30. Juli 2013 · Kommentare deaktiviert für Ägypten: Vor der Entscheidungsschlacht – zwischen Eliten-Fraktionen · Kategorien: Ägypten · Tags:

Vor der Entscheidungsschlacht

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58651
KAIRO/BERLIN
(Eigener Bericht) – Begleitet von Warnungen vor einem Bürgerkrieg in Ägypten dringt das Auswärtige Amt auf einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Kräften dort. Es müsse dringend „ein inklusiver Prozess“ unter Einschluss aller relevanten Spektren begonnen werden, fordert Außenminister Westerwelle. Die Bundesregierung hatte jahrzehntelang auf das repressive Mubarak-Regime und danach auf eine Machtteilung zwischen dem Militär und der Muslimbruderschaft gesetzt – sämtlich Kräfte, gegen die sich seit Anfang 2011 demokratische Massenproteste gerichtet haben. Wie aus einer aktuellen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik hervorgeht, ist der jüngste Putsch letztlich das Ergebnis von Machtkämpfen, die von der unter Mubarak erstarkten ägyptischen Großunternehmer-Elite forciert wurden. Diese hat ebenfalls lange eng mit dem Westen kooperiert. Die SWP-Studie legt nahe, die zur Zeit offenbar nur schwer zu beeinflussenden Großunternehmer in Ägypten ganz gezielt zu schwächen, um in dem Land die „Stabilität“ zu fördern, die deutschen Interessen entspricht.

Ein Bürgerkrieg droht
Nach dem jüngsten Massaker der ägyptischen Repressionskräfte an mutmaßlich weit mehr als 70 Aktivisten der Muslimbruderschaft warnen deutsche Außenpolitiker vor einer unkontrollierbaren Eskalation. Der Konflikt zwischen dem Militär und der Muslimbruderschaft entwickle sich zu einer „Entscheidungsschlacht zwischen zwei Staatsvorstellungen, die nicht zusammenpassen“, erklärt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU): Weil es gegenwärtig nicht gelinge, „die verschiedenen Strömungen zu vereinen – die Anhänger eines islamistischen Staates, christliche Minderheiten, junge Modernisierer, säkulare Kräfte“ -, halte er schlimmstenfalls „einen Bürgerkrieg für möglich“.[1] Ähnliche Äußerungen sind in Berlin zahlreich zu hören. Das Auswärtige Amt dringt schon seit Wochen auf Deeskalation. So hat Außenminister Westerwelle am 20. Juli in einem Telefongespräch mit seinem ägyptischen Amtskollegen gefordert, in Kairo müsse „ein inklusiver politischer Prozess“ initiiert werden, der „alle wesentlichen Kräfte der Gesellschaft“ einzubinden habe.[2] Derlei Appelle sind in Berlin regelmäßig zu hören. Sie tragen der Tatsache Rechnung, dass anhaltende Unruhen in Ägypten für den Westen fatal wären: Konkret bedroht wäre dann zum einen der Suezkanal, der für die westliche Handels- und Kriegsschifffahrt unentbehrlich ist; zudem könnte eine Eskalation in dem Land wegen dessen zentraler Stellung in der arabischen Welt die angespannte Lage in weiteren arabischen Staaten ebenfalls zur Explosion bringen.

Machtkämpfe im Establishment
Die Berliner Besorgnisse und Appelle gehen dabei über die Tatsache hinweg, dass die Bundesrepublik in der Vergangenheit zum Anstieg der Spannungen in Ägypten systematisch beigetragen hat. Der Hintergrund lässt sich einer aktuellen Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) entnehmen. Demnach geht der jüngste Putsch ebenso wie Mubaraks Sturz im Februar 2011 auf Machtkämpfe im Kairoer Establishment zurück, in die Deutschland durchaus involviert war – über seine jeweiligen Parteigänger in Ägypten.

Das Militär und die Privatisierungselite
Die Studie bestätigt zunächst, dass bereits beim Sturz von Husni Mubarak im Februar 2011 ökonomische Interessen im Hintergrund eine Rolle spielten. Hatte Mubarak lange Zeit im Einvernehmen mit dem Militär regiert, gewannen im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends Großunternehmer beträchtlich an Einfluss. Hintergrund waren umfangreiche Privatisierungen, die das Mubarak-Regime auf Drängen der westlichen Staaten vornahm. Stephan Roll, der Autor der SWP-Studie [3], schätzt die Zahl derjenigen, die als neue Privatisierungselite eingestuft werden können, auf „mehrere hundert Familien und Einzelpersonen“, darunter eine „Kernelite“ von gut 20 schwerreichen Großunternehmern. Nicht wenige von diesen kooperierten – ganz wie der Mubarak-Clan, der die Privatisierungsgewinnler bediente – eng mit den westlichen Staaten; so war einer von ihnen der größte Vertriebspartner von General Motors weltweit, während zum Beispiel die German University Cairo engen Kontakt zu Husnis Mubaraks Ehefrau Suzanne hielt.[4] In den letzten Jahren der Ära Mubarak gerieten die erstarkenden Großunternehmer dabei deutlich in Rivalität zu den Militärs, die ihrerseits über ein umfangreiches Wirtschaftsimperium verfügen; Schätzungen darüber belaufen sich auf zwischen fünf und 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Sturz des Mubarak-Clans bot der SWP zufolge den Militärs die Chance, „alte Rechnungen“ mit den Privatisierungsgewinnlern „zu begleichen“. In der Tat waren in der vom Militär installierten „Übergangsregierung“ des Jahres 2011 die Großunternehmer kaum noch präsent; einige von ihnen wurden gar per Gerichtsverfahren kaltgestellt.

Ein Machtteilungsarrangement
Unter massiver Einflussnahme Washingtons und Berlins ließen die Militärs sich schließlich auf ein „Machtteilungsarrangement“ mit der Muslimbruderschaft ein. Hintergrund waren Überlegungen in westlichen Think-Tanks, die – beispielsweise bei der SWP – seit den Jahren 2005 und 2006 angestellt wurden und darauf abzielten, die Muslimbrüder an einem prowestlichen Regime in Kairo zu beteiligen – wegen ihrer stabilitätsverheißenden Massenbasis. Die Bundesrepublik hatte ebenso wie die USA in der Umbruchphase 2011 bereits früh auf eine Einbeziehung der Muslimbruderschaft in die Kairoer Regierung gesetzt und entsprechende Kooperationsschritte eingeleitet (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Die Militärs, von Washington mit „Militärhilfe“ in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar jährlich und von Berlin ebenfalls mit Waffenexporten bedient, ließen sich darauf ein. Auf die junge, demokratisch orientierte Protestgeneration zu setzen, die zuerst gegen Mubarak, dann gegen Mursi Sturm lief und sich nun auch gegen das erneut vom Militär installierte Regime wehrt, war Berlin nicht in den Sinn gekommen: Sie sei politisch zu schwach und nicht hinreichend organisiert, erläuterte vor geraumer Zeit Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU).[6] Dabei hat sich die Muslimbruderschaft – der neue Verbündete Berlins – politischer Mittel bedient, die sich laut SWP nicht wirklich von Mubaraks Herrschaftsmethoden unterscheiden: Auch ihr seien „Intransparenz und fehlende Einbeziehung von Akteuren“ außerhalb ihrer eigenen Kreise anzukreiden.[7]

Die Kampagne der Großunternehmer
Wie die aktuelle SWP-Studie beschreibt, ist die von Berlin unterstützte Muslimbrüder-Regierung letztlich den Machenschaften anderer langjähriger Parteigänger des Westens zum Opfer gefallen – den Machenschaften der einst von Mubarak per Privatisierung bedienten Großunternehmer. Diese hätten Mursi nicht nur wegen seiner mangelnden ökonomischen Erfahrung misstraut, sondern vor allem Repressalien und den Verlust ihrer Pfründe befürchtet, heißt es in der Analyse. Ihren Kampf gegen die Muslimbrüder hätten sie mit dem „Abzug von Investitionskapital aus Ägypten“ geführt, aber auch mit der Finanzierung diverser Kampagnen gegen die Regierung und per Gründung und „Betreiben regierungskritischer Medien“.[8] Die sich dramatisch verschlechternde ökonomische Lage habe schließlich auch Sorgen beim Militär geweckt, das Einkommensverluste bei seinen Unternehmen oder sogar einen Staatsbankrott gefürchtet habe: „Der aufgeblähte Militärapparat samt eigenem Wirtschaftsimperium wäre dann nicht mehr finanzierbar gewesen.“ Die eher liberal-demokratisch gesinnten Massenproteste, in Teilen von der Großunternehmer-Elite finanziert, hätten nur noch den PR-wirksamen Anlass für den ökonomisch motivierten Putsch geliefert – ähnlich wie im Februar 2011.

Gegen die Großunternehmer?
Die SWP schlägt vor, künftig die Macht der Großunternehmer einzuschränken, die das jüngste von Berlin unterstützte Herrschaftsarrangement zwischen Militär und Muslimbruderschaft maßgeblich unterminiert haben. Zwar sei es „nicht die Aufgabe externer Akteure, die Vormachtstellung einzelner Unternehmen in der ägyptischen Wirtschaft zu beseitigen“. Doch sollten „Deutschland und die EU die eigenen Maßnahmen und Instrumente dahingehend überprüfen“, ob sie „eine solche Vormachtstellung“ begünstigten – „etwa durch die Unterstützung öffentlich-privater Partnerschaften zwischen dem ägyptischen Staat und lokalen Unternehmen“.[9] Zudem könne man zum Beispiel den Journalismus in Ägypten fördern, um für die konsequente Aufdeckung korrupter Praktiken Voraussetzungen zu schaffen – zu Lasten der Großunternehmer. Ein solches Vorgehen gegen diese wäre der nächste Schritt der Einmischung Berlins in die inneren Angelegenheiten Ägyptens – nach Jahrzehnten der Kooperation mit dem repressiven Mubarak-Regime, den von ihm begünstigten Großunternehmern und dem Militär, danach auch mit der Muslimbruderschaft. Nach Lage der Dinge müsste Berlin, um überhaupt gegen die Großunternehmer Position beziehen zu können, jedoch weiterhin wenigstens mit den Streitkräften kooperieren, die nicht nur den Putsch, sondern nun auch noch das jüngste Massaker an Aktivisten der Muslimbruderschaft verantworten.

Weitere Informationen zur deutschen Politik gegenüber Ägypten finden Sie hier:Das türkische Modell, Einflusskampf am Nil (II), Die Kräfte des alten Regimes, Herausforderung Liberalisierung, Rote Linien, Einflusskampf am Nil (III), Profite sichern, Vom Feind zum Partner, Rückschritte für die Demokratie, Vom Feind zum Partner (II), Nichts Neues am Nil, Dem Westen zugewandt, Die Muslimbrüder als Partner, Die Muslimbrüder als Partner (II) und Vor dem Scherbenhaufen.

[1] „Eine Katastrophe für die ganze Region“; www.spiegel.de 29.07.2013
[2] Außenminister Westerwelle telefoniert mit ägyptischem Übergangsaußenminister; www.auswaertiges-amt.de 20.07.2013
[3] Stephan Roll: Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak. Machtvoller Akteur zwischen Militär und Muslimbruderschaft, SWP-Studie S 14, Juli 2013
[4] s. dazu Die Kräfte des alten Regimes
[5], [6] s. dazu Die Muslimbrüder als Partner und Die Muslimbrüder als Partner (II)
[7], [8], [9] Stephan Roll: Ägyptens Unternehmerelite nach Mubarak. Machtvoller Akteur zwischen Militär und Muslimbruderschaft, SWP-Studie S 14, Juli 2013

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