13. April 2014 · Kommentare deaktiviert für Italien: Hilfe für Flüchtlinge · Kategorien: Italien · Tags:

Italien befürchtet eine nie dagewesene Flüchtlingswelle und streitet über die Operation „Mare Nostrum“.

Von Regina Kerner

Jeden Frühling, mit dem Ende der Winterstürme, schwillt der Flüchtlingsstrom aus Nordafrika nach Europa an. Doch selten wollten so viele Menschen wie derzeit das Mittelmeer überqueren. In Italien ist schon etwas überzogen von einem „biblischen Exodus“, einem „Tsunami“, einem „Ansturm der Armen“ die Rede. Innenminister Angelino Alfano spricht von Notstand.

Ende März und erneut in den vergangenen Tagen wurden Rekordzahlen erreicht. 4000 Migranten innerhalb von nur 48 Stunden retteten die italienische Marine und Handelsschiffe aus seeuntüchtigen und überfüllten Booten. An einem einzigen Abend gingen per Telefon 16 Hilferufe ein. Es waren Boote, die sich an verschiedenen Punkten im Mittelmeer befanden, manche mit mehr als 500 Menschen an Bord und ausgestattet mit Satellitentelefonen, die ihnen die kriminellen Schlepper mit auf den Weg geben. Auf halbem Weg nach Italien setzten sie einen Notruf ab. Das Satellitentelefon erlaubt eine präzise Ortung, italienische Schiffe eilten zu Hilfe.

In den ersten drei Monaten dieses Jahres sind auf diese Art bereits 11.000 Einwanderer nach Italien gekommen, sieben mal mehr als im selben Zeitraum 2013. Dabei hat die „Saison“ noch gar nicht richtig begonnen. Die Flüchtlingswelle wird noch zunehmen, fürchtet Innenminister Alfano. „Nach unseren Informationen warten bis zu 600.000 Menschen in Nordafrika auf eine Passage übers Mittelmeer“, warnt er. Den italienischen Geheimdiensten zufolge betreiben in Libyen bewaffnete paramilitärische Banden gemeinsam mit korrupten Vertretern von Polizei und Küstenwache das Geschäft mit menschlichen Schicksalen. Es sind vor allem Syrer, Palästinenser, Eritreer, Äthiopier und Schwarzafrikaner, die oft in gefängnisartigen Lagern der Menschenhändler sitzen und auf die Überfahrt warten.

Warum die Zahlen so steigen, darüber ist in Italien eine Debatte entbrannt. Nicht nur die politische Rechte, auch manche gemäßigt-konservative Zeitungen sehen die humanitäre Operation „Mare Nostrum“ der italienischen Marine als Ursache. Den Rettungseinsatz hatte der damalige Premier Enrico Letta im Herbst beschließen lassen, nachdem vor Lampedusa Hunderte Flüchtlinge ertrunken waren.

Das Mittelmeer dürfe kein Meer des Todes mehr sein, sagte Letta damals. Seit Mitte Oktober 2013 überwachen nun je fünf italienische Fregatten, flankiert von Flugzeugen, Hubschraubern und Drohnen mit Infrarot- und optischer Ausrüstung die Meerenge von Sizilien. 920 Marinesoldaten sind im Einsatz. Sie haben bislang rund 18.500 Flüchtlinge aufgegriffen und vielen, die sich in Seenot befanden, das Leben gerettet. Die Regierung, aber auch Organisationen wie der italienische Flüchtlingsrat werten die Operation als Erfolg.

Die fremdenfeindliche Lega Nord und Vertreter des Berlusconi-Lagers bezeichnen sie dagegen als Einladung zur illegalen Einwanderung. Dank „Mare Nostrum“ sei die Mittelmeer-Überquerung überhaupt kein Risiko mehr, das gebe dem Geschäft der Menschenhändler Auftrieb. Die Marine müsse die Boote zurückschicken, fordern viele.

Schon 66 Schleuser verhaftet

Der „Mare-Nostrum“-Kommandant und Marine-Chef Admiral Giuseppe De Giorgi wies die Vorwürfe zurück. Die Flüchtlingszahlen seien schon vor Beginn der Operation dramatisch gestiegen, sagte er. 2013 kamen demnach 43.000 Menschen nach Italien, ein Zuwachs um 224 Prozent im Vergleich zu 2012. Die Ursachen seien politisch und sozial: Konflikte wie der Syrien-Krieg und die Tatsache, dass Libyen seine Grenzen nicht kontrolliere. „Wir sind dafür zuständig, dass bei diesem Exodus keine Menschen ums Leben kommen“, sagte der Admiral, „nicht dafür, sie zurückzuweisen“. Er sehe keine Alternative zum Hilfseinsatz. Darüber hinaus bekämpfe „Mare Nostrum“ auch den Menschenhandel. Es seien schon 66 Schleuser verhaftet worden.

Pro Monat kostet der Einsatz neun Millionen Euro. Finanziert wird er aus dem laufenden Budget der Marine. Doch die Frage ist: Wie lange noch? Das hoch verschuldete Italien muss dringend Staatsausgaben kürzen.

aus Frankfurter Rundschau

 

Kommentare geschlossen.