ARD Tagesschau | 05.08.2018
Niger bekommt viel Geld von der EU, auch von Deutschland. Das Ziel: Die Wüstenroute der Migranten soll kontrolliert, ihr Fluchtweg blockiert werden. Für die Menschen dort hat das weitreichende Folgen.
Von Shafagh Laghai, WDR
Agadez, die Wüstenstadt in Niger, ist seit Jahrhunderten eine Handelsmetropole. Waren aus ganz Westafrika wurden von hier durch die Wüste nach Libyen und Algerien gefahren. Doch seit dem Krieg in Libyen ist alles schwieriger geworden. Auch deshalb etablierte sich ein neuer Wirtschaftszweig: Agadez wurde zum Drehkreuz für Migranten.
Und die Migranten waren willkommen, sie brachten Agadez Geld ein. Sie kauften ein, übernachteten hier. Ganz normal war das, erzählt der Menschenrechtsaktivist Rachid Kollo: „Hier in der Stadt hatten wir lauter kleine Läden, Restaurants und Hotels für die Migranten. Hier war viel los. Aber seit dem neuen Gesetz ist die Wirtschaft von Agadez tot.“
30 Jahre Gefängnis für Transport von Migranten
Vor zwei Jahren setzte die Regierung von Niger auf Druck der EU ein Gesetz in Kraft, das den Transport von Migranten verbietet. Wer sich nicht daran hält, wird mit bis zu 30 Jahren Gefängnis bestraft.
Das wird verstärkt kontrolliert. Auf der Wüstenroute Richtung Libyen und Europa patrouillieren lokale Sicherheitskräfte. Viele von ihnen wurden auch von der EU und Deutschland ausgebildet und ausgerüstet. „Agadez ist die erste Außengrenze Europas“, sagt Rachid Kollo.
Deutschland liefert Technologie zur Überwachung
Nigers Verteidigungsminister Moutari Kalla schwärmt von der Zusammenarbeit mit der EU und vor allem mit Deutschland. 50 Prozent seines Landes bestünden aus schwer kontrollierbarer Wüste, erklärt er: „Wir brauchen Flugzeuge, Ausrüstung mit Spitzentechnologie, um diese Zonen zu überwachen. Und dank unserer Kooperation mit der EU und speziell mit Deutschland gelingt uns das wesentlich besser. Deutschland ist in dieser Kooperation wirklich ein Anführer.“
Gerade habe sein Ministerium einen neuen Deal mit Deutschland unterschrieben, sagt er. Es gehe um finanzielle Zuwendungen in Millionenhöhe, um die Lieferung von Fahrzeugen und Technologie zur Grenzsicherung.
Für das Verteidigungsministerium in Berlin ist die Lieferung eine Geheimsache: „Detaillierte Angaben zu Projekten im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung sind nicht für die öffentliche Verwendung bestimmt“, schreibt eine Sprecherin auf Nachfrage.
Nigers Regierung: korrupt oder vorbildlich?
Rachid Kollo macht es wütend, dass Deutschland und die EU seine Regierung finanziell unterstützen: „Unsere Regierung zeichnet sich durch Korruption, Gewaltherrschaft und Menschenrechtsverletzungen aus.“ Er selbst saß bereits zwei Mal im Gefängnis, weil er die Regierung öffentlich kritisierte. Dutzende Menschenrechtler, Journalisten und politische Oppositionelle sind nach wie vor inhaftiert.
Für EU-Staats- und Regierungschefs wie Angela Merkel oder Emmanuel Macron ist Nigers Präsident Mahammadou Issoufou jedoch ein „vorbildlicher Partner“. Gemeinsam mit ihm habe man es geschafft, die Zahl der Migranten, die durch Niger reisen, um 70 Prozent zu senken. Offiziell zumindest.
Aber die Abkommen zwischen der EU und einem Land wie Niger verändern nichts an den Ursachen, die Menschen dazu zwingen zu fliehen, sagt Kollo. Und so kommen nach wie vor Menschen aus ganz Westafrika in Agadez an. Nur werden sie jetzt versteckt, leben im Untergrund, ohne Schutz.
Auswanderung auf gefährlicheren Wegen
Ali ist Schlepper, die offiziellen Zahlen stimmten nicht, sagt er. Er fährt nach wie vor Flüchtlinge durch die Wüste: „Es hat nicht aufgehört. Heimlich geht die Auswanderung weiter.“
Nur sei es jetzt gefährlicher geworden. „Früher haben wir an Wasserstellen angehalten oder in einem Dorf. Heute ist dort überall das Militär. Also hält man 15 Kilometer vom Dorf entfernt, mitten in der Wüste, und versteckt da die Migranten. Ich fahre dann ins Dorf, um Essen und Trinken zu holen.“ Aber wenn man einer Patrouille begegne oder das Militär Fragen stelle, dann bekomme man Angst und hole die Migranten nicht ab. „Und die Migranten haben in der Wüste keine Orientierung“, fügt er hinzu.
Keine Orientierung, keine Verpflegung, kein Wasser. Für die meisten bedeutet das den sicheren Tod, erzählt Baldé, ein Flüchtling aus Guinea, der selber die Flucht durch die Wüste nur knapp überlebt hat. „Drei Tage sind wir umhergeirrt ohne Essen und Trinken. Es war sehr schlimm. Ich habe Menschen sterben sehen. Andere sind krank geworden. Vor allem die Kinder.“
Die Wüste sei zu einem riesigen Friedhof geworden, sagen die Menschen. Auch wenn niemand genau weiß, wie viele Menschen dort den Tod finden. „Die Toten im Mittelmeer sieht man“, sagt Rachid Kollo, „die in der Wüste nicht.“
Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der Sendung „Exclusiv im Ersten: Grenzen dicht! Europas Schutzwall in Afrika“ um 21.45 Uhr im Ersten.