Widerstand gegen ISIS
Während US Aussenminister Kerry in Bagdad gelandet ist, um zu sondieren, wieviel von dem Porzellan, dass Nuri al-Maliki in den letzten Jahren im Irak zerschlagen hat, sich vielleicht wieder kitten lässt und nur wenige Medien die Simplifizierung „ISIS vor Bagdad“ mit Annäherungen an die Realität im Irak durchbrechen( die meisten deutschsprachigen Beiträge, die dies tun, findet ihr auf diesem blog), schlagen sich die Menschen in Syrien seit Jahren schon mit den Faschisten von „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ herum.
Unabhängig von den diversen Machtspielchen der politischen Klasse, von Masud Barzani, der sich via CNN als regionale Ordnungsmacht dem Fernsehvolk andient bis Moktada al-Sadr, der seine Jaish al-Mahdi als reaktionärer Albtraum der Bewohner Bagdads wiederauferstehen lässt, und all den angekündigten „präzisen Operationen“ der US Luftwaffe, gibt der anhaltenen Widerstand gegen den Teror der ISIS in Syrien Hoffnung, dass auch im Schrecken eines mörderichen Bügerkrieges eine emanzipatorische Haltung möglich ist.
In dem Beitrag Generalstreik gegen ISIS in Menbej berichten syrische Aktivisten:
Mitte Mai geht nichts mehr in Menbej, neun von zehn Geschäften sind geschlossen, der öffentliche Verkehr steht weitgehend still. Die Stadt liegt 90 km östlich von Aleppo und wird seit ein paar Tagen von einem Generalstreik lahmgelegt. Dazu aufgerufen und den Streik vorbereitet hatten zivile Gruppen rund um das lokale Zentrum für Zivilgesellschaft, um gegen die öffentliche Hinrichtung eines angesehenen Aktivisten und die tägliche Unterdrückung durch die Dschihadisten zu protestieren.
Ende Januar hatte ISIS die 100.000-EinwohnerInnen-Stadt zum wiederholten Male eingenommen, nachdem die Dschihadisten zuletzt von einem breiten Bündnis der bewaffneten syrischen Opposition aus der Gegend vertrieben worden war. Bei ihrer Rückkehr nach Menbej führten die Kämpfer des al-Kaida-Ablegers noch strengere religiöse Gesetze ein und köpften zivile AktivistInnen. Mit einem Statement, das via Facebook verbreitet wurde, suchten die religiösen Eiferer auch nach dem Leiter des Zentrums für Zivilgesellschaft, das AktivistInnen mit Unterstützung von Adopt a Revolution dort aufgebaut hatten. Mit einer Plakatserie und Graffiti rufen die Mitglieder des Zentrums jetzt zu religiöser Toleranz und der Unterstützung des Generalstreiks auf.
Mit einer Erklärung, die wir hier dokumentieren, unterstützt auch die zivile lokale Selbstverwaltung den Streik.
Werte MitbürgerInnen,
indem ihr dem Aufruf zum Generalstreik folgt, bereichert ihr wieder einmal den Kampf gegen das Assad-Regime und seine Verbündeten. Das ist eine große Leistung und zeigt euer Verantwortungs-bewusstsein, eure Liebe zur Religion und zur Heimat und eure enorme Opferbereitschaft.
Euer Streik verkörpert unser aller Ablehnung der mörderischen Besatzung unserer Stadt und das trotz der Brutalität der Mitglieder von ISIS und ihrer Angriffe. Dieser Streik ist eine zivilisierte Form des Protests, die den ISIS-Anhängern völlig fremd ist.
Wir begrüßen und schätzen diesen heroischen Schritt und versprechen, weiter rechtschaffen und standhaft für die Befreiung dieser Stadt und von ganz Syrien aus den Fängen des Assad-Regimes und dessen kriminellen ISIS-Anhängsels zu streiten.
Es lebe das Freie Syrien!
Als Reaktion versuchten die Dschihadisten, die Ladenbesitzer zum Öffnen ihrer Geschäfte zu zwingen und nahmen mehrere Personen fest, als die sich weigerten. Abgesehen von Apotheken beteiligten sich alle Geschäfte der Stadt an dem Ausstand. Trotz der Repression hielt der Streik wie angekündigt einen ganzen Tag an, was die breite Ablehnung der Menschen aus Menbej gegenüber ISIS aber auch dem Assad-Regime ausdrückt. Die Initiatoren planen bereits, die Islamisten mit weiteren, ähnlichen Aktionen unter Druck zu setzen.
In dem Beitrag Dair az-Zor: Eine Stadt zwischen Regime und ISIS,
wird erneut eindrucksvoll die schwierige Situaon beschrieben, die im Spannungsfeld zwischen Assad Regime, ISIS und traditionellen Herrschaftsinstrumentarien für die Aktivisten bestehen:
Dair az-Zor liegt am Euphrat. Die Grenze zum Irak liegt nur einige Kilometer weit entfernt. Ursprünglich war es ein ruhiges Städtchen. Ein wenig abseits gelegen von den großen Ballungszentren Syriens ist Dair az-Zor nur beschwerlich zu erreichen. Heute ist der Großteil der Stadt zerstört. Elektrizität und fließend Wasser gibt es nur noch in den zwei Stadtteilen, die vom Regime kontrolliert werden. Bashar ist Arzt und in dieser Stadt aufgewachsen. Eigentlich ist er Urologe, aber die Revolution hat sein Leben verändert.
Als Arzt vom Spezialisten zum Helfer in allen Lagen
Als Arzt in einem Untergrundkrankenhaus nahe der Front ist er zum Chirurgen und sogar zum Geburtenhelfer geworden. Ärzte gibt es fast keine mehr in Dair az-Zor. Die, die bleiben, behandeln und übernehmen alles – Schußwunden, Amputationen, Geburten. Die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, sind katastrophal, die medizinische und technische Ausrüstung beschränkt sich auf das Rudimentärste. Doch diese humanitäre Arbeit machte ihn zum Gesuchten vom Regime. Jeder, der nicht in den staatlichen Krankenhäusern arbeitet, ist gefährdet, denn er wird beschuldigt, die Aufständischen zu unterstützen. Unkoordiniert haben die Schergen des Regimes mal seinen Vater, mal seinen Bruder verhaftet, im Glauben sie hätten ihn gefangen genommen. Doch die Situation ist für Bashar und seine Familie zu gefährlich geworden. Aus diesem Grund hat er widerwillig die Flucht über die Türkei nach Deutschland angetreten.
Vor dreieinhalb Monaten ist er in Berlin angekommen. Der schlanke Mann ist voller Tatendrang und möchte auch hier in Deutschland helfen. Die ersten Schritte sind Deutsch lernen und auf das Asylverfahren warten. Nun sitzt er vor uns, in dem Büro von Adopt a Revolution. In einem weißen Hemd, einer dunklen leichten Hose, mit einer ledernen Umhängetasche. Mit seinen schlanken, langen Hände gestikuliert er, um seine Antworten auf Arabisch und in gebrochenem Englisch zu unterstreichen. Wir wollen von ihm wissen, wie geht es den Menschen, was denken, wen unterstützen, was glauben sie und wie funktioniert das Leben noch in Dair az-Zor.
Die geteilte Stadt
Die Stadt, die vor der Revolution 500.000 Einwohner hatte, also einst der Größe von Nürnberg entsprach, ist zweigeteilt. Den Westen mit rund 250.000 Bewohnern kontrolliert das Regime, im östlichen Rest der Stadt leben nur noch ungefähr 13.000 Menschen. Alle anderen sind geflohen oder in den Westen der Stadt gezogen. Denn obwohl die Menschen in den “befreiten Gebieten”, wo also das Regime nicht mehr das Sagen hat, positiv über die Revolution sprechen, dominiert die materielle und ökonomische Not. In den vom Regime kontrollierten Bereichen gibt es zumindest einige Stunden am Tag Strom und teilweise noch fließend Wasser.
Einige, die die Flucht ergriffen, haben es direkt in die Türkei geschafft. Andere sind zuerst in die kurdischen Gebiete geflohen, wo sie allerdings keine langfristige Perspektive sahen und weiter in die Türkei oder zurückkehrten. In Dair az-Zor selbst jedoch gibt es keine weiteren konfessionellen Spannungen, denn vor allem leben dort Sunniten. KurdInnen, AlawitInnen und andere Minderheiten sind nur marginal vertreten.
Ein weiterer Flüchtlingsstrom ist in die Provinz Raqqa geflohen, doch als dort die Extremisten von ISIS, also „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ die Kontrolle übernahmen, sind viele weiter in die Türkei gezogen oder auch zurück in die vom Regime kontrollierten Gebiete ihrer Heimatstadt gegangen. Dort sind sie wenigstens sicher vor den Fassbomben des Regimes. Die Luftwaffe wirft weiter täglich vier bis sechs Fassbomben auf die Stadt und Provinz Dair az-Zor, außer auf den Stadtabschnitt, den es selbst kontrolliert.
Keiner glaubt mehr an Assad, doch vor ISIS haben alle Angst
Kaum jemand, erzählt Bashar, glaubt in der Stadt noch, dass Assad noch einmal in der Lage sein wird, das gesamte Land zu regieren geschweige denn zu vereinen – auch nicht dort, wo das Regime regiert. Mittlerweile stehen die meisten Städte entlang des Euphrats unter Selbstkontrolle durch lokale Räte. Doch diese wiederum sind davon abhängig, dass die bewaffneten Kräfte, die vor Ort sind, sie agieren lassen. Denn egal welche bewaffnete Gruppe gerade die Macht hat, eine der wichtigsten Finanzquellen sind immer inoffizielle Steuereinnahmen.
In den “befreiten Gebieten” der Provinz Dair az-Zor konnte sich ein recht stabiles ökonomisches Leben entwickeln, da neben Öl und Gas auch Getreide und Zucker angebaut werden. Diese Güter werden von Geschäftsmännern gekauft und in die Türkei und den Irak exportiert. Doch außer für Exportgüter bleibt die irakische Grenze weiterhin geschlossen. So werden weder Hilfsgüter hinein noch Menschen aus Syrien heraus gelassen. Auch internationale Hilfsorganisationen sind in Dair az-Zor eigentlich nicht anzutreffen. Unterstützung, etwa für Binnenflüchtlinge, gibt es wenn dann direkt aus der lokalen Bevölkerung oder von den moderaten Islamisten.
Es ist kein Geheimnis, dass sie die Sympathien der Bevölkerung als auch der AktivistInnen haben. Im Gegensatz zu ISIS. Aber die ländlichen Stammesstrukturen sind vielerorts stark und oppotunistisch. Sie wenden sich immer denjenigen zu, die gerade die militärische Oberhand haben – zur Zeit sind das die moderaten Islamisten.
Beide Beiträge sind auf deutsch auf der website der Kampagne adopt a revolution veröffentlicht worden. Unabhängig von allen sonstigen Differenzen rufen wir weiterhin dazu auf, für die Kampagne zu spenden. Dem Rest bleibt nur das ohnmächtige Starren auf die Macht-und-Ränkespielchen der geopolitischen und regionalen Machtfaktoren.