04. Juli 2013 · Kommentare deaktiviert für Ägypten, Muslimbrüder: „Verpasstes Rendez-vous mit der Macht“, nzz 04.07.2013 · Kategorien: Ägypten · Tags:

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Ägyptens Muslimbrüder

Verpasstes Rendez-vous mit der Macht
Die ägyptischen Muslimbrüder haben versucht, die Macht mit einem Deal mit den Militärs zu gewinnen. Doch die Macht hatten nicht die Militärs, sie lag auf der Strasse.

Jürg Bischoff, Beirut

[…] Die ägyptischen Muslimbrüder schworen in den siebziger Jahren der Gewalt ab und konnten sich wieder neu organisieren. Nach den Friedensverträgen von Camp David gab der damalige Präsident Sadat den Islamisten einen grösseren Spielraum, um die Opposition der Linksnationalisten gegen den Frieden mit Israel in Schach zu halten. Obwohl gesetzlich verboten, wurde die Bruderschaft unter Mubarak einmal zu Wahlen zugelassen, dann wurden Mitglieder wieder ins Gefängnis gesteckt. Die repressive Willkür des Regimes verfolgte das Ziel, die Brüder einzuschüchtern und ihre Organisation zu lähmen.Im Lichte dieser Erfahrungen hatte der Coup, mit dem das Militär Mubarak in die Wüste schickte und die Macht selbst übernahm, für die Muslimbrüder einen schalen Beigeschmack. Auch nachdem sie sich dem Aufstand gegen Mubarak angeschlossen hatten, blieben sie vorsichtig und vermieden jede Konfrontation mit den neuen Machthabern in der Militärjunta. Sie unterstützten die untaugliche Übergangsverfassung, welche die Generäle ausgearbeitet hatten, und äusserten auch später kaum Kritik an ihnen. Manchmal ergingen sie sich in Lobhudeleien der Militärs, für die sie sich heute die Zunge abbeissen müssten. Die «revolutionären» Gruppen, die liberalen und linken Parteien erkannten denn auch immer mehr Anzeichen eines Pakts, der darin bestand, dass die Armee der Bruderschaft den Weg an die Macht ebnete, während diese den Militärs die überkommenen Privilegien garantierte.

Das Dokument, das den Deal zumindest in den Augen der Muslimbrüder besiegelte, ist die im letzten Dezember verabschiedete Verfassung, welche die Vollmachten des Militärs festschreibt. Heute muss die Bruderschaft erkennen, dass der Pakt mit dem Generälen eine Illusion war.

[…] Als sie im Januar 2011 zu «Revolutionären» wurden, haben die Muslimbrüder nicht erkannt, welch tiefgreifende Veränderung der Umsturz in Ägypten bewirken würde. Ihre Strategie folgte den traditionellen Mustern arabischer Politik, Deals innerhalb der Elite abzuschliessen und die eigene Basis mit schönen Worten bei der Stange zu halten. Doch in revolutionären Situationen wird die Macht nicht in Hinterzimmern verteilt, sondern auf der Strasse. Der Sturz Mubaraks hatte den Ägyptern gezeigt, dass der millionenfache Protest stärker ist als die Absprachen unter den angeblichen Machtträgern. In seiner letzten Rede hat Präsident Mursi auf seiner Legitimität beharrt. Und zweifellos verfügt er kraft seiner demokratischen Wahl zum Präsidenten über mehr Legitimität als die Armee und die Demonstranten auf den Strassen.Aber hinter Mursis Anspruch steckt ein simplistisches Verständnis von Demokratie, das die Muslimbrüder an den Tag gelegt haben. Ist eine Partei oder ein Politiker einmal gewählt, kann er während seiner Amtszeit nicht einfach tun und lassen, was immer er will. Statt mit allen Ägyptern zu reden und mit allen politischen Parteien und Interessengruppen zu verhandeln, sprachen die Muslimbrüder nur mit den Generälen und redeten nur mit den eigenen Anhängern. […]

Mursi, sagte sein Sprecher am Mittwoch, sterbe lieber «aufrecht wie ein Baum», als den Staatsstreich der Militärs zu akzeptieren. Die Muslimbrüder haben ihre historische Chance verpasst, ihr Scheitern ist dramatisch, und ihre Niederlage scheint endgültig. Sie müssen damit rechnen, wieder verfolgt, eingesperrt und umgebracht zu werden. Lieber sterben, sagt Mursi. Andere könnten sagen: lieber kämpfen.“

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