Das Zentrum für Politische Schönheit holt die größte humanitäre Katastrophe seit mindestens zwanzig Jahren zurück ins öffentliche Bewusstsein.
Das ZPS entwickelte stellvertretend für die Bundesregierung ein plakatives, aber sinnvolles Hilfsprogramm für die Menschen in Syrien. Angelehnt an die Kindertransporte des Jahre 1938/39, die 10.000 deutschen Kindern die sichere Ausreise ermöglichte, sollen 55.000 syrische Kinder in die sichere Bundesrepublik einreisen und temporär in deutsche Pflegefamilien untergebracht werden.
Die Website geht am Montag ans Netz. Am Folgetage ist die Kindertransporthilfe des Bundes auf der Titelseite der taz: „Danke, Deutschland!“. Deutschlandweit überschlagen sich die Medien.
Auf der Seite sucht das Bundesfamilienministerium interessierte Pflegefamilien für 55.000 syrische Kinder. Antragsformulare, Aufwandsentschädigungen und gesetzliche Grundlagen – an alles wird gedacht. Telefonisch können sich Interessierte rund um die Uhr beraten lassen.
Nur das Bekenntnis von Familienministerin Manuela Schwesig steht aus. Das Familienministerium lässt sich bis Mitte der Woche Zeit, um mitzuteilen, dass man mit einer Rettungsaktion für syrische Kinder nichts zu tun habe und auch in Zukunft nicht plane, Kinder außer Lebensgefahr zu bringen. Bundesweit sind engagierte Bürger in Aufruhr: rund 800 Familien erklären sich innerhalb von nur sieben Tage bereit, syrische Kinder bei sich aufzunehmen.
Dankbare Bürger versammeln sich vor dem Familienministerium, um Blumen, Kuscheltiere und Dankeskarten niederzulegen.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wird für ihren heroischen Rettungsakt – 55.000 Flüchtlingskinder aus Syrien zu retten – von der gesamten deutschen Bevölkerung gefeiert. Einziger Schönheitsfleck: die Ministerin weiß davon genauso wenig wie von der apokalyptischen Situation für die syrische Bevölkerung.
Für die Hauptstadtpresse ist es die Sensation des Jahres: uns gelingt es, innerhalb von 48 Stunden ins Kanzleramt vorzudringen. Gemeinsam mit Inge Lammel und Kurt Gutmann, zwei Überlebenden des Holocaust, die kurz vor Kriegsausbruch mit zwei Kindertransporten nach Großbritannien gerettet wurden, werden wir empfangen.
In dem Gespräch geht es um die Frage, weshalb nicht Eltern mit ihren Kindern einreisen dürfen. Das Kanzleramt, die Hochburg der deutschen Flüchtlingsabwehr, zeigt sich trotz des enormen medialen Drucks uneinsichtig. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass Deutschland im Vergleich zur Untätigkeit der europäischen Nachbarländer noch gut dasteht. Den Glauben an die Humanität halten aber derzeit Staaten wie die Türkei, Jordanien und Libanon aufrecht, die Millionen syrischer Flüchtlinge retten. Das reiche Europa hat bislang gerade einmal 0,5 Prozent aller syrischen Flüchtlinge aufgenommen (Deutschland: 0,1 Prozent).
Am Bahnhof Friedrichstraße errichten wir in Sichtweite zum Kindertransportdenkmal ein Mahnmal gegen die Lebensgefahren und Todesängste der syrischen Kinder.
Zehntausende Menschen werden zum ersten Mal mit dem Zivilisationsbruch konfrontiert, der in Syrien gerade stattfindet: dichtbesiedelte Städte werden willkürlich aus der Luft bombardiert.
Das Mahnmal ist rund um die Uhr in Betrieb: Menschen können sich auch nachts informieren. Nebenan verarzten Syrerinnen und Syrer die geschockte deutsche Bevölkerung in einem Erste-Hilfe-Zelt.