mit der futurezone.

Forschungsprojekte lassen Zukunft erahnen

Das bedeutet aber nicht, dass die technologischen Kapazitäten in Zukunft nicht ausgebaut werden. Im Vor- und Umfeld von EUROSUR ins Leben gerufene Forschungsprojekte geben Einblick, welche Mittel in Zukunft an Europas Grenzen zum Einsatz kommen sollen. Milliardenschwere, von der EU kofinanzierte Forschungsprojekte widmen sich etwa dem Einsatz von Drohnen, zu Wasser und zu Land, um die Grenzen zu kontrollieren.

“Allein für Projekte mit EUROSUR-Bezug sind schätzungsweise bereits 170 bis 180 Millionen Euro geflossen. Weitere 500 Millionen sind in Drohnen-bezogene Forschung investiert worden. Für Forschung im Bereich Sicherheit sind in den vergangenen sieben Jahren 1,4 Milliarden Euro ausgegeben worden. Der “Horizon 2020”-Finanzierungsrahmen der Kommission sieht sogar fast vier Milliarden Euro für weitere Arbeit in dieser Richtung vor”, sagt Benjamin Hayes von der NGO Statewatch, der die Grenzüberwachung der Europäischen Union beforscht.Ziel ist ein System, wie es von Spanien bereits an der Meerenge von Gibraltar eingesetzt wird. “Mit Radar, Aufklärungsflugzeugen und wahrscheinlich auch Satellitenbildern ist hier theoretisch bereits eine lückenlose Überwachung möglich. Selbst Schiffe mit nur zwei bis drei Meter Länge können hier entdeckt werden”, so Hayes. Dass ein solches System im großen Maßstab angestrebt wird, bestätigt auch Frontex selber. “Ziel ist eine möglichst durchgehende Überwachung der Grenzen. Das ist derzeit aber noch Zukunftsmusik”, so Robert Strondl, das österreichische Mitglied des FRONTEX-Verwaltungsrates, im futurezone-Interview. Der Hauptfokus der Überwachung liegt vor allem in jenen Gebieten, in denen viele Flüchtlinge unterwegs sind. “Das System konzentriert sich auf Europas Südgrenze am Mittelmeer und die Landgrenzen im Osten”, erklärt Arias.

Teure Forschung
FRONTEX ist zwar organisatorisch an vielen Operationen beteiligt, verfügt aber nicht über eigene Mittel oder Personal. “Welche Technologien bereits heute eingesetzt werden, ist Sache der Mitgliedsstaaten, das hat mit FRONTEX nichts zu tun. Einige nutzen militärische Mittel, andere nur die Kapazitäten der Küstenwache”, so Arias. Satellitenbilder, Flugzeug-gestützte Überwachung, Radar und Patrouillen-Boote kommen teilweise schon heute zum Einsatz. Im Rahmen des EUROSUR-Programms wurde festgelegt, dass künftig aber auch beliebige, “mit Sensoren bestückte Plattfomen” eingesetzt werden dürfen. Derzeit werden Drohnen nicht verwendet, da die rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht geklärt sind.In von der EU unterstützten Forschungsprojekten, etwa TALOS, Aeroceptor oder PERSEUS wird bereits heute an den Grenzüberwachungssystemen von Morgen gearbeitet. Das ist ein enormes Geschäft für die Rüstungsindustrie, vor allem die europäische. Schon das EUROSUR-Programm soll laut Angaben der EU-Kommission etwa 340 Millionen Euro kosten.

Diese Summe wird aber von verschiedenen Seiten angezweifelt. Die Kosten hängen davon ab, welche Posten berücksichtigt werden. “Bislang haben wir weniger als acht Millionen Euro ausgegeben”, so Arias. Laut Ben Hayes belaufen sich die Kosten, wenn auch die nationalen Ausgaben und die Kosten für Forschung und Entwicklung im EUROSUR-Umfeld berücksichtigt werden, auf etwa 870 Millionen.

Subventionen für Rüstungsindustrie
Die EU-Kommission schlägt mit solchen Projekten zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits werden die Grenzen besser bewacht, was sich politisch sowohl in den Mitgliedsstaaten als auch in Brüssel gut verkaufen lässt, andrerseits wird die Rüstungsindustrie subventioniert, die laut EU-Kommission Gefahr läuft, im heiß umkämpften Geschäft mit Sicherheits-Technologie, hinter die internationale Konkurrenz zurückzufallen.

Da die Militärausgaben in Zeiten von Sparmaßnahmen zurückgehen, ist das Geschäft mit der Sicherheit im zivilen Bereich für die Rüstungskonzerne eine Möglichkeit, trotzdem weiterhin viel Geld zu scheffeln. “Nach dem 11. September haben die USA damit begonnen, enorme Summen in die Sicherheits-Branche zu investieren. Europa folgt nach”, sagt Hayes.

Die Rüstungskonzerne nehmen dieses Angebot gerne an und beteiligen sich rege an den verschiedenen Projekten. Zudem versucht die Industrie, über Lobbying Einfluss auf die entsprechende Gesetzgebung zu nehmen. “Die ersten Besucher, die der EUROSUR-Verhandlungsführer im EU-Parlament nach seiner Nominierung bekommen hat, waren Lobbyisten der Rüstungsindustrie”, erzählt ein Brüssel-Insider der futurezone.

Kritiker merken an, dass enorme Investitionen in den Grenzschutz getätigt werden, ohne dass überhaupt feststeht, welche Anforderungen es eigentlich gibt. “Hier wird an einer Lösung geforscht, ohne das Problem zu kennen. Niemand hat sich bisher die Mühe gemacht, zu prüfen, ob das gute Investitionen sind. Wir sollten prüfen, welche Systeme überhaupt Sinn machen”, so Hayes.

20.000 Ertrunkene
Dass die Forschungsprojekte auch tatsächlich in reale Grenzüberwachungs-Technologien umgesetzt werden, ist keineswegs sicher. Die enormen Summen, die in die Technologie investiert werden, sprechen aber für ernsthafte Bestrebungen in diese Richtung. “EUROSUR ist noch jung und nur ein erster Schritt in Richtung aufgerüsteter Grenzen. Das Projekt einer lückenlosen Überwachung ist sehr ambitioniert und im großen Maßstab vielleicht gar nicht durchführbar. Die Mitgliedsstaaten, die Kommission und das Parlament sind sich nicht einig”, sagt Hayes.

Der Zweck der Grenzüberwachung ist vor allem das Fernhalten von Flüchtlingsströmen, wie auch Österreichs Noch-Innenministerin Mikl-Leitner schon öfters bekräftigt hat. Andere Punkte, die genannt werden, sind die Verhinderung von grenzüberschreitender Kriminalität und die Rettung von in Not geratenen Flüchtlingen, die allerdings erst auf Druck des EU-Parlaments in den EUROSUR-Gesetzestext eingeflossen ist.

Dass Flüchtlinge gerettet werden, steht außer Frage. Laut FRONTEX-Statistik (Stand 23. Oktober 2013) sind allein in diesem Jahr bereits fast 29.000 Personen im Rahmen von Rettungs-Missionen aufgegriffen worden. Das heißt zwar nicht, dass alle diese Flüchtlinge ohne Hilfe ertrunken wären, die Statistik zeigt aber, dass rund ein Drittel der FRONTEX-Operationen solche “Search and Rescue”-Einsätze sind. Über die Zahl der tatsächlich ertrunkenen Flüchtlinge kann nur spekuliert werden. Laut konservativen Schätzungen, die auf der Auswertung von Pressemeldungen basieren, sind in den vergangenen 20 Jahren mindestens 19.000 Menschen beim Versuch Europa von Süden her über den Seeweg zu erreichen ertrunken. Die tatsächliche Zahl liegt vermutlich um ein Vielfaches darüber.

Uneinige EU

Durch die technologische Aufrüstung der Grenzen soll es möglich werden, Flüchtlingsboote frühzeitig zu erkennen und die Opferzahl so zu senken. Durch bilaterale Abkommen mit Nicht-EU-Ländern versuchen einige Grenzländer innerhalb der Union schon heute, Flüchtlinge bereits bei der Abfahrt an der nord- oder westafrikanischen Küste zu hindern.

Im Meer aufgegriffene Flüchtlinge werden derzeit entsprechend internationalem Recht in den nächsten sicheren Hafen gebracht. “Sicherheit bezieht sich in diesem Fall nicht nur auf die physische Unversehrtheit, sondern auch auf die Wahrung der Menschenrechte”, erklärt Strondl. Das war aber nicht immer der Fall. Italien etwa wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, weil aufgegriffene Menschen nach Libyen zurückgeschickt wurden. Mit der zunehmend technologisierten Überwachung der Grenzen soll die Zahl der Flüchtlinge, die Europa erreicht, vermindert werden. Das behandelt laut Kritikern aber lediglich ein Symptom, anstatt das eigentliche Problem anzugehen.“Das politische Problem, wie mit den Flüchtlingen umgegangen werden soll, kann durch die Aufrüstung nicht gelöst werden. Das ist auch ein Problem für die Rettungsmissionen. Derzeit wird von Spanien, Griechenland, Italien und Co verlangt, dass sie die Menschen retten. Diese Länder sind nach den geltenden Bestimmungen dann aber verantwortlich für die Ankömmlinge, es gibt keine Solidarität von den nördlichen Ländern”, so Hayes. Deshalb boykottieren die südlichen EU-Mitgliedsstaaten auch neue Vorschriften, die den Umgang mit aufgegriffenen Personen regeln sollen. “EU und Mitgliedsstaaten sind hier in einer schwierigen Position. Einerseits werden hunderte Millionen Euro in die Aufrüstung der Grenzen investiert, andrerseits will niemand die wenigen Millionen für ein Flüchtlings-Camp in Lampedusa ausgeben”, sagt Hayes.

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