http://infomobile.w2eu.net/resistance/other-campaigns/
(Material auf englisch plus ganz unten auf der Seite auch PDF-Versionen auf deutsch)
Beim neuen Sparpaket wurden Anfang November unter großem Protest weitere Einschnitten in der Gesundheitsversorgung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro beschlossen. Davon betroffen sind zehntausende PatientInnen, die sich entweder keine Krankenversicherung oder auch die teuren Zuzahlungen nicht leisten können. Die vielen tragischen Geschichten von Krebskranken oder MS-PatientInnen z.B. denen die Behandlung verwehrt wird und die inzwischen alltäglich sind in Griechenland, gehen meistens unter in der Berichterstattung der ausländischen Medien über internationale Rettungspakete, geforderte Reformen und korrupte Politiker.
Wir sind seit längerem mit dem Infomobil (http://infomobile.w2eu.net/) in Griechenland aktiv und haben nun begonnen uns neben Information und Unterstützung von mit und für Flüchtlingen auch mit Projekten zu beschäftigen, die Alltagssolidarität gegen das „Krisenmanagement“ in Stellung bringen.
Dem voraus ging die Überlegung, dass wir uns zum einen momentan in Griechenland schwerlich nur auf die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen beschränken können, wenn eine Angleichung von Rechten momentan eher darin besteht, dass die griechische Bevölkerung ebenfalls entrechtet wird – und dass es zum anderen wichtig ist auf einer praktischen Ebene solidarische Kontakte mit selbstorganisierten Strukturen in Griechenland zu entwickeln und von ihnen zu lernen.
Wir haben uns daher Mitte November in der sozialen Arztpraxis in Elliniko bei Athen mit Giorgos Vichas (einem der Ärzte) getroffen, um darüber zu sprechen, was sie konkret an Unterstützung brauchen. Die Klinik in Elliniko war eine der ersten selbstorganisierten Kliniken in Griechenland, sie haben vor 10 Monaten angefangen und haben das Tempo der Entwicklung selbst nicht erwartet: der Bedarf ist rasant gestiegen, aber zugleich ist auch die Beteiligung und Unterstützung unerwartet groß: „Solidarität ist heute wie ein Virus, den man aber nicht behandeln braucht.“ sagte uns Giorgos Vichas. Die Klinik versorgt inzwischen 60-70 Personen täglich. Sie hat eine eigene Apotheke in der Medikamentenspenden ausgegeben werden. Inzwischen gibt es über Griechenland verteilt 17 miteinander vernetzte Kliniken/ Krankenstationen, die kostenlosen Zugang zu Gesundheitsversorgung für Unversicherte bereitstellen, aber auch für Leute mit Krankenversicherung, die sich die Zuzahlung nicht leisten können.
Die Kliniken arbeiten nicht rein karitativ, sie haben einen politischen Ansatz. Eines der vorangingen Ziele ist momentan den Zugang zu Gesundheitsversorgung in den öffentlichen Krankenhäusern auch für Unversicherte zu erstreiten. Am Donnerstag (15.November 2012) wurde ein wichtiger Schritt gemacht: die selbstorganisierte Polyklinik in Elliniko kündigte in einer Presseerklärung an, dass eine der großen Athener Kliniken zugesagt hatte, von nun an mit ihnen zu kooperieren und offiziell auch Unversicherte zu behandeln. Die Antwort aus dem Gesundheitsministerium kam direkt: noch am selben Abend wurde bekannt gegeben, dass es Umstrukturierungen und Neubesetzungen in den Athener Klinikleitungen geben werde.
Vor diesem Hintergrund könnte eine wichtige Unterstützung darin bestehen, wenn ÄrztInnen und am besten Krankenhäuser im europäischen Ausland ebenfalls öffentlich verkünden könnten griechische PatientInnen zu behandeln. Wünschenswert für die griechischen Kliniken wären breit angelegte Solidaritätserklärungen – auf einer symbolischen Ebene, um eine Debatte um ein Recht auf Gesundheitsversorgung auch auf der europäischen Ebene auszutragen. Denn die Einsparungen im griechischen Gesundheitssystem sind eine der direkten Auswirkungen der Spardiktate der Troika. Hier wäre sicherlich auch Schnelligkeit gefragt, denn in Athen ist die Auseinandersetzung momentan akut und es wäre wünschenswert, wenn es dazu direkt Erklärungen aus anderen Ländern gäbe und damit auch Öffentlichkeitsarbeit gemacht würde.
Sie sammeln zudem momentan Einzelfälle von KrebspatientInnen, die aufgrund mangelnder Versorgung eine massive Verschlechterung ihrer Erkrankung erlitten haben oder bereits verstorben sind. Mit diesen (momentan bereits zehn Fällen) wollen sie vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof klagen. Auch hier wäre zum richtigen Zeitpunkt Unterstützung in Sachen Öffentlichkeit gefragt.
Die Kliniken sind sehr an Austausch interessiert. Wir haben von den Medinetzen in Deutschland erzählt (auch wenn wir nicht direkt an diesen Strukturen beteiligt sind). Davon dass seit den Anfängen in den 90er Jahren inzwischen zumindest in einigen Städten auf kommunaler Ebene medizinische Sprechstunden für Papierlose und Unversicherte entstanden sind – und dass es momentan eine Verschiebung im Klientel gibt und vermehrt auch EU-BürgerInnen vor allem aus Bulgarien und Rumänien diese Angebote nutzen müssen. Sie wären sehr an Erfahrungen aus solchen Projekten in anderen Ländern interessiert, vor allem was die Ebene des politischen Drucks hin zu einer Gesundheitsversorgung für alle betrifft.
Zudem geht es natürlich auch um praktische Unterstützung, denn auch wenn die Solidarität innerhalb Griechenlands groß ist, gibt es vor allem Schwierigkeiten an Krebsmedikamente und teurere Geräte zu kommen. Eine Liste mit benötigten Materialien befindet sich ebenfalls im Anhang.
Wir haben uns als Infomobil an dieser Stelle eingemischt – am liebsten wäre es uns wenn sich dieser Solidaritätsaufruf verselbstständigt und andere diesen Aufruf aufgreifen, weiterverbreiten und selbst aktiv werden. Wir könnten anbieten, dass eine Person in Athen sich in die Kommunikation einschaltet, wenn es Schwierigkeiten gibt per Mail direkt zu kommunizieren – dafür könnt Ihr gerne Kontakt aufnehmen mit Chrissa Wilkens (chrisawilkens@gmail.com).
Wir wissen auch von anderen, die unter anderem gute Kontakte nach Thessaloniki haben und hängen daher die Übersetzung eines Interviews mit einer Ärztin aus dem dortigen Projekt ebenfalls an, das (auf deutsch) in der letzten Ausgabe der „Graswurzelrevolution“ erschienen ist. Darin wird explizit auf den Ansatz der Ausweitung solidarischer Alltagsstrukturen eingegangen. Falls Euch noch weitere einfallen, die evtl. in dieser Richtung aktiv werden könnten – seien es Gruppen, seien es einzelne Kliniken und/ oder ÄrztInnen – wäre es super, wenn Ihr dieses Material weiterverbreitet.
Herzliche Grüße,
Infomobil
Anhang:
- Liste mit dringend benötigten Medikamenten und Geräten
- Krank gespart: Ein Aufruf zur Solidarität mit den Menschen in Griechenland
- Informationen zur sozialen Arztpraxis Elliniko
- Informationen zur Situation der Krebskranken PatientInnen in Griechenland
- Die Soziale Krankenstation der Solidarität Thessaloníki braucht finanzielle Unterstützung
- Kontakt zur sozialen Arztpraxis Elliniko:
Blog http://mki-ellinikou.blogspot.com/
Email mkiellinikou@gmail.com