15. Februar 2014 · Kommentare deaktiviert für Ägypten: Militärregierung und Repression · Kategorien: Ägypten

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Militärregierung in Ägypten – das geringere Übel?

Nach den Islamisten: aktualisierte Feindbilder und alte Methoden; „weniger Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“

Im von der ägyptischen Militärregierung proklamierten „Kampf gegen den Terrorismus“ Ägyptens sind die Muslimbrüder zum Synonym für Staatsfeinde geworden. Doch längst trifft trifft nicht mehr nur Islamisten der Vorwurf mit den Muslimbrüdern im Bunde zu sein.

Am 25.01., dem dritten Jahrestag der Revolution, die Hosni Mubarak zum Sturz brachte, lauerten Sicherheitskräfte des Innenministeriums der linken Aktivistin Nazly Hussein an einer Metrostation auf und verhafteten sie. Die Anklage: Nazly Hussein sei ein Mitglied der Muslimbrüder.

Nazly Hussein trägt offenes Haar und war im November 2012 vor dem Präsidentenpalast bei den Demonstrationen gegen die Selbstermächtigungsdekrete des ehemaligen Präsidenten Morsi dabei – auf seiten der Demonstranten gegen die Regierung der Muslimbrüder. Derzeit sitzt sie im Gefängnis und wartet darauf, dass das Innenministrium sie von der Klage freispricht, Mitglied der Muslimbrüder zu sein.

Es bedarf längst keiner real existierenden Verbindung zu der mittlerweile verbotenen islamistischen Organisation mehr, um dieser Tage in Ägypten als Mitglied oder Sympathisant der Muslimbrüder diffamiert, angegriffen oder verhaftet zu werden.

Muslimbruder zu sein, ist nach der Definition der herrschenden Militärregierung zum Synonym für Staatsfeind geworden. Und in der aufgepeitschten Stimmungslage, in dem sich das Land in dem vor der Militärregierung proklamierten „Kampf gegen den Terrorismus“ befindet, droht es nahezu ausnahmslos allen Widersachern der Militärregierung als Unterstützer der Muslimbrüder – und demnach als Staatsfeind – beschuldigt zu werden.

Ausländer als Allierte der Muslimbrüder

Diese Beschuldigung mit dem Muslimbrüdern alliiert zu sein, trifft nicht mehr nur Islamisten selbst oder nicht-islamistische Gegner des Regimes wie Nazly Hussein, sondern auch in Ägypten lebende Ausländer.

Im Sommer, nach den Massendemonstrationen gegen Morsis Regierung und der darauffolgenden Machtübernahme des Militärs, schlug die gegenwärtige Xenophobie ihre ersten Wellen. Da westliche Medien und Politiker die Machtübernahme des Militärs kritisch beurteilten und teils von einem Militärputsch sprachen, stieg die Feindseligkeit gegenüber westlichen Ausländern außerhalb der Touristenorte stark an. Doch weitaus härter traf es die oft ohne rechtliche Sicherheit in Ägypten lebenden Syrer.

Ultranationalistische Fernsehmoderatoren wie der bekennende Anhänger des alten Regimes Tawfiq Okasha sprachen offen Gewaltandrohungen gegen sie aus. Der Tenor war der Gleiche: Die Syrer seien mit den Muslimbrüdern im Bunde und im Lande, um Ägypten zu destabilisieren. Während der Sommermonate folgten oft willkürliche Festnahmen von Syrern durch die Polizei. Vielen willkürlich verhafteten Syrern wurde von den ägyptischen Behörden als einzige Möglichkeit die Ausreise aus dem Land angeboten.

Mittlerweile hat wegen der steigenden fremdenfeindlichen Stimmung ein Großteil der Syrer, die es sich leisten konnten, Ägypten wieder verlassen. Jene Syrer, welche nach wie vor mit ihren Pässen in der Hand an den Metrostationen Kairos betteln, zählen zu den Ärmsten der Armen. Neuankömmlinge aus Syrien gibt es seit diesem Sommer nicht mehr, seitdem die ägyptischen Behörden Syrern kategorisch die Einreise verweigern.

In der jüngeren Vergangenheit sind auch ägyptische Menschenrechtler ins Visier des Sicherheitsapparates geraten, welche seit der Xenophobie-Welle des Sommers versuchen, syrischen Opfern von Staatwillkür ein gewisses Maß an rechtlichem Schutz zu bieten.

Regimenahe Medien kochen das Misstrauen gegenüber Fremden hoch

Ein Großteil der ägyptischen Medien nahm in der aufgeheizten Stimmungslage nicht die Funktion von „Checks and Balances“ wahr, sondern spielte das bipolare Spiel der Militärregierung mit. In manchen Zeitungen wird General Al-Sissi in einem Maße gepriesen, wie es nur in totalitären Regimen üblich ist. Auf der anderen Seite der Gleichung steht die Dämonisierung der Muslimbrüder und das Schüren von Misstrauen gegenüber allem Fremden.

In einem solchen Klima konnte selbst ein Fernsehteam der ARD zum Opfer eines gewalttätigen Mobs werden, wie dies am 24.01. in Kairo geschah. Als das 3-köpfige Kamerteam am Schauplatz der Explosion vor einer Polizeiwache nahe des Stadtzentrums eintraf, wurden sie von einem aggressiven Mob angegriffen und beschuldigt „Verräter“ und „Unterstützer der Muslimbrüder“ zu sein. Letztendlich kam das Team mit leichten Verletzungen und dem Schrecken davon, weil ein ägyptischer Zivilpolizist in die Luft schoß und die drei auf einem Motorrad retten konnte.

Etliche ausländische Journalisten wurden zudem in der jüngeren Vergangenheit verhaftet und unter dem vagen Vorwurf Spione zu sein und die „innere Sicherheit Ägyptens zu gefährden“ vorübergehend festgehalten, wie zuletzt der amerikanische Übersetzer und freie Journalist Jeremy Hodge. Sein aus dem Nordsinai stammender Mitbewohner, der Dokumentarfilmer Hossam Meneai, ist nach wie vor in Polizeigewahrsam.

Die historischen Wurzeln der „Foreign-Phobia“

Die Geschwindigkeit, mit dem sich Misstrauen gegenüber Fremden und xenophobe Ressentiments in der Bevölkerung verbreiteten, ist nur scheinbar überraschend. Ägyptische Medien und Politiker können in ihren Ausführungen über intrigante ausländische Kräfte auf einen großen Fundus geschichtlich verwurzelter Propaganda-Elemente zurück greifen.

Ein definierendes Kernelement des modernen ägyptische Nationalismus des 20.Jahrhunderts war der Widerstand gegen intrigante äußere Kräfte: Vor der endgültigen Unabhängigkeit Ägyptens 1952 war dieser vor allem gegen Großbritannien gerichtet, dessen Kolonialregierung dem Land 1922 zwar ein parlamentarisches System gewährte, aber dennoch eine Militärpräsenz und die Kontrolle über den Suez-Kanal behielt.

Während der Nasser-Jahre wurde im post-kolonialen Geiste vieler gerade unabhängig gewordener Ex-Kolonien ein beträchtlicher Teil der Sowjetpropaganda übernommen – in Opposition zum imperialistischen und als intrigant wahrgenommenen Westen.

Ein historisches Schlüsselereignis, welches diese Sichtweise verfestigte, war die sogenannte „Three-partite aggression“: Der gemeinsame Angriffs Großbritanniens, Frankreichs und Israels auf Ägypten 1956. Auch wenn die Akteure aus sehr unterschiedlichen Beweggründen handelten – Großbritannien und Frankreich vor allem, um Ägyptens Verstaatlichung des Suez-Kanals rückgängig zu machen, und Israel primär, um Nassers militärische Aufrüstung zurückzustutzen – wurde er vom Nasser-Regime als Parade-Beispiel für die Bedrohung Ägyptens durch intrigante äußere Mächte genutzt.

„Eine bewusst geschürte Schmutzkampagne“

Auch nach dem historischen Schwenk Richtung Westen und dem Friedensvertrag mit Israel unter Sadat blieben in der Populärkultur der folgenden Mubarak-Jahren beträchtliche Propaganda-Elemente bestehen. So konnte beispielsweise im Jahre 2000 ein Lied mit unmissverständlichem Inhalt die ägyptische Zensoren passieren. „Ich hasse Israel!“, singt Shaban Abdel Rahim darin im Refrain. Obwohl das Mubarak-Regime allen Bedingungen des Friedensvertrages mit Israel nachkam, ließ es Hasspropaganda gegenüber Israel ebenso gewähren, wie die wachsende kulturelle Präsenz der Islamisten.

Auch das Florieren von Verschwörungstheorien kam dem Mubarak-Regime letztendlich gelegen – in der Kalkulation der Machthaber lenkte all dies Kritik am Machtanspruch und den Verfehlungen des eigenen Regimes ab.

Vor diesem Hintergrund treffen die Verdächtigungen und xenophoben Ressentiments in einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung auf fruchtbaren Nährboden, so absurd sie außenstehenden Beobachtern und den gebildeteren Bevölkerungsschichten in Ägypten erscheinen mögen.

Der Journalist und Blogger Wael Eskander sieht in den derzeit von Medien und Politikern der Militärregierung produzierten Feindbildern eine bewusst geschürte Schmutzkampagne – mit dem Ziel die Willkür und Korruption des gegenwärtigen Regimes zu verschleiern. Die mantra-artig vorgetragenen Kernforderungen des Aufstands 2011 „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“ – seien verloren gegangen.

Weniger Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit – es stört die Menschen nicht mehr. Der Konsens scheint verloren gegangen zu sein und die Schmutzkampagne des Regimes gegen eine Revolution, welche versuchte dessen Korruption zu beenden, ist so effektiv wie nie zuvor.

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