30. November 2016 · Kommentare deaktiviert für „Griechenland: Flüchtlinge schutzlos dem Wetter ausgesetzt“ · Kategorien: Griechenland · Tags:

Quelle: Telepolis | 30.11.2016

Regenfälle, Hagelstürme und Temperaturstürze um 10 Grad: Die Inseln, auf denen Flüchtlinge wegen des EU-Türkei-Deals verharren, werden zu Notstandsgebieten

Wassilis Aswestpoulos

Die für die Insel Lesbos zuständige Regionalpräsidentin Christiana Kalogirou hat beim Generalsekretär für Zivilschutz, Giannis Kapakis, beantragt, die Insel Lesbos zum Katastrophengebiet zu erklären. Grund sind die anhaltenden sintflutartigen Regenfälle, Hagelstürme und der Kälteeinbruch mit einem Temperatursturz um zehn Grad Celsius.

Zahlreiche Häuser der Insel stehen unter Wasser, Geschäfte wurden überflutet. In der gleichen Lage wie die ägäische Insel Lesbos befindet sich die ionische Insel Zakynthos. Auch Zakynthos ist Notstandsgebiet.

Was die Lage auf Lesbos und den übrigen Ägäisinseln schlimmer macht, ist die Tatsache, dass dort rund 17.000 Flüchtlinge und Immigranten wegen des EU-Türkei-Deals in Zelten vegetieren. Bereits in der vergangenen Woche kamen im Lager Moria auf Lesbos zwei Menschen ums Leben und zahlreiche weitere wurden teilweise lebensgefährlich verletzt. Eine 66-jährige Kurdin und ihr sechsjähriger Enkel verstarben, ein Großteil des Lagers brannte ab. Grund war die Explosion einer mit Gas betriebenen Heizung in einem Zelt.

Bei der Aufarbeitung des Unglücks zeigte sich Premierminister Alexis Tsipras erschüttert. Er versprach eine Besserung der Sicherheitslage, ohne jedoch konkrete Maßnahmen in die Wege zu leiten. Sein Immigrationsminister Giannis Mouzalas versuchte den Vorfall zuerst als einen zufälligen Unglücksfall herunterzuspielen.

EU-Partner haben ihren Teil des Deals immer noch nicht erfüllt

Es kam zu Wortgefechten mit dem SYRIZA-Abgeordneten von Samos, Dimitris Sevastakis, im Parlament. Sevastakis griff den eigenen Parteifreund an, und warf ihm vor, dass er die Inseln nicht entlasten würde und somit an den untragbaren, inhumanen Zuständen sowie mittelbar am Unglück auf Lesbos eine Mitschuld habe. Mouzalas hingegen verteidigte zunächst den Flüchtlingspakt und wies darauf hin, dass die Flüchtlinge erst nach dem Ende ihres Asylverfahrens aufs Festland dürften.

Tatsächlich haben die EU-Partner ihren Teil des Deals immer noch nicht erfüllt. Die Entsendung von spezialisierten Fachkräften für Asylverfahren existiert faktisch nur auf dem Papier des Deals. Die griechischen Behörden können der Flut der Anträge nicht Herr werden.

Trotzdem verspricht Mouzalas, dass seine Behörde ab Dezember für mindestens 100 Abschiebungen pro Woche sorgen würde. Der Minister beschuldigte seinen Parteikollegen des Schulterschlusses mit den als rechtsextrem verschrienen Bürgermeistern von Lesbos und Chios, die sich der Einrichtung weiterer Hotspots entgegen stemmen.

Zwanzig Hilfsorganisationen hingegen sahen die Schuld direkt bei Mouzalas und den Verwaltungen der Lager. Sie wiesen darauf hin, dass es in keinem der Lager Brandschutzpläne oder gar entsprechende Vorkehrungen gäbe. Die Hilfsorganisationen prangerten an, dass die Besetzung der Verwaltungsposten der Lager ohne jegliche Ausschreibung, ohne Qualifikationsvorgaben und allein nach Parteibuch erfolgt sei.

Rambos auf Chios

Um die Lage um die Lager sicherer zu machen, stellt die Regierung nun zum Beispiel für die wortwörtlich umkämpfte Insel Chios zwölf Polizisten der Spezialeinheit OPKE ab. Die Beamten werden im Volksmund gern Rambos genannt.

Allerdings dürften sie in Anspielung auf die Rollen des Schauspielers Sylvester Stallone eher als Judge Dredd identifiziert werden. Sie haben nämlich unter anderem das Vorrecht, bei Verdachtslage auch ohne Staatsanwalt sämtliche Durchsuchungsaktionen durchzuführen.

Winterfeste Lager: getrübte „Erfolgsstory“

Dass dies allein nicht reicht, ist auch Mouzalas bekannt. Der Minister hatte vor dem Unglück auf Lesbos winterfest gemachte Lager wie das in Ritsona nahe Chalkida feierlich eingeweiht. Dabei zeigte er sich zusammen mit dem Vizeverteidigungsminister Dimitris Vitsas und betonte, dass er für seine Leistungen weltweit gelobt würde. Die Katastrophe auf Lesbos und die Folgen des einbrechenden Winters trüben diese Erfolgsstory.

Nun schwenkt auch der Immigrationsminister ins Lager der Zweifler am EU-Türkei-Pakt. Er fleht die Partner an, unter den gegebenen Umständen Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Dann, so Mouzalas, könnten Flüchtlinge und Immigranten von den Inseln in geschlossene Lager auf dem Festland verbracht werden. Diese sollten sie dann erst nach Abschluss des Asylverfahrens verlassen dürfen. Eine Antwort aus Brüssel und Ankara darauf steht noch aus.

Not unter Ausschluss der Weltpresse

Allerdings wird es auch auf dem Festland nicht leicht. Als dem Hotspot Lagadikia nahe Thessaloniki berichten Helfer in sozialen Netzwerken vom Zentrum für Flüchtlinge Lagadikia. 30 km außerhalb der Stadt. Es schneit und ist bitter kalt. Die Zelte stehen neben dem Fluss und sind dem Wind schutzlos ausgesetzt: “ 1.300 Menschen – die meisten Kinder. Wie kann man helfen? Wie? Die lokale Bevölkerung – außer einigen der bekannten ‚Unbekannten‘ – akzeptiert die Flüchtlinge und steht ihnen zur Seite. Das Programm (der Regierung) besagte, dass sie bevor der Winter einsetzt, Anfang Oktober in ein festeres Lager gebracht werden. Sie sind immer noch hier… .“

In Nordgriechenland herrschen seit Dienstag Temperaturen unter null Grad Celsius. Dort wurden die Menschen, deren Schicksal in Idomeni Anfang des Jahres die internationale Presse beschäftigte in zahlreiche provisorische Lager ohne Wetterschutz gebracht. Tatsächlich sollte das Problem bis zum Winter gelöst werden. Es geschah nichts. Nun gibt es ein Dutzend kleine „Idomeni-Lager“ – allerdings unter Ausschluss der Weltpresse.

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