06. März 2013 · Kommentare deaktiviert für Algerien: Unruhen wegen Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot · Kategorien: Algerien · Tags: ,

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3. März 2013 – erschienen in Rubrik [ Internationales » Algerien ]

Soziale Unruhen – Aufruhr und Repression
Artikel von Bernard Schmid, 03.03.2013

Vgl. dazu auch Artikel:
Arbeitslosenkongress des Maghreb tagte in Algier, in Vorbereitung auf das Weltsozialforum in Tunis. Und wurde zum Opfer harter polizeilicher Repression” von Bernard Schmid, 22.02.2013

Es fing damit an, dass „Arbeitslose mit Hochschulabschluss“ (diplômés chômeurs – die Bezeichnung benennt eine eigene soziale Kategorie in den nordafrikanischen Ländern) öffentlich ihre Diplome verbrannten. Als Ausdruck ihrer Wertlosigkeit und der Aussichtslosigkeit, ohne familiäre Beziehungen „an geeigneter Stelle“ Erwerbsmöglichkeiten zu finden. Vgl. dazu folgendes Video von der Aktion von acht Minuten, deren Teilnehmer ihre Situation auf den Punkt bringen (bspw. 1 Minute 17 Sekunden: „Es gibt keinerlei soziale Gerechtigkeit“) und im Anschluss ihre Diplome abfackeln:

http://www.youtube.com/watch?v=5aZUeRegE14&feature=player_embedded 


Die Szene spielt sich am Mittwoch, den 20. Februar 2013 in der südalgerischen (= d.h. südlich der Sahara-Grenze liegenden) Stadt Laghouat ab. Dieselbe Stadt war in jüngerer Vergangenheit bereits mehrfach Schauplatz sozialer Massenproteste:

http://labournet.de/internationales/dz/unruhe2012.htmlhttp://www.trend.infopartisan.net/trd0112/540112.html

(Anm.: Der Doppelbuchstabe „gh“ in der Transkription aus dem Arabischen wird wie ein nicht gerolltes „r“- wie in „Paris“, französisch ausgesprochen – wiedergegeben.)
http://berthoalain.com/2013/02/25/chomage-emeutes-a-%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%BA%D9%88%D8%A7%D8%B7-laghouat-20-22-fevrier-2013/
Infolge der Protestversammlung vor der Maison de l’emploi (eine Art Arbeitsvermittlungsbüro) in Laghouat wurden siebzehn Personen festgenommen. Unter ihnen prominente Aktivisten: Mohamed Rag, Aïssa Tadj, Mohamed Bendjillali, Mustapha Ternouka und Ahmed Akouche. Sie wurden dem Staatsanwalt vorgeführt.Am übernächsten Tag – also am Freitag, den 22. Februar 13 – kam es daraufhin zu Unruhen in den Kommunen Kasr El-Bazaim und Kasr El-Ferroudj, in der Umgebung von Laghouat. Die Polizei schoss mit Tränengas und Gummiprojektilen auf die jungen Protestierer, die sich mit den Festgenommenen solidarisierten. Von denen befanden sich zu dem Zeitpunkt noch sechs, als „Rädelsführer“, im Polizeigewahrsam.

http://www.tsa-algerie.com/divers/affrontements-a-laghouat-des-bombes-lacrymogenes-et-des-balles-en-caoutchouc-pour-disperser-les_23870.html

Am Sonntag, den 24. Februar ging die Sache weiter. (Der Sonntag ist in Algerien ein „üblicher Werktag“, da der wöchentliche Gebetstag – die Entsprechung zum europäischen Sonntag – dort auf den Freitag fällt.) In Ouargla, ebenfalls in Südalgerien gelegen, machten sich Tausende von Arbeitslosen auf den Weg zu einem Fußmarsch in Richtung Hassi Messaoud; vgl. u.a. http://www.youtube.com/watch?v=_3_XNZWzcCk . Dort, in 77 Kilometern Entfernung von Ouargla, befindet sich eine der größten Erdöl- und Erdgasförderstätten Algeriens. Das Nebeneinander der beiden Städte, durch welches das verbreitete Elend in Ouargla besonders hervorsticht (dessen Einwohner/innen benötigen eine Sondergenehmigung – eine Art Visum -, um innerhalb ihres eigenen Bezirks nach Hassi-Messaoud fahren zu dürfen), ist seit längerem „explosiv“. Im Präsidentschaftswahlkampf flogen im Februar 2004 in der Nachbarstadt Touggourt sogar Steine auf das Auto von Staatsoberhaupt ’Abdel’aziz Boutefliqa (Bouteflika).

Auf ihre Weise waren die Arbeitslosen von Ouargla dazu aufgerufen, durch ihren Protestmarsch den 42. Jahrestag der „Nationalisierung“ (je nach Kontext bedeutet der Begriff im Französischen Verstaatlichung oder Vergesellschaftung) der algerischen Erdöl- und Erdgasreserven zu begehen. Am 24. Februar 1971 waren diese in Staatseigentum, theoretisch in Gemeineigentum, übergegangen. Zwar fand, verstärkt seit Anfang der 2000er Jahre, ein Eintritt ausländischen Privatkapitals in den Öl- und Gassektor statt; Gesetzentwürfe, die ausländischen Firmen die Möglichkeit zum Besitz von Rohstofflagerstätten zu über 50 Prozent ermöglicht hätten, mussten 2001 und 2005 jeweils wieder zurückgezogen werden. Die staatliche Erdölfirma SONATRACH muss also jeweils mindestens 51 % der Anteile behalten. Doch weite Teile der algerischen Bevölkerung beschweren sich darüber, dass für sie nichts Substanzielles dabei abfällt.

Der Protestzug von Ouargla in Richtung Hassi-Messaoud wurde durch massive Polizeikräfte aufgehalten, und die Marschierer kehrten schließlich um. Gleichzeitig waren auch in anderen Städten Algeriens wie Tamanrasset (Süden), Illizi (Südosten), Batna (Aurès-Gebirge) und El-Bayadh (Westen), vergleichbare Protestaktionen geplant. Am Vortag fanden jedoch an mehreren Orten „präventive“ Festnahmen von Aktivisten statt.

Vgl. dazu http://www.tsa-algerie.com/divers/des-chomeurs-de-ouargla-marchent-vers-hassi-messaoud-actualise_23894.html

In Hassi Messaoud selbst traten Dutzende von Erwerbslosen in den Hungerstreik (vgl. http://www.facebook.com/video/video.php?v=188550914528464), ebenso im benachbarten Hassi R’mel: http://www.youtube.com/watch?v=hjqwE_vLB1E  

Eine Reihe von Photos von den Aktionen befanden sich auch an dieser Stelle bei Facebook: http://www.facebook.com/media/set/?set=a.398638443566109.87095.187635534666402&type=1 ; der Inhalt der Seite ist jedoch „derzeit unzugänglich“. Sicherlich ein Zufall.

Am selben 24. Februar, aus Anlass des Jahrestag der „Nationalisierung“ der Öl- und Gasförderung, erklärte der algerische Premierminister Abdelmalek Sellal bei einem Besuch auf dem Gelände der Erdgasförderanlage In Amenas (Schauplatz einer Geiselnahme durch Jihadisten vom 16. bis 19. Januar d.J.), der Staat wolle „den Bevölkerungen im Süden durch Investitionen helfen“. Gleichzeitig prangerte er „ein kleines Grüppchen, das Unfrieden unter der Bevölkerung säen möchte“, an. Vgl. http://www.magharebia.com/cocoon/awi/xhtml1/fr/features/awi/features/2013/02/28/feature-03

Am 27. Februar 13 fanden im ostalgerischen Bordj Bou Arréridj („BBA“) heftige Unruhen statt, die die Verteilung von Sozialwohnungen zum Gegenstand hatten. Dabei wurden 43 Protestierer und neun Polizisten verletzt, vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2013/02/27/97001-20130227FILWWW00629-algerie-emeutes-pour-des-logements.php. Solche Unruhen spielen sich quasi wöchentlich in unterschiedlichen algerischen Städten ab.

http://www.labournet.de/internationales/algerien/soziale-unruhen-aufruhr-und-repression/

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