16. August 2013 · Kommentare deaktiviert für Livebericht aus Kairo – Neues Deutschland · Kategorien: Ägypten · Tags:

Von Oliver Eberhardt
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Livebericht aus Kairo: Immer mehr Tote in ganz Ägypten
Jugendliche markieren sich für bevorstehenden Tod / Dutzende Opfer bisher

17:48 Mittlerweile haben Zivilisten Milizen gebildet, und eigene Straßensperren in der Nähe des Ramses-Platzes eingerichtet. Schon zuvor kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und pro-Militär-Jugendlichen, die mit Klappmessern und selbst gebauten Waffen durch die Straßen unterwegs sind. Das Ganze gibt der Situation eine Wende. Sollte das Schule machen, und es die Sicherheitskräfte mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ernst meinen, werden sie es sehr schwer haben, hier die Kontrolle zu behalten.

17:39 Ein schneller Blick ins Ausland: Saudi-Arabiens König Abdullah hat sich in einer seltenen öffentlichen Äußerung hinter den »Kampf des ägyptischen Volkes gegen den Terrorismus« gestellt. Ansonsten ist die internationale Kritik umfassend und massiv: In Indonesien, im Jemen, in der Türkei sind unter anderem Zehntausende auf die Straße gegangen. Deutschland will, so das Bundespresseamt, seine Beziehungen zu Ägypten insgesamt auf den Prüfstand stellen. Schon am Mittwoch war angekündigt worden, Zahlungen des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Höhe von 25 Millionen Euro und ein Kooperationsprojekt auf Eis zu legen. Auch die Niederlande und Dänemark haben Hilfsprogramme auf Eis gelegt.

17:32 Auf der Facebook-Seite des ägyptischen Innenministeriums werden Soldaten und Polizisten gerade dazu aufgerufen, nicht auf Demonstranten zu schießen. Ich gehe mal davon aus, dass die Seite von irgend jemandem gehackt worden ist, denn zum einen gehe ich nicht davor aus, dass irgend jemand im Innenministerium davon ausgeht, dass einer bei den Einsatzkräften gerade bei Facebook mitliest. Zum Anderen widerspricht es ganz einfach den tatsächlichen Einsatzbefehlen.»

17:27 In der Nationalen Heilsfront gibt es Streit. Khaled Dawoud, der Sprecher des Parteienbündnisses, ist zurück getreten. Er protestiere gegen die Unterstützung des Parteienbündnisses für die Militäreinsätze in den vergangenen Tagen. Er könne die Positionen des Bündnisses nicht mehr guten Gewissens vermitteln. Schon seit Längerem denken die linken Parteien über eine Aufkündigung des Bündnisses, und die Gründung einer eigenen gemeinsamen Plattform nach.

17:12 Ich habe gerade noch einmal mit dem Krankenhausmitarbeiter telefoniert. Er ist verzweifelt: Es gebe aktuell nichts, was man für die Verletzten tun könne.

17:05 Die Lage ist zur Zeit extrem unübersichtlich. Sicher ist, dass es Tote gegeben hat, und dass es bisher mindestens einige Dutzend sein dürften. Auf dem Ramses-Platz wird geschossen, über die Lautsprecher einer Moschee wird nach Ärzten gerufen. Dies könnte allerdings erst der Anfang sein. In der Nähe des Tahrir-Platzes einige Kilometer weiter sammeln sich jene Sondereinheiten der Polizei, die schon für die Räumung der Protestlager am Mittwoch verantwortlich waren. Sollten sie den Auftrag erhalten, den Platz zu räumen, muss das Schlimmste befürchtet werden.

16:50 Immer mehr Berichte lassen befürchten, dass der heutige Tag ähnlich blutig ausgehen könnten wie Mittwoch: In einer Moschee sollen 13 Leichen liegen. Auf der Brücke des 6. Oktober sollen Polizisten wahllos in die Menge demonstrierende Menschen geschossen haben. Auch in Alexandria und Fajum gibt es Tote.

16:20 Es mehreren sich die Berichte über den Schusswaffeneinsatz durch Zivilisten. Klar ist bisher nicht, ob es sich dabei nicht eigentlich um Soldaten und Polizisten in Zivil handelt. Am Ramses Platz hat die Polizei mit Tränengas und scharfer Munition auf Mursi Mursi-Anhänger geschossen, nachdem am Rande des Platzes Steine auf eine Polizeiwache geworfen wurden.

15:20 Die Demonstranten sind sich sehr oft bewusst, dass heute der letzte Tag in ihrem Leben sein könnte. Jugendliche haben ihre Namen mit Filzstift auf die Unterarme geschrieben – auf die Unterarme, damit man weiß wer sie sind, falls ihnen in den Kopf oder die Brust geschossen werden sollte.

15:17 Bei den Opferzahlen muss man auch heute wieder berücksichtigen, dass die Zahlen stark differieren können. Das Gesundheitsministerium meldet nur die Toten, für die in einem Krankenhaus oder einer Leichenhalle ein Totenschein ausgestellt worden ist; viele Nachrichtenagenturen zählen allerdings auch jene Todesopfer mit, für die noch keine Dokumente ausgefertigt worden sind – zum Beispiel, weil sie noch nicht identifiziert werden konnten. Oder weil sie nicht in eine offizielle Einrichtung transportiert worden sind.

15:15 Auf dem Ramses-Platz haben Demonstranten nun damit begonnen, Barrikaden aufzubauen. In Alexandria gibt es nun insgesamt 13 bestätigte Todesopfer.

15:00 Maschinengewehrfeuer ist zu hören; außerdem setzen die Sicherheitskräfte Tränengas ein. Die BBC berichtet, Demonstranten hätten eine Polizeistation am Rande des Platzes angegriffen. Die Mitarbeiter eines Krankenhauses in der Nähe sagen, es seien erste Verletzte mit Schusswunden eingeliefert worden.

14:55 Auf dem Ramses-Platz wird nun scharf geschossen.

14:50 Ein kleiner Hinweis: Wer in den kommenden Wochen eine Urlaubsreise nach Ägypten plant, sollte sich umgehend an seinen Reiseveranstalter wenden. So gut wie, wenn nicht gar alle Unternehmen, die Reisen nach Ägypten im Programm haben, bieten ihren Kunden zumindest für alle Reisen, die vor Mitte September beginnen sollen, die Möglichkeit der kostenlosen Umbuchung an. Wer sich bereits im Land aufhält, sollte diesen Aufenthalt kritisch hinterfragen. Auf keinen Fall sollte man Ausflüge in das Landesinnere, und schon gar nicht auf die Sinai-Halbinsel, unternehmen. Die Lage ist extrem unübersichtlich; es kann jederzeit zu Gewalt kommen

14:35 Auf dem Ramses-Platz sind nun Schüsse zu hören; es ist unklar, wer feuert.

14:20 Interessant ist, dass sich unter den Demonstranten auch eine ganze Reihe von Säkularen zu befinden scheinen. Mehrere Medien berichten, dass Menschen sagen, dass sie sich nicht mit den Zielen der Muslimbruderschaft identifizieren, aber Mursi nun einmal der gewählte Präsident des Landes sei.

14:15 Die Lage spitzt sich nun rasant zu. Aus allen Teilen der Stadt und auch aus Alexandria und kleineren Städten werden nun Schüsse und der Einsatz von Tränengas gemeldet. Es hat auch bereits erste Todesopfer gegeben: In Alexandria wurden vier Demonstranten getötet; In Kairo kam ein Angehöriger der Sicherheitskräfte ums Leben.

13:57 Über dem Ramses-Platz schweben nun mehrere Hubschrauber. Zur Erinnerung: Am Mittwoch war aus solchen Helikoptern Tränengas abgefeuert worden, was vielen Menschen das Leben kostete.

13:52 Ich habe gerade mit dem Mitarbeiter eines großen Kairoer Krankenhauses telefoniert. Er sagt, dass man die Situation mit Sorge betrachtet. Die Krankenhäuser der Stadt seien bereits durch die Tausenden von Menschen, die während der Räumungen am Mittwoch verletzt worden sind, komplett überlastet. Die Vorräte an notwendigen Produkten wie Narkose- und Schmerzmitteln aber auch Verbandsmitteln seien in seiner Klinik nahezu aufgebraucht. Sollte es heute eine große Zahl an Verletzten geben, werde das Gesundheitssystem vollends zusammen brechen.

13:45 Auf Twitter sind Berichte von Scharfschützen und vereinzelten Schüssen zu hören. Dafür gibt es momentan keine Bestätigung von den Kollegen vor Ort. Insgesamt verlaufen die Märsche, 28 in Kairo allein, bislang friedlich. Brenzlig wird es dann werden, wenn die Demonstranten auf die Straßensperren treffen, die Polizei und Militär rund um den Ramses-Platz aufgebaut haben.

13:33 Die englischsprachige Ausgabe des Wall Street Journal zitiert Ahmed Ali, Sprecher des Verteidigungsministeriums: «Wenn man es mit Terrorismus zu tun hat, sind die Bedingungen von Bürger- und Menschenrechten nicht anwendbar».

13:28 Die Freitagsgebete sind vorbei. Die Lage ist extrem gespannt. Überall in Kairo haben sich Menschenmengen in Bewegung gesetzt. Insgesamt scheint die Zahl in die Tausende zu gehen. Auch auf dem Ramses-Platz im Zentrum haben sich bereits einige hundert Anhänger der Muslimbruderschaft versammelt. Hier sollen die Demonstrationen enden – wenn sie den Platz erreichen. Militär und Polizei haben den Auftrag das zu verhindern

13:00 Gestern Abend hat die Regierung dem Militär offiziell den Schießbefehl erteilt. Das hat man, wie mir ein Mitarbeiter des Präsidialamtes sagte, gemacht, um deutlich zu machen, dass das Militär am Mittwoch keine scharfe Munition eingesetzt hat, was allerdings wiederum auf die meisten Außenstehenden verwirrend wirkt, weil die Sicherheitskräfte am Mittwoch ganz offensichtlich scharfe Munition eingesetzt haben.

Es ist so, dass die Übergangsregierung die Wahrheit sagt, und trotzdem irgendwie lügt: Tatsächlich scheint das Militär selbst am Mittwoch nicht geschossen zu haben. Die Soldaten wurden, übereinstimmenden Berichten zufolge, für die Absperrungen und die Einkesselung der Demonstranten eingesetzt. Es waren paramilitärische Sondereinheiten der Polizei, die während der Räumung von der Schusswaffe Gebrauch machten. Diese Sondereinheiten stammen noch aus der Ära Hosni Mubaraks und waren damals ein integraler Bestandteil des Machtapparates. Ein ausländischer Experte für innere Sicherheit, der in der Regel sehr gut informiert ist, hat mir gesagt, dass das Personal dieser Einheiten noch weitgehend das selbe ist, wie vor der Revolution Anfang 2011 und für seine extreme Härte bekannt ist. Ein Hauptfeindbild, auf das die Angehörigen dieser Einheit eingeschworen werden, ist die Muslimbruderschaft, die über viele Jahre mit diesem Mittel als politische Kraft unterdrückt wurde.

Manche vermuten, dass der Schießbefehl für das Militär auch bedeuten könnte, dass nun das Militär die Federführung übernimmt, und damit eine Mäßigung bei der Anwendung tödlicher Gewalt einhergehen könnte. Ob das so ist, werden wir wohl bald erfahren.

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