23. September 2014 · Kommentare deaktiviert für Überlebende berichten – Report Mainz 23.09.2014 · Kategorien: Griechenland, Italien, Malta · Tags: , ,

REPORT MAINZ, Dienstag, 23.09.2014 um 21.45 Uhr im Ersten

Exklusive Zeugenaussagen über Flüchtlingstragödie im Mittelmeer

Drei von zehn Überlebenden des mutmaßlichen Massenmordes berichten im Interview mit „REPORT MAINZ“ und „SPIEGEL“ von ihrem Martyrium und wie ihr Boot versenkt wurde

Das ARD-Politikmagazin „REPORT MAINZ“ und das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ haben auf Kreta gemeinsam Überlebende der aktuellen Flüchtlingstragödie im Mittelmeer ausfindig gemacht und interviewt. Übereinstimmend berichten die Flüchtlinge, dass ihr Boot absichtlich von einem anderen Schiff gerammt worden sei. Dabei seien die Kapitäne des Flüchtlingsbootes in arabischer Sprache als Hurensöhne beschimpft worden. Die Besatzungen sowohl des rammenden als auch des gerammten Bootes seien wohl aus Ägypten gewesen. Das Flüchtlingsboot mit 300 bis 500 Menschen an Bord war vergangene Woche untergegangen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind insgesamt nur zehn Überlebende gefunden worden. Sie trieben nach eigenen Aussagen vier Tage lang hilflos auf dem Meer. Die Opfer stammen laut Augenzeugen vor allem aus Palästina, Syrien sowie dem Sudan.

Der aus Gaza geflohene Shukri Al-Asouli, 35, sagte im Interview mit „REPORT MAINZ“ und „SPIEGEL“: „Ich habe mich an einer leeren Wasserflasche festgeklammert, um über Wasser zu bleiben, weil ich nicht schwimmen kann. Meine Frau und Kinder habe ich aus den Augen verloren, ich habe nach ihnen gerufen, aber sie nicht mehr gesehen.“

Experten gehen nicht davon aus, dass weitere Überlebenden gefunden werden. Shukri Al-Asouli beschreibt im Interview die Situation auf hoher See:

„Nachts haben wir einen Kreis gebildet und uns aneinander festgeklammert. Nach dem dritten Tag fingen wir an uns aus den Augen zu verlieren. Manche haben die Kälte nicht mehr ertragen können, manche sind ohnmächtig geworden. Viele starben. Wir wurden immer weniger. Dann blieb nur noch eine kleine Gruppe übrig, wir waren zu fünft. Wir hatten weder Wasser noch Nahrung. Wenn wir Wasser gefunden haben, haben wir damit die Kinder versorgt. Wir haben den Kindern auch unsere Schwimmwesten gegeben.“

Ein zweijähriges Mädchen hat auf diese Weise überlebt und wird noch im Krankenhaus behandelt. Ihr Zustand ist nach Informationen von „REPORT MAINZ“ und „SPIEGEL“ stabil. Ihre Eltern sind bei dem Unglück offenbar ums Leben gekommen.

Zwei weitere Überlebende, Almajed al-Hila und Mohamed Raad, sagten im gemeinsamen Interview:

„Wir waren vier Tage im Wasser, ohne etwas zu trinken, ohne etwas zu essen. Wir hatten nichts. Dazu kamen die Kälte, die Dunkelheit und die Angst. Es waren auch Kinder an Bord und zwei schwangere Frauen. Die Kinder starben fast alle am ersten Tag durch die Kälte. Dann sahen wir die Frauen sterben, schwangere Frauen sterben. Nach zwei Tagen haben die Leute Halluzinationen bekommen. Die haben zum Beispiel im Wasser gesagt: Hier um die Ecke gibt es ein Einkaufszentrum. Dann kamen Leute, die deine Schwimmweste haben wollen, um zu überleben. Die haben gesagt: Das ist meine Weste.“

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner fordert nach dem Schiffsdrama im Mittelmeer im Interview mit „REPORT MAINZ“ eine Politik der „Hilfe statt Abschottung“ und bessere Verteilungsquoten für Flüchtlinge in Europa. Man dürfe vor Menschen, die in bitterer Not zu uns kämen, keine Angst schüren, sondern müsse ihnen helfen.

Bundesinnenminister Thomas De Maiziere hat nach Informationen von REPORT MAINZ und SPIEGEL kurz vor der Flüchtlingstragödie noch einen Brief an die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström geschickt. Darin schreibt er: „Die Zuspitzung des Migrationsproblems gibt Anlass zu größerer Sorge.“ Die EU müsse sich „dringlich hierum kümmern.“ Als „prioritäre Maßnahmen“ bezeichnet der Bundesinnenminister dabei die bessere Überwachung der EU-Außengrenzen und Migrationsströme, verstärkte Bekämpfung von Schleuserbanden sowie eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsstaaten.

Hans ten Feld, Leiter des Deutschland-Büros der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, fordert nun Möglichkeiten einer legalen Einreise für Flüchtlinge nach Europa: „Es ist klar, dass das System, so wie es jetzt ist, nicht funktioniert. Dass Personen keinen Schutz bekommen und dann ertrinken, das ist falsch. Und das muss berichtigt werden. Daher rufen wir dazu auf, dass legale Wege eröffnet werden.!“

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