26. April 2013 · Kommentare deaktiviert für IWF und Brotunruhen, Beispiel Ägypten · Kategorien: Ägypten · Tags: ,

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Ägypten: in alle Richtungen abhängig

Martin Hoffmann 25.04.2013

Das Land hängt wirtschaftlich an der katarischen Beatmungsmaschine und hofft auf den IWF

Ägyptens Devisenreserven schrumpfen stetig. Mittlerweile steht das Land selbst bei Grundgütern wie Gas und Weizen vor Versorgungsengpässen. Ein mit dem IWF verhandelter Kredit könnte die Haushaltslage vorübergehend entlasten, droht die Lage für die Unterschichten aber noch weiter zu verschlechtern.

Es geschieht meist um die selbe Uhrzeit in diesen Tagen: Wenn sich der Tag senkt und die Abenddämmerung hereinbricht, fallen die Lichter aus. Eine Straße nach der anderen versinkt im Halbdunkel der Dämmerung. Meist dauert es 45 Minuten oder eine Stunde, bis die 20-Millionen-Metropole Kairo wieder flächendeckend Licht hat. In den gasbetriebenen Stromkraftwerken, die für den Großteil der ägyptischen Elektrizität zuständig sind, steht nicht mehr genügend Gas zur Verfügung, um eine durchgehende Stromversorgung zu gewährleisten.

Im Alltag sind diese Engpässe bei Gas und Öl nicht nur durch die regelmäßigen Stromausfälle spürbar. In den wohlhabenderen Stadtteilen steigen die Preise für die Gasrechnung. An Tankstellen kommt es vermehrt zu Unmut und Streit, wenn die Zapfsäulen wieder mal leer sind.

Ägypten kann die Weltmarktpreise nicht mehr bezahlen

Grund für die Versorgungsengpässe ist die angespannte finanzielle Lage des Landes. Ägypten kann schlichtweg nicht mehr genügend Gas und Öl einführen, um eine vollständige Versorgung aufrechtzuerhalten. Seit dem Sturz Mubaraks sind die ägyptischen Devisenreserven von ca. 30 auf 13 Milliarden Dollar gesunken. Importe werden in Dollar abgewickelt, doch die Hauptquelle für Devisen, der Tourismus, stagniert auf niedrigem Niveau. Das ägyptische Pfund hingegen verlor seit der Revolution kontinuierlich an Wert und erreichte Anfang April ein neues Rekordtief. Der Schwarzmarkt wächst.

So ist Ägypten mittlerweile nicht mehr in der Lage seine Versorgung durch Einkäufe zu den geläufigen Weltmarktpreisen zu decken. Nach Einschätzung der Energie-Consulting Firma Energy Aspects schuldet Ägypten verschiedenen Lieferanten insgesamt noch 6 bis 8 Milliarden Dollar für bereits eingeführtes Öl und Gas.Vor den Häfen am Mittelmeer und am Roten Meer bilden sich dieser Tage Schlangen von Tankern – die Ölfirmen warten erst auf die Bezahlung letzten Lieferung, bevor sie grünes Licht zur Entladung der neuen Lieferung geben.

Um einem Energie-Notstand entgegenzuwirken, verhandelt das ägyptische Ölministerium derzeit über „Vorteilsbedingungen“ beim Abschluß von neuen Verträgen. Verhandlungen mit Irak und Lybien über den Abschluß neuer Öl-Lieferverträge sind im Gange, doch noch nicht abgeschlossen. Mit dem Golfemirat Katar laufen Verhandlungen über das Liefern von Gas. Doch Ägypten ist dabei kaum in einer privilegierten Verhandlungsposition. Die Tageszeitung Al Masry Al Youm schreibt, Ägypten biete einen Abnahmepreis an, der bei einem Drittel des Preises liegt, für den Katar Gas in asiatische Länder liefert. Die einzigen permanenten Öl-Lieferungen kommen aus Kuwait, durch einen Vertrag, der kurz vor dem Sturz Hosni Mubaraks geschlossen wurde. Auch dieser gibt Ägypten bereits einen ungewöhnlich langen Zahlungsaufschub von 9 Monaten.

Künstliche finanzielle Beatmung vom Golf

Geld zur Entlastung der fiskalischen Engpässe des Landes kam bisher aus der Türkei, dem Irak und Katar. Der Golfstaat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt stellte jüngst noch einmal 5 Milliarden Euro zur Verfügung. „Ägypten hängt einer katarischen Beatmungsmaschine“, zitiert Al Masry al Youm den Mitarbeiter einer internationalen Rohstoffhandelsbörse. „Doch das kann nicht mehr lange so weiter gehen.“

Über einen Kredit mit dem IWF über 4,8 Milliarden Dollar wird seit nunmehr fast zwei Jahren verhandelt. Zuletzt sollte der Kredit im November vergangenen Jahres abgeschlossen werden, doch nach Unruhen, die auf Mohamed Morsis kontroverse Dekrete im November folgten, wurde der Zeitpunkt aufgeschoben. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, denn der Kredit ist an die beim IWF üblichen fiskalischen Strukturanpassungsmaßnahmen gebunden.

Eine Kürzung der Subventionen würde die Ärmsten am härtesten treffen. Foto: Martin Hoffmann

Die Verhandlungsführer auf ägyptischer Seite wissen, was das bedeutet: Eine drastische Kürzung der Subventionen, die derzeit in Ägypten 20% der Staatsausgaben ausmachen. Die Ausgaben für das Militär liegen dagegen bei 12%, die für den Bildungssektor bei 9% und jene für das Gesundheitswesen bei 5%, laut Einschätzungen der ägyptischen NGO BAHRO (Budget and Human Rights Observatory) aus dem Jahr 2011. Von den Stromrechungen großer Firmen über Gas für den Küchengebrauch bis hin zu Weizen für die Bäckereien gibt es in Ägypten kaum etwas, was nicht subventioniert wird.

Engpässe bei den Weizenimporten

Vor allem die Subventionierung von Weizen ist seit Jahrzehnten eine elementare Politik jeder ägyptischen Regierung gewesen. Dies ermöglicht den Bäckereien, Brot zum subventionierten Preis von 5 Piastern pro Stück (weniger als ein Euro-Cent) zu verkaufen – das ist von großer Bedeutung für die 40% der Ägypter, die unter der Armutsgrenze leben.

Das typische Baladi-Brot, ein runder, dunkel gebackener Fladen, ist in Ägypten Kernbestandteil der meisten Gerichte, vor allem der billigen für die arme Bevölkerung. Stände, an denen für 10 oder 15 Euro-Cent Baladi-Brot mit Fuul (Linsen), Tameya (Falafel) oder Shakhshouka (Omlette) verkauft wird, finden sich in Ägypten an jeder Straßenecke.

Doch nun steht das Land bei der Einfuhr des Grundnahrungsmittels Weizen vor neuen Engpässen. Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt – mehr als die Hälfte des Jahresverbrauchs von 20 Millionen Tonnen muss importiert werden. 9 Millionen Tonnen davon fließen in das staatliche Programm zur Subventionierung von Weizen, um den Brotpreis für die Unterschichten künstlich niedrig zu halten.

Nach Angaben aus dem Landwirtschaftsministerium von Ende März werden die Einfuhren für das laufende Jahr wegen der Finanzklemme um knapp 10% zurückgefahren. Das Ministerium ließ verlauten, Ägypten werde stattdessen versuchen, die Eigenproduktion zu vergrößern und durch nachhaltigere Lagermethoden größere Reserven anzulegen. Die aktuellen Weizenreserven reichen laut Landwirtschaftsministerium noch bis Ende Juni.

Beim Import von Weizen setzen die ägyptischen Verhandlungsführer ähnlich wie bei Öl und Gas angesichts der prekären Finanzlage auf Vorteilsbedingungen seitens der Lieferanten. Der Großteil des eingeführten Weizens wird aus den USA, Russland, der Ukraine und Frankreich eingeführt. Der für den Import zuständige Minister Bassam Kamal erklärte, er gehe davon aus, dass die Lieferländer Ägypten in der angespannten aktuellen Finanzlage Sonderbedingungen gewähren werden. Ägypten werde sich anderenfalls nicht kooperativ beim Zugang zum ägyptischen Markt erweisen.

Wer Ägypten in der aktuellen schwierigen Phase nicht hilft, wird auch von uns keine Hilfe bekommen, seine Produkte in Ägypten zu vermarkten. Wir gehen davon aus, dass unsere Freunde in den USA und Europa uns günstige Bedingungen beim Kauf von Weizen gewährleisten werden.

Abhängigkeiten

Die ohnehin ausgeprägte Abhängigkeit des Landes in allen essentiellen Belangen droht, sich so durch die gegenwärtige Finanzkrise noch zu vergrößern. Zur Deckung seiner Energieversorgung und des Ölverbrauchs ist Ägypten auf die Golfstaaten, den Irak und Lybien angewiesen. Das Grundnahrungsmittel Weizen wird aus den USA, Russland, Frankreich oder der Ukraine eingeführt. Kredite kommen aus Qatar, der Türkei und mit großer Wahrscheinlichkeit bald auch vom IWF.

Ein Wirtschaftswachstum, welches die prekäre Haushaltslage Ägyptens entschärfen und Perspektiven für die 700.000 jungen Menschen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömen, anbieten könnte, scheint sich hingegen in absehbarer Zeit nicht abzuzeichnen.

40% der ägyptischen Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Foto: Martin Hoffmann

Nach Schätzungen der ägyptischen NGO CTUWS (Center for Trade Union and Worker’s Services) mussten in den zwei Jahren seit der Revolution mindestens 4.500 Fabriken ihre Tore schließen, mit hunderttausenden Entlassungen als Folge. Vor allem die Textilindustrie, die unter Nasser und Sadat als staatlicher Beschäftigungsmotor und Devisenbringer stark subventioniert wurde und in den frühen 1990er Jahren zum Großteil privatisiert wurde, ist stark von der Pleitewelle betroffen.

Der Vorsitzende von CTUWS Adel Zakariya nennt „Schwierigkeiten der Unternehmen, in einem Klima politischer Unstabilität Kredite von Banken zu erhalten“ als Hauptgrund für die Masse der Insolvenzen. In der aktuellen Lage sei die Schaffung von 700.000 neuen Arbeitsplätzen illusionär, sagt Gewerkschafter Tallal Shokr:

Das einzige, was die Regierung in der gegenwärtigen Lage tun kann, ist den bereits Beschäftigten Arbeitsverträge geben und diese als neu geschaffene Jobs ausgeben.

Der IWF-Kredit – eine No-Win-Situation

So deutet vieles darauf hin, dass das Land ökonomisch weiterhin auf niedrigen Niveau stagnieren wird, während sich parallel dazu die Abhängigkeit vom Ausland vergrößert. Der Druck von unten, aus den 40 Prozent der Bevölkerung, die heute schon unter der Armutsgrenze leben und jenen, die nahe dran sind, wird in dieser Lage aller Voraussicht nach wieder steigen. Die Frustration über die ausbleibende Verbesserung, die Stromausfälle, die Aussichtslosigkeit auf dem Arbeitsmarkt bestimmt mittlerweile die „Gespräche über die Lage“ auf der Straße stärker als der politische Machtkampf zwischen den Muslimbrüdern und der Opposition. Auf Radio Masr scherzen die Kommentatoren darüber, wie sich die immer noch unerfüllten Ziele der Revolution in den letzten Wochen erweitert haben:

„Aesh, Horreya, Adela igtamaya – wa kahraba.“ (Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit – und Elektrizität)

In diesem Klima könnte sich die Kürzung der Subventionen, welche an den IWF-Kredit gebunden ist, explosiv auswirken. In den Verhandlungen mit dem IWF befindet sich das Land in einer No-Win-Situation. Das Geld wird dringend gebraucht, um die laufenden Haushaltsausgaben finanzieren zu können – doch es scheint absehbar, dass die Subventionskürzungen die Beschäftigungsrate und die Lage für die Unterschichten zunächst verschlechtern wird.

In der jüngeren ägyptischen Geschichte gibt es einen Präzedenzfall, den mancher der ägyptischen Verhandlungsführer mit dem IWF noch im Hinterkopf haben mag: 1977 – als Ägypten nur ungefähr die Hälfte der heutigen Bevölkerung hatte – kürzte die damalige Regierung Anwar As Sadat im Zuge ihres graduellen Privatisierungsprogramms schon einmal die Subventionen für Brot.

Am Tage darauf zogen in Kairo, Alexandria und den Industriestädten im Delta Hunderttausende voller Wut auf die Regierung Sadat auf die Straße. Die „Brotunruhen“ von 1977 wurden gewaltsam niedergeschlagen, einige Hundert Menschen starben. Doch die Subventionen auf Brot wurden kurz darauf wieder eingeführt.

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