03. September 2014 · Kommentare deaktiviert für Berlin: Situation der Flüchtinge eskaliert – jw · Kategorien: Deutschland · Tags:

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03.09.2014
Betrogen von oben
Situation der Flüchtlinge in Berlin eskaliert weiter. Das Vertrauen in Politiker ist dahin, Aktivisten drohen, sich umzubringen
Von Jan Greve
Während die Bundesregierung weiter mit Waffenlieferungen Krisen und Kriege anheizt, werden in Berlin seit Monaten die Konsequenzen solcher Politik sichtbar. Die Flüchtlinge, die in den letzten Monaten durch ihre Präsenz auf dem Kreuzberger Oranienplatz auf sich und ihre Lage aufmerksam machten, stehen erneut vor einem Scheideweg. Seit gut einer Woche harren rund zehn von ihnen auf dem Dach eines ehemaligen Hostels in der Gürtelstraße in Berlin-Friedrichshain aus, in dem sie untergebracht worden waren (jW berichtete). Nachdem sie sich bis in die bundesdeutsche Hauptstadt vor Gewalt und Verfolgung retten konnten, sind sie nun erneut in einer lebensbedrohlichen Lage.

Im April dieses Jahres schien die Situation beruhigt, als eine vermeintliche Einigung zwischen den Bewohnern des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz und dem Berliner Senat getroffen wurde. Bestandteil dieser Vereinbarung waren sorgfältige Prüfungen der Asylanträge, die Verlagerung dieser Verfahren aus den jeweiligen Bundesländern nach Berlin sowie eine sichere Unterkunft. Inwiefern dieser Vereinbarung zu trauen sei, war bereits zum damaligen Zeitpunkt unter Flüchtlingsaktivisten umstritten. Vier Monate später haben die Zweifler Recht behalten: Am Montag vergangener Woche wurden 108 Flüchtlinge dazu aufgefordert, ihre Unterkunft zu verlassen. Hinzu kam die Ankündigung, daß die finanzielle Unterstützung durch die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales von Senator Mario Czaja (CDU) gestrichen werde.

Daß diese Entwicklung trotz der Vereinbarung vom April mit der Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat (SPD), so eintrat, versetzte die Betroffenen in Verzweiflung und führte zu der Dachbesetzung. Seit einer Woche fehlt den Aktivisten der Zugang zu Nahrung und Strom. Dazu kommt die allgegenwärtige Bedrohung durch eine Räumung und die Ankündigung einiger der Flüchtlinge, in diesem Fall vom Dach zu springen.

Um die beiden Senatsvertreter Kolat und Czaja zum Einlenken zu bewegen, wurde am Montag ein sogenanntes Go-In veranstaltet, bei dem sich um die 40 Personen in der Empfangshalle der Senatsverwaltung niederließen. Die Aktion wurde relativ zügig von mehreren dutzend Polizisten beendet. Mobilisiert dazu hatte unter anderem das Bündnis »Zwangsräumung verhindern«, das sich seit geraumer Zeit gegen Verdrängung und den damit einhergehenden sozialen Folgen engagiert. Auch in Zukunft wolle man vermehrt gemeinsam auftreten, schließlich bestünden Parallelen zwischen den antikapitalistischen Forderungen von Flüchtlingsaktivisten und denen, die Wohnraum nicht als Ware, sondern als Recht proklamieren, hieß es am Dienstag während einer Pressekonferenz in Berlin. So äußerte sich auch die Sprecherin von »Zwangsräumung verhindern«, Sara Walther, zu der Situation in der Gürtelstraße. »Die unmenschliche Aushungerungspolitik ist ein Skandal, für den die Politiker nicht einmal Verantwortung übernehmen, sondern diese als rein polizeiliche Maßnahme tarnen«, verurteilte sie das Vorgehen in der vergangenen Woche.

Bei der gestrigen Pressekonferenz kamen auch Flüchtlingsaktivisten zu Wort, die sich ebenfalls von dem Vorgehen des Berliner Senats entsetzt zeigten. Es bestehe kein Vertrauen mehr zu Verantwortlichen aus der Politik, und auch Teile der Medien würden sich einseitig gegen die Flüchtlinge stellen, hieß es. Man solle mit ihnen reden und auf ihre Forderungen nach ernstgemeinten Asylverfahren sowie einer ausreichenden Grundversorgung eingehen, erklärte einer der Anwesenden. Angesichts der jüngsten Entwicklungen werde der Protest weitergehen, unter anderem werde an einer Ausstellung auf dem Oranienplatz im Oktober gearbeitet und eine Flüchtlingskonferenz im November vorbereitet.

Daß ein sich als Demokratie bezeichnender Staat wie Deutschland Waffen und damit Gewalt, Tod und Krieg in die Welt exportiere, sei doch das grundlegende Problem, erklärte einer der Aktivisten. Die Menschen, die aus solchen Regionen unter Einsatz ihres Lebens fliehen, um in Deutschland dann nicht Zuflucht, sondern Abschiebung und Schikane vorzufinden, erlebten auf diese Art und Weise gleich mehrfache Verfolgungen.

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