04. Juni 2014 · Kommentare deaktiviert für Syrien: adopt@revolution Newsletter, 02.06.2014 · Kategorien: Syrien

Liebe AbonnentInnen des Newsletters, liebe Syrien-Interessierte,

dieser Newsletter steht zweifelsfrei im Zeichen der morgigen Wahl in Syrien, die den amtierenden Präsidenten Bashar al-Assad bis 2021 im Amt belassen soll. Die Wahl kann als völlige Farce bezeichnet werden, da nur in Teilen des Landes überhaupt abgestimmt werden kann. An ein allgemeingültiges Wahlrecht sowie einen freien und fairen Wahlkampf ist bei der derzeitigen Sicherheits- und v.a. humanitären Lage nicht zu denken, ganz zu schweigen von den anhaltend repressiven politischen Rahmenbedingungen.

Bei der langjährigen Erfahrung des syrischen Regimes, Wahlen „legitim“ aussehen zu lassen, bleibt allerdings kein Zweifel, dass Bashar al-Assad die Wahlen gewinnen wird. Um das Wahltheater noch abzurunden, dürfen dieses Mal sogar zwei handverlesene „Oppositionelle“ als Gegenkandidaten Assads antreten. So einfach kann „Demokratie“ aussehen. Aufgrund der Repression im Inneren des Landes und der weitgehenden Zerstörung haben AktivistInnen die morgige Wahl mit dem Slogan #BloodElections betitelt. Während des Wahlkampfes hat weder die Belagerungs- noch die Fassbombenkampagne des Regimes aufgehört. Nicht nur in Aleppo sind täglich neue Opfer zu beklagen.

In zwei Nachbarländern Syriens, Libanon und Jordanien, durften die SyrerInnen bereits vergangene Woche über den kommenden Präsidenten abstimmen. Laut offiziellen Zahlen der UN halten sich in beiden Ländern mehr als 1,5 Mio. syrische Flüchtlinge auf. Besonders im Libanon kam es zu einem regelrechten Ansturm auf die syrische Botschaft in Beirut, dem einzigen Wahllokal im Libanon. Dieser massenhafte Wahlansturm hat nicht nur BeobachterInnen erstaunt, sondern auch den LibanesInnen erneut vor Augen geführt, wie groß das Ausmaß der syrischen Krise im Land ist. Während ernsthafte Zweifel bestehen, dass viele SyrerInnen aus freien Stücken abstimmten, schürte der Massenandrang Angst und Ressentiments auf Seiten der LibanesInnen. Mehr dazu finden Sie auch in der Presseschau vom 1. Juni weiter unten.

Trotz aller schrecklichen Nachrichten aus Syrien gibt es auch immer noch Hoffnungsschimmer. Die zivile AktivistInnen-Gruppe „Olivenzweig – Ghusn Zeitoun“ stellt in Südsyrien (Provinz Daraa) Freizeit- und Bildungsprojekte auf die Beine. So können die kriegsgeprägten Kinder Syriens einfach wieder Kinder sein, unbeschwert und ohne Angst. Hier ein Bild aus Saida, einem Ort der Provinz Daraa:

Vor bereits zwei Jahren starb der syrische Aktivist und Filmemacher Bassel Shahade, am 28.05.2012 in Homs. Sein Tod war nicht nur ein Verlust für die Syrische Revolution und viele AktivistInnen, die Shahade sehr schätzten, sondern auch für das syrische Kino. Nicht umsonst wird Shahade auch als „Märtyrer des Kinos“ betitelt. In einem Nachruf, der bereits vor einem Jahr erschien, erinnert sich eine Adopt a Revolution-Aktivistin an Shahade und stellt Auszüge von Werk und Stimmen seiner Umwelt zusammen: https://www.adoptrevolution.org/bassel-shahade-2012-verfechter-der-freiheit-chronist-der-revolution-28-05-2013/

Leider mussten wir auch einen aktuellen Nachruf auf unseren Blog setzen. Muhammad Muhammad, Absolvent der Anglistik und Aktivist der AaR-Partnerorganisation UKSS (Union Kurdischer Studierender in Syrien), wurde am 23.05.2014 von ISIS-Kämpfern kaltblütig ermordet. Grund: Muhammad trat der Willkür von ISIS entgegen und verteidigte unverschleierte Frauen, die von ISIS schikaniert wurden. Die Widerworte von Muhammad veranlassten ISIS, ihn nicht nur zu ermorden, sondern auch ein grausames Exempel an ihm zu statuieren. Das Schicksal Muhammads zeigt, welchen Gefahren sich zivile AktivistInnen in Syrien ausgesetzt sehen. Trotz allem geben sie diese gefährliche Arbeit nicht auf – was zeigt, wie sehr sie unsere Solidarität verdienen. Zum Nachruf: https://www.adoptrevolution.org/zur-hinrichtung-des-studentischen-aktivisten-muhammad-muhammad/

Wie bereits oben erwähnt, kann die anstehende syrische Wahl nur als Farce bezeichnet werden. Dem schließt sich auch maßgeblich die innersyrische Oppositionsgruppe „Building the Syrian State“ an, die mittels eines Statements zum Boykott der Wahlen aufruft: https://www.adoptrevolution.org/building-the-syrian-state-aufruf-zum-wahlboykott/. Das syrische Volk könne seinen Wahlauftrag nicht angemessen wahrnehmen und auch nicht frei einen geeigneten Kandidaten für das Präsidentschaftsamt wählen. Dies entspreche nicht den Hoffnungen, die die SyrerInnen seit langem in freie Wahlen setzen.

Die Presseschau vom 1. Juni steht auch maßgeblich im Zeichen der Präsidentschaftswahl: https://www.adoptrevolution.org/das-maerchen-von-freien-wahlen-presseschau-1-juni-2014/. Sie finden u.a. folgende Themen:

  • Die syrischen Wahlen im Libanon: Abstimmen zwischen Zwang und „Wahlfreiheit“
  • Die Rolle der Hisbollah in der syrischen Abstimmung
  • Die syrischen Wahlen in den kurdischen Gebieten: „Wahl der Schande“ boykottiert?
  • #Douma4: Den Druck auf Razan Zaitounehs Kidnapper erhöhen
  • Film „On the Bride’s Side“: Flucht per inszenierter Hochzeitsgesellschaft

Wie Sie sich das Zentrum von Damaskus in Zeiten der Präsidentschaftswahlen vorstellen können, zeigt das syrische FotografInnen-Kollektiv „Lens Young Dimashqi“. Dieses hält täglich Szenen des Damaszener Alltags fest – sei es im regimekontrollierten Zentrum oder den belagerten Vorstädten. In einem speziellen Album haben die FotografInnen im regimekontrollierten Damaskus Wahlplakate und Straßenszenen eingefangen: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.632641483471512.1073741909.343172915751705&type=3. Man glaubt es kaum: Neben der Omnipräsenz Assads haben sich auf 2-3 Bildern auch Plakate von Assads Gegenkandidaten eingeschlichen. Besonders absurd auch gedichtete Lobeshymnen auf Assad wie z.B.: „Sie haben dich bekämpft – und vergessen, wer dein Vater ist.“

Mit besten Grüßen,
das Adopt a Revolution-Team

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