Brutale EU-Flüchtlingspolitik: Europa schreckt ab
Von Maximilian Popp
Die EU lagert ihre Migrationspolitik in Nachbarländer aus. In Marokko misshandeln Grenzschützer die Flüchtlinge, in der Ukraine werden sie in Gefängnisse gesperrt – mit Unterstützung aus Brüssel.
Das Militär kam wie üblich im Morgengrauen. Doch dieses Mal begnügten sich die marokkanischen Soldaten nicht damit, einzelne Flüchtlinge zu verprügeln. Die Operation auf dem Berg Gourougou im Norden Marokkos reichte weiter: Die Soldaten brannten die Zelte der Flüchtlinge nieder, Hunderte Menschen wurden bei der Großrazzia am Dienstag vor einer Woche verhaftet.
Seit Jahren verstecken sich Flüchtlinge in den Wäldern des Berges Gourougou. Sie warten auf eine Gelegenheit, den nahen Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla zu überwinden. Die marokkanische Regierung hat nun angekündigt, die Camps nicht länger tolerieren zu wollen. Flüchtlinge sollen bereits weit vor der Grenze zu Spanien abgefangen werden.Marokko erfüllt damit eine Forderung aus Brüssel. Die EU bemüht sich seit Jahren darum, ihre Flüchtlingsabschreckungspolitik in Nachbarstaaten auszulagern. Europäische Politiker beschreiben die EU gerne als „Union des Rechts“. Die schmutzige Arbeit der Flüchtlingsabwehr sollen hingegen andere erledigen.
Marokko und andere EU-Partner setzen auf Abschreckung
Marokko erhielt zwischen den Jahren 2007 und 2010 alleine von der EU 68 Millionen Euro, um die Grenze abzusichern. Marokkanische Soldaten misshandeln regelmäßig Flüchtlinge. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) berichtet von „institutionalisierter Gewalt“ gegen Migranten.
Zwischen 2010 und 2012 versorgte MSF 10.500 kranke oder verwundete Flüchtlinge. „Wir fanden Männer mit gebrochenen Armen, gebrochener Nase. Ein Mann war derart schlimm verprügelt worden, dass er eine dreifache Schädelfraktur und eine Hirnblutung hatte“, erzählte eine Ärztin.
Die EU nimmt die Menschenrechtsverletzungen an ihren Rändern hin. Ihr ist vor allem daran gelegen, dass die Asylbewerberzahlen in Europa sinken. An den EU-Außengrenzen hat sich auf diese Weise ein Regime entwickelt, das den vielbeschworenen Werten Europas, Demokratie oder Freiheit etwa, Hohn spricht.
Nicht nur in Marokko werden die Rechte von Flüchtlingen missachtet, fast alle Partner der EU setzen in der Flüchtlingspolitik auf Abschreckung.
Ukraine sperrt Flüchtlinge in Gefängnisse
Nach Recherchen des SPIEGEL und des ARD-Magazins „Report Mainz“ werden etwa in der Ukraine Flüchtlinge auf der Weiterreise nach Europa in Gefängnisse gesperrt. Selbst Kinder werden zum Teil monatelang rechtswidrig interniert (lesen Sie die Geschichte „Europas Türsteher“ aus dem aktuellen SPIEGEL ).
Die EU hat der Ukraine 20 Millionen Euro für den Bau und die Renovierung von Haftanstalten für Flüchtlinge und weiterer temporärer Einrichtungen überwiesen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) erhielt mehr als acht Millionen Euro, unter anderem, um die ukrainischen Behörden bei der Internierung von irregulären Migranten zu unterstützen. Experten wie Marc Speer vom Verein bordermonitoring.eu kritisieren, das Haftregime solle Migranten auf der Flucht nach Europa abschrecken. „Politik sticht Menschlichkeit“, sagt Ilja Todorovic, Vertreter des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Ukraine.
Die Flüchtlingskrise könnte im Zuge des Ukraine-Konflikts nun eskalieren. Die ukrainische Regierung muss fast eine Million ukrainische Binnenflüchtlinge versorgen, die vor den Gefechten zwischen ukrainischen Truppen und Rebellen im Osten des Landes geflohen sind. Der Staat sei kaum dazu in der Lage, zusätzlich für Schutzsuchende aus dem Nahen Osten und afrikanischen Ländern aufzukommen, warnt UNHCR.
„Hier existiert keine Demokratie“
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete schon 2010 über Misshandlung und Folter von Flüchtlingen durch ukrainische Grenzschützer. „Sie schlugen mir mit einer Pistole auf den Kopf. Ich lag auf dem Boden, bewusstlos. Sie zerrten mich in den Schnee. Sie traten mir mit ihren Füßen in den Nacken“, zitierte die Organisation einen Flüchtling aus Pakistan.
Mehrere Flüchtlinge gaben gegenüber Human Rights Watch unabhängig voneinander an, mit Elektroschockern gequält worden zu sein. „Sie fesselten mich an einen Stuhl. Sie legten Elektroden an meine Ohren an“, sagte ein Afghane. Ein Somalier beklagte, von ukrainischen Sicherheitskräften ausgeraubt und mit dem Tod bedroht worden zu sein. „Hör mir gut zu. Du bist hier in der Ukraine. Nicht in Deutschland. Nicht in England. Hier existiert keine Demokratie“, soll der Ukrainer zu ihm gesagt haben. „Falls du lügst, wirst du diesen Ort nicht lebend verlassen.“
Die EU ignoriert auch diese Berichte. Die Kommission erklärt auf Nachfrage: „Die Europäische Union unterstützt die Ukraine, um irreguläre Migration und den Umgang mit Asylbewerbern nach besten europäischen Standards handhaben zu können.“
In Brüssel wird die Verlagerung der Flüchtlingsabwehr in Kriegsgebiete offensichtlich als humanitärer Akt verstanden.
Mehr zum Thema auch bei „Report Mainz“, ARD, Dienstag 21.45 Uhr.